Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Erwachen jungfräulicher Empfindungen begleitet, jenes süße Bewußtwerden ahnungsreicher Gefühle, die das Herz unruhiger klopfen machen. Da naht ein leiser Anhauch von Schwermuth und Schwärmerei, da irren die Gedanken wie gaukelnde Schmetterlinge dahin und dorthin, da schlägt ein unbewußtes Sehnen die bisher vom tiefen Schlummer geschlossenen Augen auf, wie die Prinzessin Dornröschen im deutschen Märchen ihre Augen aufschlug, als der Königssohn sie küßte.

Ludwig durchströmte alle Süßigkeit, alles Ahnen einer keuschen Liebe, doch verschloß er tief in seiner Brust was er fühlte, denn noch dünkte ihm dieses holde Wesen ein unnahbares Heiligthum, wie deutlich auch schon ein hohes Vertrauen ihn hatte verstehen lassen, man werde in seinem Schutz dies Kleinod gern geborgen wissen.

Die Sommerluft hauchte erfrischende Kühle; aus der Vorhalle der nahen Kirche rieselte plätschernd Sanct Landelin's geheiligter Wunderquell, von dem die Lustwandelnden getrunken hatten; auf den Steinstufen lagen im stillen Gebete andächtige Waller und beteten leise und eifrig ihren Rosenkranz ab. Auf des Münsters und dieses Gnadenortes Ursprung lenkte sich die Unterhaltung und Ludwig erzählte: Ein edler Schotte, Namens Landelin, verließ gleich vielen andern Mönchen Schottlands, sein Vaterland, in welchem früh die Christuslehre Wurzel geschlagen hatte, um in den damals noch rauhen und wilden Gefilden Galliens und Deutschlands dessen heidnischen Bewohnern das Christenthum zu predigen. Er ward in Frankreich Begründer der nach ihm genannten Stadt Landelles, wo sein Gedächtniß im Namen Sauveur de Landelin noch heute fortlebt. Der fromme Mann kam auch in diesen Gau, den der Heidenfürst Gisock beherrschte. Landelin ließ sich an der Stelle, wo wir eben verweilen, als Einsiedler nieder und begann in der Stille sein Werk der Bekehrung. Davon kam zu Gisock die Kunde, dessen Zorn heftig gegen den Neuerer und die neue Lehre entbrannte, und der seinen Leuten befahl, den frommen Mann zu ermorden. Landelin sank von ihren Dolchstichen getroffen in sein Blut.

Ach! schrie Anges auf, und fuhr mit der Hand nach der Stelle ihres Herzens; war es ihr doch, als empfinde sie selbst einen Stich, so ergriff sie diese Sage, im Bunde mit der Erinnerung an die Gefahr, die ihr selbst weiter aufwärts im Thale einst gedroht hatte. Ihr

Erwachen jungfräulicher Empfindungen begleitet, jenes süße Bewußtwerden ahnungsreicher Gefühle, die das Herz unruhiger klopfen machen. Da naht ein leiser Anhauch von Schwermuth und Schwärmerei, da irren die Gedanken wie gaukelnde Schmetterlinge dahin und dorthin, da schlägt ein unbewußtes Sehnen die bisher vom tiefen Schlummer geschlossenen Augen auf, wie die Prinzessin Dornröschen im deutschen Märchen ihre Augen aufschlug, als der Königssohn sie küßte.

Ludwig durchströmte alle Süßigkeit, alles Ahnen einer keuschen Liebe, doch verschloß er tief in seiner Brust was er fühlte, denn noch dünkte ihm dieses holde Wesen ein unnahbares Heiligthum, wie deutlich auch schon ein hohes Vertrauen ihn hatte verstehen lassen, man werde in seinem Schutz dies Kleinod gern geborgen wissen.

Die Sommerluft hauchte erfrischende Kühle; aus der Vorhalle der nahen Kirche rieselte plätschernd Sanct Landelin’s geheiligter Wunderquell, von dem die Lustwandelnden getrunken hatten; auf den Steinstufen lagen im stillen Gebete andächtige Waller und beteten leise und eifrig ihren Rosenkranz ab. Auf des Münsters und dieses Gnadenortes Ursprung lenkte sich die Unterhaltung und Ludwig erzählte: Ein edler Schotte, Namens Landelin, verließ gleich vielen andern Mönchen Schottlands, sein Vaterland, in welchem früh die Christuslehre Wurzel geschlagen hatte, um in den damals noch rauhen und wilden Gefilden Galliens und Deutschlands dessen heidnischen Bewohnern das Christenthum zu predigen. Er ward in Frankreich Begründer der nach ihm genannten Stadt Landelles, wo sein Gedächtniß im Namen Sauveur de Landelin noch heute fortlebt. Der fromme Mann kam auch in diesen Gau, den der Heidenfürst Gisock beherrschte. Landelin ließ sich an der Stelle, wo wir eben verweilen, als Einsiedler nieder und begann in der Stille sein Werk der Bekehrung. Davon kam zu Gisock die Kunde, dessen Zorn heftig gegen den Neuerer und die neue Lehre entbrannte, und der seinen Leuten befahl, den frommen Mann zu ermorden. Landelin sank von ihren Dolchstichen getroffen in sein Blut.

