Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.bin als ein armes, heimathloses Kind -- ach eine Waise -- o, wie schwer wiegt dieses Wort; ich will ihnen so gern gehorchen, ich will Sie ehren gleich meinem Vater, und wenn ich fehle, so üben Sie Nachsicht mit meiner Unwissenheit und meiner Schwäche! Wie unendlich liebreizend erschien sie ihm da in ihrem tiefen Schmerze! Sie glich einer prächtigen Incarnat-Passiflore, in deren Nektarkelche Thränen zittern, die gebeugt steht und doch voll Schönheit ist, die in Demuth sich neigt und doch voll Hoheit prangt. Ein Gegensatz, wie das Leben ihn häufig bietet, zu diesem wahren Schmerz, dieser schwermuthvollen Trauer, dieser Verehrung auf der einen, und der kindlichsten Hingebung an den Mann ihres Vertrauens auf der andern Seite, bildete eine andere Trauerbotschaft aus Holland, die aber nicht so herzzerreißender Art war; dort hatte nur eine betagte schlichte Frau den Zoll der Natur bezahlt, und war abgerufen worden in das verhüllte Jenseits. Leonardus Mutter, Frau Maria Johanna van der Valck, geborene van Moorsel, war nicht mehr. Vincentius Martinus schrieb Folgendes an seinen noch stets am Leben geglaubten Vetter Leonardus, nachdem er ihn in einer frommen Einleitung seines Briefes auf die Trauerkunde vorbereitet und ihm dann die schmerzliche Nachricht mitgetheilt hatte: "Ich komme so eben aus der Kirche, mein theuerer Leonardus, woselbst ich für die Seele deiner guten Mutter eine Messe gelesen habe; von deinem kindlichen Sinn darf ich wohl voraussetzen, daß du es gut heißest, wenn ich für die Seligentschlafene die Zahl dieser Seelenmessen bis auf Einhundert steigere, und dir dann nach deren Vollendung das Laus Deo darüber einsende. Die Wohlselige hat noch auf ihrem Todtenbette, und als ich sie mit den heiligen Sterbesacramenten als christliche Wegzehrung auf der langen Pilgerschaft nach der Ewigkeit versah, für dich gebetet und dir alles Glück gewünscht, auch läßt sie dir noch innigst und herzlich für die lieben und guten Briefe danken, welche du ihr von so verschiedenen Orten aus geschrieben hast; nur konnte die selige Tante nie begreifen und ich konnte es derselben auch nicht begreiflich machen, weshalb du dich eigentlich jetzt und wie es scheint ohne ein Geschäft, welches doch die Basis eines ehrbaren und christlichen Lebens ist, in Deutschland herumtreibst. Nun, ich gewahre mit Freude, wie gut mein Gebet für dich anschlägt, mein geliebter Vetter, und wie der heilige bin als ein armes, heimathloses Kind — ach eine Waise — o, wie schwer wiegt dieses Wort; ich will ihnen so gern gehorchen, ich will Sie ehren gleich meinem Vater, und wenn ich fehle, so üben Sie Nachsicht mit meiner Unwissenheit und meiner Schwäche! Wie unendlich liebreizend erschien sie ihm da in ihrem tiefen Schmerze! Sie glich einer prächtigen Incarnat-Passiflore, in deren Nektarkelche Thränen zittern, die gebeugt steht und doch voll Schönheit ist, die in Demuth sich neigt und doch voll Hoheit prangt. Ein Gegensatz, wie das Leben ihn häufig bietet, zu diesem wahren Schmerz, dieser schwermuthvollen Trauer, dieser Verehrung auf der einen, und der kindlichsten Hingebung an den Mann ihres Vertrauens auf der andern Seite, bildete eine andere Trauerbotschaft aus Holland, die aber nicht so herzzerreißender Art war; dort hatte nur eine betagte schlichte Frau den Zoll der Natur bezahlt, und war abgerufen worden in das verhüllte Jenseits. Leonardus Mutter, Frau Maria Johanna van der Valck, geborene van Moorsel, war nicht mehr. Vincentius Martinus schrieb Folgendes an seinen noch stets am Leben geglaubten Vetter Leonardus, nachdem er ihn in einer frommen Einleitung seines Briefes auf die Trauerkunde vorbereitet und ihm dann die schmerzliche Nachricht mitgetheilt hatte: „Ich komme so eben aus der Kirche, mein theuerer Leonardus, woselbst ich für die Seele deiner guten Mutter eine Messe gelesen habe; von deinem kindlichen Sinn darf ich wohl voraussetzen, daß du es gut heißest, wenn ich für die Seligentschlafene die Zahl dieser Seelenmessen bis auf Einhundert steigere, und dir dann nach deren Vollendung das Laus Deo darüber einsende. Die Wohlselige hat noch auf ihrem Todtenbette, und als ich sie mit den heiligen Sterbesacramenten als christliche Wegzehrung auf der langen Pilgerschaft nach der Ewigkeit versah, für dich gebetet und dir alles Glück gewünscht, auch läßt sie dir noch innigst und herzlich für die lieben und guten Briefe danken, welche du ihr von so verschiedenen Orten aus geschrieben hast; nur konnte die selige Tante nie begreifen und ich konnte es derselben auch nicht begreiflich machen, weshalb du dich eigentlich jetzt und wie es scheint ohne ein Geschäft, welches doch die Basis eines ehrbaren und christlichen Lebens ist, in Deutschland herumtreibst. 