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Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860.

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aufmacht. Ein einfältiges Kerzenlicht brennt nicht in solcher
Luft, und unser Lebenslicht, das noch viel feiner und zarter ist,
das sollte denn brennen und gar fröhlich flackern in einer so
armen erbärmlichen Luft! Ein deutscher Dichter hat gerufen,
und zwar denke ich, nicht nur für sich, sondern für's Allgemeine,
für's Volk: "Platz, ihr Herrn, dem Flügelschlag einer
freien Seele!" Das ist ganz recht; aber vorher sollten wir doch
etwas Luft wollen zum Schnaufen, etwas Luft für's arme leib-
liche Leben. Das Flügeln kommt dann noch nicht von selbst;
ein freier Mann sind wir dann noch nicht ohne weiteres; aber
es ist ihm mächtig vorgearbeitet. Umgekehrt, so lange wir nicht
stark und gesund sind, ist das Flügeln ein leeres Ding.

7. Temperatur. Draußen in der Natur findet ein großer,
oft plötzlicher Temperaturwechsel statt. Es kann von einem Tag
auf den andern bei 10 Graden antreffen. Die Wohnung soll
uns vor diesem heftigen Wechsel etwas schützen; sie soll eine
Ausgleicherin sein. Draußen ist es oft sehr kalt. Wir brauchen
aber zu unserm Wohlbefinden eine gewisse Wärme. Nur in
dieser gehen Blutumlauf, Ausdünstung, die Thätigkeiten des
Nervensystems in gehöriger Weise vor sich. Ganz besonders gilt
dieß für Kinder, alte Leute, Schwächliche und solche, die eine
sitzende Lebensweise führen. Aber auch unser geistiges Leben
will eine gewisse Wärme haben. Wenn uns friert, giebt es
keine lebhaften Gespräche; die Gedanken wollen nicht von ein-
ander; es fließt nicht. Man probiere es nur, mit Freunden in
einer kalten Stube zusammen zu sitzen, was das für eine präch-
tige Unterhaltung und einen schönen Abend geben wird. Daß
man Gott dankt, wenn's aus ist und man in's Bett kann und
die kalte Nase unter die Decke verbergen, bis sie wieder ent-
friert. Unser Körper hat nun eigene Wärme. Durch das Athmen
und andere Vorgänge in unserm Jnnern erzeugen wir solche
Wärme. Auf der einen Seite können wir nun so ziemlich
unsere Eigenwärme auf der gleichen Stufe behaupten, ob Kälte
oder Wärme von außen auf uns einwirke, ob es Sommer oder
Winter sei, ob wir in der heißen oder kalten Zone leben. Auf
der andern Seite hat aber unser Körper mit allen andern Kör-
pern auch die Eigenschaft gemein, seine Eigenwärme mit der

aufmacht. Ein einfältiges Kerzenlicht brennt nicht in ſolcher
Luft, und unſer Lebenslicht, das noch viel feiner und zarter iſt,
das ſollte denn brennen und gar fröhlich flackern in einer ſo
armen erbärmlichen Luft! Ein deutſcher Dichter hat gerufen,
und zwar denke ich, nicht nur für ſich, ſondern für's Allgemeine,
für's Volk: „Platz, ihr Herrn, dem Flügelſchlag einer
freien Seele!“ Das iſt ganz recht; aber vorher ſollten wir doch
etwas Luft wollen zum Schnaufen, etwas Luft für's arme leib-
liche Leben. Das Flügeln kommt dann noch nicht von ſelbſt;
ein freier Mann ſind wir dann noch nicht ohne weiteres; aber
es iſt ihm mächtig vorgearbeitet. Umgekehrt, ſo lange wir nicht
ſtark und geſund ſind, iſt das Flügeln ein leeres Ding.

7. Temperatur. Draußen in der Natur findet ein großer,
oft plötzlicher Temperaturwechſel ſtatt. Es kann von einem Tag
auf den andern bei 10 Graden antreffen. Die Wohnung ſoll
uns vor dieſem heftigen Wechſel etwas ſchützen; ſie ſoll eine
Ausgleicherin ſein. Draußen iſt es oft ſehr kalt. Wir brauchen
aber zu unſerm Wohlbefinden eine gewiſſe Wärme. Nur in
dieſer gehen Blutumlauf, Ausdünſtung, die Thätigkeiten des
Nervenſyſtems in gehöriger Weiſe vor ſich. Ganz beſonders gilt
dieß für Kinder, alte Leute, Schwächliche und ſolche, die eine
ſitzende Lebensweiſe führen. Aber auch unſer geiſtiges Leben
will eine gewiſſe Wärme haben. Wenn uns friert, giebt es
keine lebhaften Geſpräche; die Gedanken wollen nicht von ein-
ander; es fließt nicht. Man probiere es nur, mit Freunden in
einer kalten Stube zuſammen zu ſitzen, was das für eine präch-
tige Unterhaltung und einen ſchönen Abend geben wird. Daß
man Gott dankt, wenn's aus iſt und man in's Bett kann und
die kalte Naſe unter die Decke verbergen, bis ſie wieder ent-
friert. Unſer Körper hat nun eigene Wärme. Durch das Athmen
und andere Vorgänge in unſerm Jnnern erzeugen wir ſolche
Wärme. Auf der einen Seite können wir nun ſo ziemlich
unſere Eigenwärme auf der gleichen Stufe behaupten, ob Kälte
oder Wärme von außen auf uns einwirke, ob es Sommer oder
Winter ſei, ob wir in der heißen oder kalten Zone leben. Auf
der andern Seite hat aber unſer Körper mit allen andern Kör-
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Zitationshilfe: Becker, Bernhard: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten seien. Basel, 1860, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/becker_arbeiter_1860/57>, abgerufen am 23.11.2024.