Ach! schrie Angés auf, und fuhr mit der Hand nach der Stelle ihres Herzens; war es ihr doch, als empfinde sie selbst einen Stich, so ergriff sie diese Sage, im Bunde mit der Erinnerung an die Gefahr, die ihr selbst weiter aufwärts im Thale einst gedroht hatte. Ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0369" n="365"/>
Erwachen jungfräulicher Empfindungen begleitet, jenes süße Bewußtwerden ahnungsreicher Gefühle, die das Herz unruhiger klopfen machen. Da naht ein leiser Anhauch von Schwermuth und Schwärmerei, da irren die Gedanken wie gaukelnde Schmetterlinge dahin und dorthin, da schlägt ein unbewußtes Sehnen die bisher vom tiefen Schlummer geschlossenen Augen auf, wie die Prinzessin Dornröschen im deutschen Märchen ihre Augen aufschlug, als der Königssohn sie küßte.</p>
          <p>Ludwig durchströmte alle Süßigkeit, alles Ahnen einer keuschen Liebe, doch verschloß er tief in seiner Brust was er fühlte, denn noch dünkte ihm dieses holde Wesen ein unnahbares Heiligthum, wie deutlich auch schon ein hohes Vertrauen ihn hatte verstehen lassen, man werde in seinem Schutz dies Kleinod gern geborgen wissen.</p>
          <p>Die Sommerluft hauchte erfrischende Kühle; aus der Vorhalle der nahen Kirche rieselte plätschernd Sanct Landelin&#x2019;s geheiligter Wunderquell, von dem die Lustwandelnden getrunken hatten; auf den Steinstufen lagen im stillen Gebete andächtige Waller und beteten leise und eifrig ihren Rosenkranz ab. Auf des Münsters und dieses Gnadenortes Ursprung lenkte sich die Unterhaltung und Ludwig erzählte: Ein edler Schotte, Namens Landelin, verließ gleich vielen andern Mönchen Schottlands, sein Vaterland, in welchem früh die Christuslehre Wurzel geschlagen hatte, um in den damals noch rauhen und wilden Gefilden Galliens und Deutschlands dessen heidnischen Bewohnern das Christenthum zu predigen. Er ward in Frankreich Begründer der nach ihm genannten Stadt Landelles, wo sein Gedächtniß im Namen Sauveur de Landelin noch heute fortlebt. Der fromme Mann kam auch in diesen Gau, den der Heidenfürst Gisock beherrschte. Landelin ließ sich an der Stelle, wo wir eben verweilen, als Einsiedler nieder und begann in der Stille sein Werk der Bekehrung. Davon kam zu Gisock die Kunde, dessen Zorn heftig gegen den Neuerer und die neue Lehre entbrannte, und der seinen Leuten befahl, den frommen Mann zu ermorden. Landelin sank von ihren Dolchstichen getroffen in sein Blut.</p>
          <p>Ach! schrie Angés auf, und fuhr mit der Hand nach der Stelle ihres Herzens; war es ihr doch, als empfinde sie selbst einen Stich, so ergriff sie diese Sage, im Bunde mit der Erinnerung an die Gefahr, die ihr selbst weiter aufwärts im Thale einst gedroht hatte. Ihr
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0369] Erwachen jungfräulicher Empfindungen begleitet, jenes süße Bewußtwerden ahnungsreicher Gefühle, die das Herz unruhiger klopfen machen. Da naht ein leiser Anhauch von Schwermuth und Schwärmerei, da irren die Gedanken wie gaukelnde Schmetterlinge dahin und dorthin, da schlägt ein unbewußtes Sehnen die bisher vom tiefen Schlummer geschlossenen Augen auf, wie die Prinzessin Dornröschen im deutschen Märchen ihre Augen aufschlug, als der Königssohn sie küßte. Ludwig durchströmte alle Süßigkeit, alles Ahnen einer keuschen Liebe, doch verschloß er tief in seiner Brust was er fühlte, denn noch dünkte ihm dieses holde Wesen ein unnahbares Heiligthum, wie deutlich auch schon ein hohes Vertrauen ihn hatte verstehen lassen, man werde in seinem Schutz dies Kleinod gern geborgen wissen. Die Sommerluft hauchte erfrischende Kühle; aus der Vorhalle der nahen Kirche rieselte plätschernd Sanct Landelin’s geheiligter Wunderquell, von dem die Lustwandelnden getrunken hatten; auf den Steinstufen lagen im stillen Gebete andächtige Waller und beteten leise und eifrig ihren Rosenkranz ab. Auf des Münsters und dieses Gnadenortes Ursprung lenkte sich die Unterhaltung und Ludwig erzählte: Ein edler Schotte, Namens Landelin, verließ gleich vielen andern Mönchen Schottlands, sein Vaterland, in welchem früh die Christuslehre Wurzel geschlagen hatte, um in den damals noch rauhen und wilden Gefilden Galliens und Deutschlands dessen heidnischen Bewohnern das Christenthum zu predigen. Er ward in Frankreich Begründer der nach ihm genannten Stadt Landelles, wo sein Gedächtniß im Namen Sauveur de Landelin noch heute fortlebt. Der fromme Mann kam auch in diesen Gau, den der Heidenfürst Gisock beherrschte. Landelin ließ sich an der Stelle, wo wir eben verweilen, als Einsiedler nieder und begann in der Stille sein Werk der Bekehrung. Davon kam zu Gisock die Kunde, dessen Zorn heftig gegen den Neuerer und die neue Lehre entbrannte, und der seinen Leuten befahl, den frommen Mann zu ermorden. Landelin sank von ihren Dolchstichen getroffen in sein Blut. Ach! schrie Angés auf, und fuhr mit der Hand nach der Stelle ihres Herzens; war es ihr doch, als empfinde sie selbst einen Stich, so ergriff sie diese Sage, im Bunde mit der Erinnerung an die Gefahr, die ihr selbst weiter aufwärts im Thale einst gedroht hatte. Ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in HTML. (2013-01-22T14:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
austrian literature online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-22T14:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung von HTML nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-22T14:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/369
Zitationshilfe: Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/369>, abgerufen am 03.06.2024.