Reaumur hat in dieser Abhandlung selbst die irrige Ansicht ausgesprochen, dass diese Kunst schon in alten Zeiten bekannt ge- wesen und später verloren gegangen sei. Hierzu wurde er verführt durch angebliche Überlieferungen der Eisenarbeiter, welche die wunder- baren Schmiedearbeiten des Mittelalters, speziell die herrlichen Thür- beschläge der Notre Dame-Kirche, für Werke einer verlorenen Geheim- kunst oder nach Reaumurs Deutung für aduzierten Kunstguss erklärten. Diese ganz grundlose Annahme war nur daraus ent- standen, dass man im Anfang des 18. Jahrhunderts ausser stande war, so vortreffliche Schmiedearbeiten nur mit dem Hammer herzustellen, und dass man dies noch weniger den vermeintlich viel ungeschickteren Vorfahren zutraute. Wir wissen, wie falsch diese Annahme war.
Richtig ist dagegen, dass der obenerwähnte Unternehmer ("Par- tikulier") zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine Gesellschaft zur Aus- beutung des von ihm geheimgehaltenen Aduzierverfahrens zusammen- gebracht und auch einige ganz hübsche Sachen angefertigt hatte; aber das Unternehmen ging zu Grunde, der Unternehmer verschwand und man hat nie erfahren, was aus ihm geworden ist. Er war seiner Methode nicht genügend sicher und der Erfolg hing zu sehr vom Zufall ab. Oft kamen die eingesetzten Waren noch ganz hart und unverändert aus dem Ofen, noch öfter waren die Gussstücke durch eine dicke Oxydkruste entstellt. Dem ungeachtet bedauert es Reaumur lebhaft, dass das Geheimnis auf diese Weise verloren gegangen war, da er, wenn dies nicht geschehen wäre, viele Mühe und Arbeit gespart hätte. So war er gezwungen, sich seinen Weg selbst zu suchen und eine grosse Reihe von Versuchen anzustellen. Er that dies mit der Gründlichkeit und Planmässigkeit, welche alle seine Untersuchungen auszeichnen.
Die Aufgabe war, wie Reaumur in seiner ersten Memoire aus- führt, Gusswaren, welche hart und spröde waren, weich und schmied- bar zu machen. Obgleich man bis dahin meist nur grobe Ware, wie Kaminplatten, Öfen, Töpfe, Röhren und dergleichen aus Eisen ge- gossen hatte, so lag doch kein Grund vor, auch Kunstgeräte, Zier- stücke aller Art wie aus Bronze zu giessen. Hierfür kam in erster Linie die richtige Auswahl des Roheisens in Betracht. Weisses Eisen erschien Reaumur für am geeignetsten, weil es nach seiner Ansicht reiner war als graues. Das graue Roheisen enthielt nach seiner Meinung viele fremde, erdige Substanzen eingemengt. Dass man ihm für gewöhnliche Gusswaren den Vorzug gab, geschähe nur deshalb, weil es sich besser bearbeiten lasse. An und für sich könne man
Schmiedbarer Guſs.
Reaumur hat in dieser Abhandlung selbst die irrige Ansicht ausgesprochen, daſs diese Kunst schon in alten Zeiten bekannt ge- wesen und später verloren gegangen sei. Hierzu wurde er verführt durch angebliche Überlieferungen der Eisenarbeiter, welche die wunder- baren Schmiedearbeiten des Mittelalters, speziell die herrlichen Thür- beschläge der Notre Dame-Kirche, für Werke einer verlorenen Geheim- kunst oder nach Reaumurs Deutung für aduzierten Kunstguſs erklärten. Diese ganz grundlose Annahme war nur daraus ent- standen, daſs man im Anfang des 18. Jahrhunderts auſser stande war, so vortreffliche Schmiedearbeiten nur mit dem Hammer herzustellen, und daſs man dies noch weniger den vermeintlich viel ungeschickteren Vorfahren zutraute. Wir wissen, wie falsch diese Annahme war.
Richtig ist dagegen, daſs der obenerwähnte Unternehmer („Par- tikulier“) zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine Gesellschaft zur Aus- beutung des von ihm geheimgehaltenen Aduzierverfahrens zusammen- gebracht und auch einige ganz hübsche Sachen angefertigt hatte; aber das Unternehmen ging zu Grunde, der Unternehmer verschwand und man hat nie erfahren, was aus ihm geworden ist. Er war seiner Methode nicht genügend sicher und der Erfolg hing zu sehr vom Zufall ab. Oft kamen die eingesetzten Waren noch ganz hart und unverändert aus dem Ofen, noch öfter waren die Guſsstücke durch eine dicke Oxydkruste entstellt. Dem ungeachtet bedauert es Reaumur lebhaft, daſs das Geheimnis auf diese Weise verloren gegangen war, da er, wenn dies nicht geschehen wäre, viele Mühe und Arbeit gespart hätte. So war er gezwungen, sich seinen Weg selbst zu suchen und eine groſse Reihe von Versuchen anzustellen. Er that dies mit der Gründlichkeit und Planmäſsigkeit, welche alle seine Untersuchungen auszeichnen.
