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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Die Semiten.
Brücke über den Euphrat, des Tempels des Balos, der Seeen -- zur
Ableitung des Euphrat, sowie der wunderbaren Königsstrassen zu-
geschrieben: erwiesenermassen Schöpfungen sehr verschiedener Jahr-
hunderte. Was wir hauptsächlich durch Entzifferung von Keilschriften
jetzt über die Geschichte Assyriens wissen, ist kurz Folgendes: Um
1800 v. Chr. bestanden schon die bescheidenen Anfänge der selbst-
ständigen Herrschaft von Assur. In den Tributlisten des ägyptischen
Königs Thutmosis III. wird erwähnt, dass Assur Blaustein und Baum-
stämme zu liefern hatte. Unzweifelhaft war die Stadt Assur die älteste
Hauptstadt des Landes, die dem Nationalgott und dem Volke den
Namen gab. Sie wurde indes schon früh von der jüngeren Schwester-
stadt Niniveh, die später die dauernde Residenz der mächtigen assy-
rischen Herrscher wurde, überflügelt. Von Salmanassar I. wissen wir,
dass er Kalah (Nimrud) um 1300 v. Chr. gründete, sowie den zerstörten
Tempel der Istar in Niniveh wieder aufbaute. Genaueres erfahren wir
indessen erst von der Herrschaft Tiglath Pilesar I. (1130 bis 1100 v. Chr.).
In den Ecken des Tempels des Bin zu Assur fanden sich Thonzilinder,
welche die Thaten der ersten fünf Jahre seiner Regierung erzählen.
Er war, wie alle seine Nachfolger, ein kriegerischer Fürst, der in fast
ununterbrochenem Kampfe mit den Nachbarvölkern stand. Die Lage
Assyriens am Fusse des Hochgebirges, als Ausfallspforte nach der Ebene,
bedingte diese ewigen Kämpfe. Im Norden und Osten suchten die
zahlreichen, aber meist uneinigen kriegerischen Stämme nach der reichen
Ebene hinzudrängen. Diese musste Assur zurückhalten, wollte er selbst
die lockende Herrschaft des Tieflandes und der gewinnverheissenden
Handelsstrassen nach Westen sich erhalten. Dies ist auch der Grund-
charakter der unzähligen Kämpfe der assyrischen Herrscher: einer-
seits Abwehr der kriegerischen Bergvölker, andererseits Beute und
Eroberungskriege nach Westen und Süden, besonders gegen Syrien und
Babylonien. Es waren ihre eigenen Stammverwandten, gegen die sie
die wichtigsten Feldzüge unternahmen. Denn die Assyrier waren wie
diese Chaldäer und den Babyloniern nahe verwandt. Sie hatten
dieselbe Religion, nur ihr Nationalgott Assur stand dem Bel Baby-
loniens feindlich gegenüber. Ihre Sprache war nur dialektlich ver-
schieden. Kleidung, Bewaffnung, Sitten und Gebräuche waren durch-
aus ähnlich.

Nach dieser Überlieferung tritt wieder eine Lücke in der Geschichte
Assyriens ein. Erst von der Zeit Assurbanipals (um 880 v. Chr.) an
fliessen die Quellen reichlicher. Er führte siegreiche Kriege gegen die
Bergvölker sowie gegen die Syrier, und erzwang selbst von den Handels-

Die Semiten.
Brücke über den Euphrat, des Tempels des Balos, der Seeen — zur
Ableitung des Euphrat, sowie der wunderbaren Königsstraſsen zu-
geschrieben: erwiesenermaſsen Schöpfungen sehr verschiedener Jahr-
hunderte. Was wir hauptsächlich durch Entzifferung von Keilschriften
jetzt über die Geschichte Assyriens wissen, ist kurz Folgendes: Um
1800 v. Chr. bestanden schon die bescheidenen Anfänge der selbst-
ständigen Herrschaft von Assur. In den Tributlisten des ägyptischen
Königs Thutmosis III. wird erwähnt, daſs Assur Blaustein und Baum-
stämme zu liefern hatte. Unzweifelhaft war die Stadt Assur die älteste
Hauptstadt des Landes, die dem Nationalgott und dem Volke den
Namen gab. Sie wurde indes schon früh von der jüngeren Schwester-
stadt Niniveh, die später die dauernde Residenz der mächtigen assy-
rischen Herrscher wurde, überflügelt. Von Salmanassar I. wissen wir,
daſs er Kalah (Nimrud) um 1300 v. Chr. gründete, sowie den zerstörten
Tempel der Istar in Niniveh wieder aufbaute. Genaueres erfahren wir
indessen erst von der Herrschaft Tiglath Pilesar I. (1130 bis 1100 v. Chr.).
In den Ecken des Tempels des Bin zu Assur fanden sich Thonzilinder,
welche die Thaten der ersten fünf Jahre seiner Regierung erzählen.
Er war, wie alle seine Nachfolger, ein kriegerischer Fürst, der in fast
ununterbrochenem Kampfe mit den Nachbarvölkern stand. Die Lage
Assyriens am Fuſse des Hochgebirges, als Ausfallspforte nach der Ebene,
bedingte diese ewigen Kämpfe. Im Norden und Osten suchten die
zahlreichen, aber meist uneinigen kriegerischen Stämme nach der reichen
Ebene hinzudrängen. Diese muſste Assur zurückhalten, wollte er selbst
die lockende Herrschaft des Tieflandes und der gewinnverheiſsenden
Handelsstraſsen nach Westen sich erhalten. Dies ist auch der Grund-
charakter der unzähligen Kämpfe der assyrischen Herrscher: einer-
seits Abwehr der kriegerischen Bergvölker, andererseits Beute und
Eroberungskriege nach Westen und Süden, besonders gegen Syrien und
Babylonien. Es waren ihre eigenen Stammverwandten, gegen die sie
die wichtigsten Feldzüge unternahmen. Denn die Assyrier waren wie
diese Chaldäer und den Babyloniern nahe verwandt. Sie hatten
dieselbe Religion, nur ihr Nationalgott Assur stand dem Bel Baby-
loniens feindlich gegenüber. Ihre Sprache war nur dialektlich ver-
schieden. Kleidung, Bewaffnung, Sitten und Gebräuche waren durch-
aus ähnlich.

