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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884.

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Turanier und Mongolen.
zu geben. Sie erzählt, die Tu-ku seien anfänglich einem anderen,
unbestimmten Volk der Tatarei, den Schen-schen dienstbar gewesen; als
aber im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung einer ihrer Häupt-
linge sich erdreistete, um die Tochter des Königs von Schen-schen zu
werben und er von diesem mit der verächtlichen Antwort: "Du bist
ja nur mein metallschmelzender Sklave" abgewiesen worden war, ver-
sammelte er ein Heer und schlug den König von Schen-chen so voll-
ständig, dass dieser sich das Leben nahm. Also legten die Tu-ku, die
bis dahin für das Volk der Schen-schen die Eisenbergwerke am
Kian-schan, d. h. am Goldberg (dem Altai) ausgebeutet hatten, den
Grund zu ihrer Macht.

Schwerlich hat die alte Sage der Mongolen ihren Grund in diesem
historischen Ereignis. Die Tu-ku scheinen vielmehr ein Tatarenstamm
gewesen zu sein, vielleicht die Kusnetzkie-Tatari, die, als die Russen
im zehnten Jahrhundert mit ihnen in Berührung kamen, unter der Bot-
mässigkeit von Altya-Chan standen, dessen Macht sich über den Telecker
See und den Altai erstreckte und der den Russen lange ein gefährlicher
Feind war.

Wenn diese Überlieferungen sich auch nur zu einem verworrenen
Bilde gestalten, so geht doch das eine mit Sicherheit hervor, dass die
ganze Altaikette ein uralter Sitz der Metallgewinnung und darunter
auch ganz besonders der Eisengewinnung war. Dies wird bestätigt
durch eine Betrachtung der jetzigen Metallindustrie jener Völker.
Die Bauern in Daurien haben so lange man weiss ihr Eisen selbst
geschmolzen. Pallas beschreibt 1) die Arbeit der Kaitunschen Schmiede,
als ein Beispiel dieser in ganz Ostsibirien verbreiteten Art der Eisen-
gewinnung.

Das Erz wird im Herbst vor dem Schneefall, ehe noch die Erde
festgefroren ist, gegraben und nach Hause gefahren. Ein Mann kann den
Tag 50 Pud gleich etwa 161/2 Zentner und darüber gewinnen. Das Erz
ist strengflüssig und wird zuerst in Haufen stark geröstet, worauf es
auf einer Gusseisenplatte klein geklopft wird. Der Schmelzofen pflegt
in der Ecke der Schmiede aufgeführt zu sein; er besteht aus einem
56 Zoll hohen und ebenso breiten, viereckigen Gemäuer. Der cylin-
drische Schmelzraum mit 14 Zoll Durchmesser erweitert sich unten im
Herd auf drei Spannen. Vor dem Ofen befindet sich eine entsprechende
Grube. Nachdem der Herd aus Kohlenstücke gestampft ist, wird die
Thonform, die 21/2 Zoll lichte Weite hat, eingelegt. Sie ragt ungefähr

1) Pallas, Reise nach Sibirien, vol. III, p. 151.

Turanier und Mongolen.
zu geben. Sie erzählt, die Tu-ku seien anfänglich einem anderen,
unbestimmten Volk der Tatarei, den Schen-schen dienstbar gewesen; als
aber im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung einer ihrer Häupt-
linge sich erdreistete, um die Tochter des Königs von Schen-schen zu
werben und er von diesem mit der verächtlichen Antwort: „Du bist
ja nur mein metallschmelzender Sklave“ abgewiesen worden war, ver-
sammelte er ein Heer und schlug den König von Schen-chen so voll-
ständig, daſs dieser sich das Leben nahm. Also legten die Tu-ku, die
bis dahin für das Volk der Schen-schen die Eisenbergwerke am
Kian-schan, d. h. am Goldberg (dem Altai) ausgebeutet hatten, den
Grund zu ihrer Macht.

Schwerlich hat die alte Sage der Mongolen ihren Grund in diesem
historischen Ereignis. Die Tu-ku scheinen vielmehr ein Tatarenstamm
gewesen zu sein, vielleicht die Kusnetzkie-Tatari, die, als die Russen
im zehnten Jahrhundert mit ihnen in Berührung kamen, unter der Bot-
mäſsigkeit von Altya-Chan standen, dessen Macht sich über den Telecker
See und den Altai erstreckte und der den Russen lange ein gefährlicher
Feind war.