Die Aufgabe war, wie Reaumur in seiner ersten Memoire aus- führt, Guſswaren, welche hart und spröde waren, weich und schmied- bar zu machen. Obgleich man bis dahin meist nur grobe Ware, wie Kaminplatten, Öfen, Töpfe, Röhren und dergleichen aus Eisen ge- gossen hatte, so lag doch kein Grund vor, auch Kunstgeräte, Zier- stücke aller Art wie aus Bronze zu gieſsen. Hierfür kam in erster Linie die richtige Auswahl des Roheisens in Betracht. Weiſses Eisen erschien Reaumur für am geeignetsten, weil es nach seiner Ansicht reiner war als graues. Das graue Roheisen enthielt nach seiner Meinung viele fremde, erdige Substanzen eingemengt. Daſs man ihm für gewöhnliche Guſswaren den Vorzug gab, geschähe nur deshalb, weil es sich besser bearbeiten lasse. An und für sich könne man
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Schmiedbarer Guſs.
Reaumur hat in dieser Abhandlung selbst die irrige Ansicht
ausgesprochen, daſs diese Kunst schon in alten Zeiten bekannt ge-
wesen und später verloren gegangen sei. Hierzu wurde er verführt
durch angebliche Überlieferungen der Eisenarbeiter, welche die wunder-
baren Schmiedearbeiten des Mittelalters, speziell die herrlichen Thür-
beschläge der Notre Dame-Kirche, für Werke einer verlorenen Geheim-
kunst oder nach Reaumurs Deutung für aduzierten Kunstguſs
erklärten. Diese ganz grundlose Annahme war nur daraus ent-
standen, daſs man im Anfang des 18. Jahrhunderts auſser stande war,
so vortreffliche Schmiedearbeiten nur mit dem Hammer herzustellen,
und daſs man dies noch weniger den vermeintlich viel ungeschickteren
Vorfahren zutraute. Wir wissen, wie falsch diese Annahme war.
Richtig ist dagegen, daſs der obenerwähnte Unternehmer („Par-
tikulier“) zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine Gesellschaft zur Aus-
beutung des von ihm geheimgehaltenen Aduzierverfahrens zusammen-
gebracht und auch einige ganz hübsche Sachen angefertigt hatte;
aber das Unternehmen ging zu Grunde, der Unternehmer verschwand
und man hat nie erfahren, was aus ihm geworden ist. Er war seiner
Methode nicht genügend sicher und der Erfolg hing zu sehr vom
Zufall ab. Oft kamen die eingesetzten Waren noch ganz hart und
unverändert aus dem Ofen, noch öfter waren die Guſsstücke durch
eine dicke Oxydkruste entstellt. Dem ungeachtet bedauert es
Reaumur lebhaft, daſs das Geheimnis auf diese Weise verloren
gegangen war, da er, wenn dies nicht geschehen wäre, viele Mühe
und Arbeit gespart hätte. So war er gezwungen, sich seinen Weg
selbst zu suchen und eine groſse Reihe von Versuchen anzustellen.
Er that dies mit der Gründlichkeit und Planmäſsigkeit, welche alle
seine Untersuchungen auszeichnen.
Die Aufgabe war, wie Reaumur in seiner ersten Memoire aus-
führt, Guſswaren, welche hart und spröde waren, weich und schmied-
bar zu machen. Obgleich man bis dahin meist nur grobe Ware, wie
Kaminplatten, Öfen, Töpfe, Röhren und dergleichen aus Eisen ge-
gossen hatte, so lag doch kein Grund vor, auch Kunstgeräte, Zier-
stücke aller Art wie aus Bronze zu gieſsen. Hierfür kam in erster
Linie die richtige Auswahl des Roheisens in Betracht. Weiſses Eisen
erschien Reaumur für am geeignetsten, weil es nach seiner Ansicht
reiner war als graues. Das graue Roheisen enthielt nach seiner
Meinung viele fremde, erdige Substanzen eingemengt. Daſs man ihm
für gewöhnliche Guſswaren den Vorzug gab, geschähe nur deshalb,
weil es sich besser bearbeiten lasse. An und für sich könne man
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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 3: Das XVIII. Jahrhundert. Braunschweig, 1897, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen03_1897/242>, abgerufen am 27.11.2024.
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