Nach dieser Überlieferung tritt wieder eine Lücke in der Geschichte
Assyriens ein. Erst von der Zeit Assurbanipals (um 880 v. Chr.) an
flieſsen die Quellen reichlicher. Er führte siegreiche Kriege gegen die
Bergvölker sowie gegen die Syrier, und erzwang selbst von den Handels-

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[109/0131] Die Semiten. Brücke über den Euphrat, des Tempels des Balos, der Seeen — zur Ableitung des Euphrat, sowie der wunderbaren Königsstraſsen zu- geschrieben: erwiesenermaſsen Schöpfungen sehr verschiedener Jahr- hunderte. Was wir hauptsächlich durch Entzifferung von Keilschriften jetzt über die Geschichte Assyriens wissen, ist kurz Folgendes: Um 1800 v. Chr. bestanden schon die bescheidenen Anfänge der selbst- ständigen Herrschaft von Assur. In den Tributlisten des ägyptischen Königs Thutmosis III. wird erwähnt, daſs Assur Blaustein und Baum- stämme zu liefern hatte. Unzweifelhaft war die Stadt Assur die älteste Hauptstadt des Landes, die dem Nationalgott und dem Volke den Namen gab. Sie wurde indes schon früh von der jüngeren Schwester- stadt Niniveh, die später die dauernde Residenz der mächtigen assy- rischen Herrscher wurde, überflügelt. Von Salmanassar I. wissen wir, daſs er Kalah (Nimrud) um 1300 v. Chr. gründete, sowie den zerstörten Tempel der Istar in Niniveh wieder aufbaute. Genaueres erfahren wir indessen erst von der Herrschaft Tiglath Pilesar I. (1130 bis 1100 v. Chr.). In den Ecken des Tempels des Bin zu Assur fanden sich Thonzilinder, welche die Thaten der ersten fünf Jahre seiner Regierung erzählen. Er war, wie alle seine Nachfolger, ein kriegerischer Fürst, der in fast ununterbrochenem Kampfe mit den Nachbarvölkern stand. Die Lage Assyriens am Fuſse des Hochgebirges, als Ausfallspforte nach der Ebene, bedingte diese ewigen Kämpfe. Im Norden und Osten suchten die zahlreichen, aber meist uneinigen kriegerischen Stämme nach der reichen Ebene hinzudrängen. Diese muſste Assur zurückhalten, wollte er selbst die lockende Herrschaft des Tieflandes und der gewinnverheiſsenden Handelsstraſsen nach Westen sich erhalten. Dies ist auch der Grund- charakter der unzähligen Kämpfe der assyrischen Herrscher: einer- seits Abwehr der kriegerischen Bergvölker, andererseits Beute und Eroberungskriege nach Westen und Süden, besonders gegen Syrien und Babylonien. Es waren ihre eigenen Stammverwandten, gegen die sie die wichtigsten Feldzüge unternahmen. Denn die Assyrier waren wie diese Chaldäer und den Babyloniern nahe verwandt. Sie hatten dieselbe Religion, nur ihr Nationalgott Assur stand dem Bel Baby- loniens feindlich gegenüber. Ihre Sprache war nur dialektlich ver- schieden. Kleidung, Bewaffnung, Sitten und Gebräuche waren durch- aus ähnlich. Nach dieser Überlieferung tritt wieder eine Lücke in der Geschichte Assyriens ein. Erst von der Zeit Assurbanipals (um 880 v. Chr.) an flieſsen die Quellen reichlicher. Er führte siegreiche Kriege gegen die Bergvölker sowie gegen die Syrier, und erzwang selbst von den Handels-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/131>, abgerufen am 28.04.2024.