Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

Bild:
<< vorherige Seite

Syrien.
sei, ohne dass die westasiatischen Händler und Erzschmelzer eine Ahnung
davon hatten, aus welchem Lande das Metall stammte. Für diese
Ansicht spricht der Umstand, dass die Phönizier die kontinentalen
Überlandwege des Zinnhandels nicht geschaffen haben, sondern vor-
fanden, dass sie ihnen mit Eifer nachgingen und ihre ältesten Kolonieen
zum Teil an den Ausgangspunkten dieses Überlandhandels nach dem
Mittelländischen Meere angelegt wurden. Unzweifelhaft ist, dass ein
kontinentaler Handel mit britannischem Zinn geraume Zeit vor Auffin-
dung des Seeweges nach den Kassiteriden schon bestand. Und wenn
wir auch die Ansicht, dass alles Zinn der Phönizier von jeher von
Britannien gekommen sei, durchaus nicht zu der unserigen machen wollen,
so ist es doch von höchstem Interesse, die Landhandelswege des Zinnes
näher ins Auge zu fassen, da sie für die Kulturentwickelung von hervor-
ragender Bedeutung sind. Die Handelsstrassen der Kontinente folgten
zu allen Zeiten den Hauptflussthälern. Da waren es denn der britan-
nischen Küste gegenüber zwei Hauptflüsse, die von jeher für den
Handel dieser Insel die wichtigsten waren, die Seine und der Rhein.
Die Handelsstrasse des Seinethales führte von selbst in die des Rhone-
thales. Diese Strasse war für die Erreichung des Mittelmeeres die
kürzeste und bequemste. Der Handelsweg des Rheines hat für England
die Vorteile, dass die Überfahrt des Kanales zur See kürzer und sicherer
ist, dass der Rhein ein längerer und wasserreicherer, deshalb für die
Schiffahrt zuverlässigerer Strom ist, ferner, dass er nach dem östlichen
Europa, also nach Griechenland und Westasien den kürzeren Weg bildet.
Vom oberen Rheinthale aus sind die Übergänge freilich alle beschwer-
lich und gefahrvoll, aber man kann von da ebensowohl das Rhonethal,
als das Thal des Po, wie das der Donau erreichen und diese Dreiteilung
des Handelsweges vom Oberrhein aus hat auch schon in alter Zeit be-
standen. Schon ehe Gades entstand, d. h. schon ehe die Phönizier direkt
auf dem Seewege zu den Kassiteriden gelangten, gab es eine kürzere
Überlandstrasse, die von der Mündung der Garonne über Tolosa (Toulouse)
nach Narbo (Narbonne) führte. Alle diese Handelsstrassen haben ihre
wechselnden Schicksale gehabt. Die Überlandwege sind aber nur in
friedlichen Zeiten sicher; je länger sie sind, durch je verschiedener
Stämme Gebiet ein grosser Handelsweg geht, je unzuverlässiger sind sie.
Dies ist der Grund, weshalb, obgleich die Überlandwege durchgehends
näher waren und trotz der unvollkommenen Schiffahrtskunde dennoch
der Seeweg durch die Säulen des Herkules bis zu den Kassiteriden,
nachdem er einmal bekannt geworden war, alle anderen Handelsstrassen
in den Hintergrund drängte und der Hauptweg für den Zinnhandel

Syrien.
sei, ohne daſs die westasiatischen Händler und Erzschmelzer eine Ahnung
davon hatten, aus welchem Lande das Metall stammte. Für diese
Ansicht spricht der Umstand, daſs die Phönizier die kontinentalen
Überlandwege des Zinnhandels nicht geschaffen haben, sondern vor-
fanden, daſs sie ihnen mit Eifer nachgingen und ihre ältesten Kolonieen
zum Teil an den Ausgangspunkten dieses Überlandhandels nach dem
Mittelländischen Meere angelegt wurden. Unzweifelhaft ist, daſs ein
kontinentaler Handel mit britannischem Zinn geraume Zeit vor Auffin-
dung des Seeweges nach den Kassiteriden schon bestand. Und wenn
wir auch die Ansicht, daſs alles Zinn der Phönizier von jeher von
Britannien gekommen sei, durchaus nicht zu der unserigen machen wollen,
so ist es doch von höchstem Interesse, die Landhandelswege des Zinnes
näher ins Auge zu fassen, da sie für die Kulturentwickelung von hervor-
ragender Bedeutung sind. Die Handelsstraſsen der Kontinente folgten
zu allen Zeiten den Hauptfluſsthälern. Da waren es denn der britan-
nischen Küste gegenüber zwei Hauptflüsse, die von jeher für den
Handel dieser Insel die wichtigsten waren, die Seine und der Rhein.