Wenn diese Überlieferungen sich auch nur zu einem verworrenen
Bilde gestalten, so geht doch das eine mit Sicherheit hervor, daſs die
ganze Altaikette ein uralter Sitz der Metallgewinnung und darunter
auch ganz besonders der Eisengewinnung war. Dies wird bestätigt
durch eine Betrachtung der jetzigen Metallindustrie jener Völker.
Die Bauern in Daurien haben so lange man weiſs ihr Eisen selbst
geschmolzen. Pallas beschreibt 1) die Arbeit der Kaitunschen Schmiede,
als ein Beispiel dieser in ganz Ostsibirien verbreiteten Art der Eisen-
gewinnung.

Das Erz wird im Herbst vor dem Schneefall, ehe noch die Erde
festgefroren ist, gegraben und nach Hause gefahren. Ein Mann kann den
Tag 50 Pud gleich etwa 16½ Zentner und darüber gewinnen. Das Erz
ist strengflüssig und wird zuerst in Haufen stark geröstet, worauf es
auf einer Guſseisenplatte klein geklopft wird. Der Schmelzofen pflegt
in der Ecke der Schmiede aufgeführt zu sein; er besteht aus einem
56 Zoll hohen und ebenso breiten, viereckigen Gemäuer. Der cylin-
drische Schmelzraum mit 14 Zoll Durchmesser erweitert sich unten im
Herd auf drei Spannen. Vor dem Ofen befindet sich eine entsprechende
Grube. Nachdem der Herd aus Kohlenstücke gestampft ist, wird die
Thonform, die 2½ Zoll lichte Weite hat, eingelegt. Sie ragt ungefähr

1) Pallas, Reise nach Sibirien, vol. III, p. 151.
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[283/0305] Turanier und Mongolen. zu geben. Sie erzählt, die Tu-ku seien anfänglich einem anderen, unbestimmten Volk der Tatarei, den Schen-schen dienstbar gewesen; als aber im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung einer ihrer Häupt- linge sich erdreistete, um die Tochter des Königs von Schen-schen zu werben und er von diesem mit der verächtlichen Antwort: „Du bist ja nur mein metallschmelzender Sklave“ abgewiesen worden war, ver- sammelte er ein Heer und schlug den König von Schen-chen so voll- ständig, daſs dieser sich das Leben nahm. Also legten die Tu-ku, die bis dahin für das Volk der Schen-schen die Eisenbergwerke am Kian-schan, d. h. am Goldberg (dem Altai) ausgebeutet hatten, den Grund zu ihrer Macht. Schwerlich hat die alte Sage der Mongolen ihren Grund in diesem historischen Ereignis. Die Tu-ku scheinen vielmehr ein Tatarenstamm gewesen zu sein, vielleicht die Kusnetzkie-Tatari, die, als die Russen im zehnten Jahrhundert mit ihnen in Berührung kamen, unter der Bot- mäſsigkeit von Altya-Chan standen, dessen Macht sich über den Telecker See und den Altai erstreckte und der den Russen lange ein gefährlicher Feind war. Wenn diese Überlieferungen sich auch nur zu einem verworrenen Bilde gestalten, so geht doch das eine mit Sicherheit hervor, daſs die ganze Altaikette ein uralter Sitz der Metallgewinnung und darunter auch ganz besonders der Eisengewinnung war. Dies wird bestätigt durch eine Betrachtung der jetzigen Metallindustrie jener Völker. Die Bauern in Daurien haben so lange man weiſs ihr Eisen selbst geschmolzen. Pallas beschreibt 1) die Arbeit der Kaitunschen Schmiede, als ein Beispiel dieser in ganz Ostsibirien verbreiteten Art der Eisen- gewinnung. Das Erz wird im Herbst vor dem Schneefall, ehe noch die Erde festgefroren ist, gegraben und nach Hause gefahren. Ein Mann kann den Tag 50 Pud gleich etwa 16½ Zentner und darüber gewinnen. Das Erz ist strengflüssig und wird zuerst in Haufen stark geröstet, worauf es auf einer Guſseisenplatte klein geklopft wird. Der Schmelzofen pflegt in der Ecke der Schmiede aufgeführt zu sein; er besteht aus einem 56 Zoll hohen und ebenso breiten, viereckigen Gemäuer. Der cylin- drische Schmelzraum mit 14 Zoll Durchmesser erweitert sich unten im Herd auf drei Spannen. Vor dem Ofen befindet sich eine entsprechende Grube. Nachdem der Herd aus Kohlenstücke gestampft ist, wird die Thonform, die 2½ Zoll lichte Weite hat, eingelegt. Sie ragt ungefähr 1) Pallas, Reise nach Sibirien, vol. III, p. 151.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 1: Von der ältesten Zeit bis um das Jahr 1500 n. Chr. Braunschweig, 1884, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen01_1884/305>, abgerufen am 22.11.2024.