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Sie glich einer prächtigen Incarnat-Passiflore, in deren Nektarkelche Thränen zittern, die gebeugt steht und doch voll Schönheit ist, die in Demuth sich neigt und doch voll Hoheit prangt.</p> <p>Ein Gegensatz, wie das Leben ihn häufig bietet, zu diesem wahren Schmerz, dieser schwermuthvollen Trauer, dieser Verehrung auf der einen, und der kindlichsten Hingebung an den Mann ihres Vertrauens auf der andern Seite, bildete eine andere Trauerbotschaft aus Holland, die aber nicht so herzzerreißender Art war; dort hatte nur eine betagte schlichte Frau den Zoll der Natur bezahlt, und war abgerufen worden in das verhüllte Jenseits. Leonardus Mutter, Frau Maria Johanna van der Valck, geborene van Moorsel, war nicht mehr.</p> <p>Vincentius Martinus schrieb Folgendes an seinen noch stets am Leben geglaubten Vetter Leonardus, nachdem er ihn in einer frommen Einleitung seines Briefes auf die Trauerkunde vorbereitet und ihm dann die schmerzliche Nachricht mitgetheilt hatte: „Ich komme so eben aus der Kirche, mein theuerer Leonardus, woselbst ich für die Seele deiner guten Mutter eine Messe gelesen habe; von deinem kindlichen Sinn darf ich wohl voraussetzen, daß du es gut heißest, wenn ich für die Seligentschlafene die Zahl dieser Seelenmessen bis auf Einhundert steigere, und dir dann nach deren Vollendung das <hi rendition="#aq">Laus Deo</hi> darüber einsende. Die Wohlselige hat noch auf ihrem Todtenbette, und als ich sie mit den heiligen Sterbesacramenten als christliche Wegzehrung auf der langen Pilgerschaft nach der Ewigkeit versah, für dich gebetet und dir alles Glück gewünscht, auch läßt sie dir noch innigst und herzlich für die lieben und guten Briefe danken, welche du ihr von so verschiedenen Orten aus geschrieben hast; nur konnte die selige Tante nie begreifen und ich konnte es derselben auch nicht begreiflich machen, weshalb du dich eigentlich jetzt und wie es scheint ohne ein Geschäft, welches doch die Basis eines ehrbaren und christlichen Lebens ist, in Deutschland herumtreibst. Nun, ich gewahre mit Freude, wie gut mein Gebet für dich anschlägt, mein geliebter Vetter, und wie der heilige </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [392/0396]
bin als ein armes, heimathloses Kind — ach eine Waise — o, wie schwer wiegt dieses Wort; ich will ihnen so gern gehorchen, ich will Sie ehren gleich meinem Vater, und wenn ich fehle, so üben Sie Nachsicht mit meiner Unwissenheit und meiner Schwäche!
Wie unendlich liebreizend erschien sie ihm da in ihrem tiefen Schmerze! Sie glich einer prächtigen Incarnat-Passiflore, in deren Nektarkelche Thränen zittern, die gebeugt steht und doch voll Schönheit ist, die in Demuth sich neigt und doch voll Hoheit prangt.
Ein Gegensatz, wie das Leben ihn häufig bietet, zu diesem wahren Schmerz, dieser schwermuthvollen Trauer, dieser Verehrung auf der einen, und der kindlichsten Hingebung an den Mann ihres Vertrauens auf der andern Seite, bildete eine andere Trauerbotschaft aus Holland, die aber nicht so herzzerreißender Art war; dort hatte nur eine betagte schlichte Frau den Zoll der Natur bezahlt, und war abgerufen worden in das verhüllte Jenseits. Leonardus Mutter, Frau Maria Johanna van der Valck, geborene van Moorsel, war nicht mehr.
Vincentius Martinus schrieb Folgendes an seinen noch stets am Leben geglaubten Vetter Leonardus, nachdem er ihn in einer frommen Einleitung seines Briefes auf die Trauerkunde vorbereitet und ihm dann die schmerzliche Nachricht mitgetheilt hatte: „Ich komme so eben aus der Kirche, mein theuerer Leonardus, woselbst ich für die Seele deiner guten Mutter eine Messe gelesen habe; von deinem kindlichen Sinn darf ich wohl voraussetzen, daß du es gut heißest, wenn ich für die Seligentschlafene die Zahl dieser Seelenmessen bis auf Einhundert steigere, und dir dann nach deren Vollendung das Laus Deo darüber einsende. Die Wohlselige hat noch auf ihrem Todtenbette, und als ich sie mit den heiligen Sterbesacramenten als christliche Wegzehrung auf der langen Pilgerschaft nach der Ewigkeit versah, für dich gebetet und dir alles Glück gewünscht, auch läßt sie dir noch innigst und herzlich für die lieben und guten Briefe danken, welche du ihr von so verschiedenen Orten aus geschrieben hast; nur konnte die selige Tante nie begreifen und ich konnte es derselben auch nicht begreiflich machen, weshalb du dich eigentlich jetzt und wie es scheint ohne ein Geschäft, welches doch die Basis eines ehrbaren und christlichen Lebens ist, in Deutschland herumtreibst. Nun, ich gewahre mit Freude, wie gut mein Gebet für dich anschlägt, mein geliebter Vetter, und wie der heilige
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