Die Handelsstraſse des Seinethales führte von selbst in die des Rhone-
thales. Diese Straſse war für die Erreichung des Mittelmeeres die
kürzeste und bequemste. Der Handelsweg des Rheines hat für England
die Vorteile, daſs die Überfahrt des Kanales zur See kürzer und sicherer
ist, daſs der Rhein ein längerer und wasserreicherer, deshalb für die
Schiffahrt zuverlässigerer Strom ist, ferner, daſs er nach dem östlichen
Europa, also nach Griechenland und Westasien den kürzeren Weg bildet.
Vom oberen Rheinthale aus sind die Übergänge freilich alle beschwer-
lich und gefahrvoll, aber man kann von da ebensowohl das Rhonethal,
als das Thal des Po, wie das der Donau erreichen und diese Dreiteilung
des Handelsweges vom Oberrhein aus hat auch schon in alter Zeit be-
standen. Schon ehe Gades entstand, d. h. schon ehe die Phönizier direkt
auf dem Seewege zu den Kassiteriden gelangten, gab es eine kürzere
Überlandstraſse, die von der Mündung der Garonne über Tolosa (Toulouse)
nach Narbo (Narbonne) führte. Alle diese Handelsstraſsen haben ihre
wechselnden Schicksale gehabt. Die Überlandwege sind aber nur in
friedlichen Zeiten sicher; je länger sie sind, durch je verschiedener
Stämme Gebiet ein groſser Handelsweg geht, je unzuverlässiger sind sie.
Dies ist der Grund, weshalb, obgleich die Überlandwege durchgehends
näher waren und trotz der unvollkommenen Schiffahrtskunde dennoch
der Seeweg durch die Säulen des Herkules bis zu den Kassiteriden,
nachdem er einmal bekannt geworden war, alle anderen Handelsstraſsen
in den Hintergrund drängte und der Hauptweg für den Zinnhandel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0209" n="187"/><fw place="top" type="header">Syrien.</fw><lb/>
sei, ohne da&#x017F;s die westasiatischen Händler und Erzschmelzer eine Ahnung<lb/>
davon hatten, aus welchem Lande das Metall stammte. Für diese<lb/>
Ansicht spricht der Umstand, da&#x017F;s die Phönizier die kontinentalen<lb/>
Überlandwege des Zinnhandels nicht geschaffen haben, sondern vor-<lb/>
fanden, da&#x017F;s sie ihnen mit Eifer nachgingen und ihre ältesten Kolonieen<lb/>
zum Teil an den Ausgangspunkten dieses Überlandhandels nach dem<lb/>
Mittelländischen Meere angelegt wurden. Unzweifelhaft ist, da&#x017F;s ein<lb/>
kontinentaler Handel mit britannischem Zinn geraume Zeit vor Auffin-<lb/>
dung des Seeweges nach den Kassiteriden schon bestand. Und wenn<lb/>
wir auch die Ansicht, da&#x017F;s alles Zinn der Phönizier von jeher von<lb/>
Britannien gekommen sei, durchaus nicht zu der unserigen machen wollen,<lb/>
so ist es doch von höchstem Interesse, die Landhandelswege des Zinnes<lb/>
näher ins Auge zu fassen, da sie für die Kulturentwickelung von hervor-<lb/>
ragender Bedeutung sind. Die Handelsstra&#x017F;sen der Kontinente folgten<lb/>
zu allen Zeiten den Hauptflu&#x017F;sthälern. Da waren es denn der britan-<lb/>
nischen Küste gegenüber zwei Hauptflüsse, die von jeher für den<lb/>
Handel dieser Insel die wichtigsten waren, die Seine und der Rhein.<lb/>
Die Handelsstra&#x017F;se des Seinethales führte von selbst in die des Rhone-<lb/>
thales. Diese Stra&#x017F;se war für die Erreichung des Mittelmeeres die<lb/>
kürzeste und bequemste. Der Handelsweg des Rheines hat für England<lb/>
die Vorteile, da&#x017F;s die Überfahrt des Kanales zur See kürzer und sicherer<lb/>
ist, da&#x017F;s der Rhein ein längerer und wasserreicherer, deshalb für die<lb/>
Schiffahrt zuverlässigerer Strom ist, ferner, da&#x017F;s er nach dem östlichen<lb/>
Europa, also nach Griechenland und Westasien den kürzeren Weg bildet.<lb/>
Vom oberen Rheinthale aus sind die Übergänge freilich alle beschwer-<lb/>
lich und gefahrvoll, aber man kann von da ebensowohl das Rhonethal,<lb/>
als das Thal des Po, wie das der Donau erreichen und diese Dreiteilung<lb/>
des Handelsweges vom Oberrhein aus hat auch schon in alter Zeit be-<lb/>
standen. Schon ehe Gades entstand, d. h. schon ehe die Phönizier direkt<lb/>
auf dem Seewege zu den Kassiteriden gelangten, gab es eine kürzere<lb/>
Überlandstra&#x017F;se, die von der Mündung der Garonne über Tolosa (Toulouse)<lb/>
nach Narbo (Narbonne) führte. Alle diese Handelsstra&#x017F;sen haben ihre<lb/>
wechselnden Schicksale gehabt. Die Überlandwege sind aber nur in<lb/>
friedlichen Zeiten sicher; je länger sie sind, durch je verschiedener<lb/>
Stämme Gebiet ein gro&#x017F;ser Handelsweg geht, je unzuverlässiger sind sie.<lb/>
Dies ist der Grund, weshalb, obgleich die Überlandwege durchgehends<lb/>
näher waren und trotz der unvollkommenen Schiffahrtskunde dennoch<lb/>
der Seeweg durch die Säulen des Herkules bis zu den Kassiteriden,<lb/>
nachdem er einmal bekannt geworden war, alle anderen Handelsstra&#x017F;sen<lb/>
in den Hintergrund drängte und der Hauptweg für den Zinnhandel<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0209] Syrien. sei, ohne daſs die westasiatischen Händler und Erzschmelzer eine Ahnung davon hatten, aus welchem Lande das Metall stammte. Für diese Ansicht spricht der Umstand, daſs die Phönizier die kontinentalen Überlandwege des Zinnhandels nicht geschaffen haben, sondern vor- fanden, daſs sie ihnen mit Eifer nachgingen und ihre ältesten Kolonieen zum Teil an den Ausgangspunkten dieses Überlandhandels nach dem Mittelländischen Meere angelegt wurden. Unzweifelhaft ist, daſs ein kontinentaler Handel mit britannischem Zinn geraume Zeit vor Auffin- dung des Seeweges nach den Kassiteriden schon bestand. Und wenn wir auch die Ansicht, daſs alles Zinn der Phönizier von jeher von Britannien gekommen sei, durchaus nicht zu der unserigen machen wollen, so ist es doch von höchstem Interesse, die Landhandelswege des Zinnes näher ins Auge zu fassen, da sie für die Kulturentwickelung von hervor- ragender Bedeutung sind. Die Handelsstraſsen der Kontinente folgten zu allen Zeiten den Hauptfluſsthälern. Da waren es denn der britan- nischen Küste gegenüber zwei Hauptflüsse, die von jeher für den Handel dieser Insel die wichtigsten waren, die Seine und der Rhein. Die Handelsstraſse des Seinethales führte von selbst in die des Rhone- thales. Diese Straſse war für die Erreichung des Mittelmeeres die kürzeste und bequemste. Der Handelsweg des Rheines hat für England die Vorteile, daſs die Überfahrt des Kanales zur See kürzer und sicherer ist, daſs der Rhein ein längerer und wasserreicherer, deshalb für die Schiffahrt zuverlässigerer Strom ist, ferner, daſs er nach dem östlichen Europa, also nach Griechenland und Westasien den kürzeren Weg bildet. Vom oberen Rheinthale aus sind die Übergänge freilich alle beschwer- lich und gefahrvoll, aber man kann von da ebensowohl das Rhonethal, als das Thal des Po, wie das der Donau erreichen und diese Dreiteilung des Handelsweges vom Oberrhein aus hat auch schon in alter Zeit be- standen. Schon ehe Gades entstand, d. h. schon ehe die Phönizier direkt auf dem Seewege zu den Kassiteriden gelangten, gab es eine kürzere Überlandstraſse, die von der Mündung der Garonne über Tolosa (Toulouse) nach Narbo (Narbonne) führte. Alle diese Handelsstraſsen haben ihre wechselnden Schicksale gehabt. Die Überlandwege sind aber nur in friedlichen Zeiten sicher; je länger sie sind, durch je verschiedener Stämme Gebiet ein groſser Handelsweg geht, je unzuverlässiger sind sie. Dies ist der Grund, weshalb, obgleich die Überlandwege durchgehends näher waren und trotz der unvollkommenen Schiffahrtskunde dennoch der Seeweg durch die Säulen des Herkules bis zu den Kassiteriden, nachdem er einmal bekannt geworden war, alle anderen Handelsstraſsen in den Hintergrund drängte und der Hauptweg für den Zinnhandel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/209
Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/209>, abgerufen am 02.05.2024.