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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Yeddo Residenz des Siogun. Sturz des Fide-yori.
Herrschersinn dem Jyeyas vollkommen gewachsen; sie schuf dem
Fide-yori im Stillen eine Parthei unter den Grossen, welche seinem
Gegner gefährlich werden konnte.

Jyeyas hielt in der Stadt Surunga, im südwestlichen Winkel
des Kuanto, Hof. Für seinen Sohn, den Siogun Fide-tada, hatte er,
statt Kamakura, der alten Hauptstadt der Minamoto, das nördlicher
gelegene Yeddo zur Residenz erwählt. Hier wurden im Jahre 1606
die Ringmauern aus grossen polygonischen Blöcken aufgeführt, die,
von breiten Wassergräben begleitet, das Schloss in ungeheurer
Ausdehnung mit dreifacher Umwallung einschliessen, ein Werk, das
heute noch das Staunen des Reisenden erregt. 300,000 Menschen
sollen nach den Berichten der Missionare daran gearbeitet haben. --
Yeddo sollte der Mittelpunkt der Streitmacht und der künftige Sitz
der Herrscher werden: Fide-tada umgab sich hier mit einem
glänzenden kriegerischen Hof und auserwähten Truppen, der mate-
riellen Basis der künftigen Macht seines Hauses, während Jyeyas von
Surunga aus den Mikado und sein Mündel Fide-yori beobachtete.
Eine starke Garnison, die oft gewechselt wurde, stand in Fusimi,
zwischen Miako und Osaka, um beide in Schach zu halten.

Was die Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten
gegeben habe, ob Fide-yori wirklich Miene gemacht, seinen Vor-
mund anzugreifen, ist ungewiss; dass aber seine Parthei nicht
unthätig, sondern auf Alles vorbereitet war, beweist der kräftige
Widerstand, den Jyeyas und Fide-tada fanden, als sie 1614 Osaka
überfielen. Sie mussten sich genügen lassen, Frieden zu schliessen
und nach Yeddo heimzuziehen, brachen aber von da alsbald wieder
auf, rückten in Eilmärschen gegen Osaka und griffen die Festung
von neuem an. Die Belagerten thun einen Ausfall, schon will sich
nach blutigem Kampfe der Sieg ihnen zuwenden, da stecken Ver-
räther in ihrem Rücken das Schloss in Brand. Fide-yori verschwand
in dem Gemetzel: wahrscheinlich ist er gefallen, doch fand man
seinen Leichnam nicht, und lange war die Meinung verbreitet, er lebe
in Kiusiu in der Verborgenheit. Seine Parthei war vernichtet; seine
Mutter soll gefangen nach Yeddo geführt und dort hingerichtet
worden sein.

Osaka fiel 1615. Schon im folgenden Jahre starb Jyeyas,
wahrscheinlich an einer im Entscheidungskampf erhaltenen Wunde.

Die Stellung des Jyeyas in der japanischen Geschichte ist
sehr merkwürdig. Der altberühmten Familie Minamoto entsprossen,

Yeddo Residenz des Siogun. Sturz des Fide-yori.
Herrschersinn dem Jyeyas vollkommen gewachsen; sie schuf dem
Fide-yori im Stillen eine Parthei unter den Grossen, welche seinem
Gegner gefährlich werden konnte.

Jyeyas hielt in der Stadt Suruṅga, im südwestlichen Winkel
des Kuanto, Hof. Für seinen Sohn, den Siogun Fide-tada, hatte er,
statt Kamakura, der alten Hauptstadt der Minamoto, das nördlicher
gelegene Yeddo zur Residenz erwählt. Hier wurden im Jahre 1606
die Ringmauern aus grossen polygonischen Blöcken aufgeführt, die,
von breiten Wassergräben begleitet, das Schloss in ungeheurer
Ausdehnung mit dreifacher Umwallung einschliessen, ein Werk, das
heute noch das Staunen des Reisenden erregt. 300,000 Menschen
sollen nach den Berichten der Missionare daran gearbeitet haben. —
Yeddo sollte der Mittelpunkt der Streitmacht und der künftige Sitz
der Herrscher werden: Fide-tada umgab sich hier mit einem
glänzenden kriegerischen Hof und auserwähten Truppen, der mate-
riellen Basis der künftigen Macht seines Hauses, während Jyeyas von
Suruṅga aus den Mikado und sein Mündel Fide-yori beobachtete.
Eine starke Garnison, die oft gewechselt wurde, stand in Fusimi,
zwischen Miako und Osaka, um beide in Schach zu halten.

Was die Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten
gegeben habe, ob Fide-yori wirklich Miene gemacht, seinen Vor-
mund anzugreifen, ist ungewiss; dass aber seine Parthei nicht
unthätig, sondern auf Alles vorbereitet war, beweist der kräftige
Widerstand, den Jyeyas und Fide-tada fanden, als sie 1614 Osaka
überfielen. Sie mussten sich genügen lassen, Frieden zu schliessen
und nach Yeddo heimzuziehen, brachen aber von da alsbald wieder
auf, rückten in Eilmärschen gegen Osaka und griffen die Festung
von neuem an. Die Belagerten thun einen Ausfall, schon will sich
nach blutigem Kampfe der Sieg ihnen zuwenden, da stecken Ver-
räther in ihrem Rücken das Schloss in Brand. Fide-yori verschwand
in dem Gemetzel: wahrscheinlich ist er gefallen, doch fand man
seinen Leichnam nicht, und lange war die Meinung verbreitet, er lebe
in Kiusiu in der Verborgenheit. Seine Parthei war vernichtet; seine
Mutter soll gefangen nach Yeddo geführt und dort hingerichtet
worden sein.

Osaka fiel 1615. Schon im folgenden Jahre starb Jyeyas,
wahrscheinlich an einer im Entscheidungskampf erhaltenen Wunde.

Die Stellung des Jyeyas in der japanischen Geschichte ist
sehr merkwürdig. Der altberühmten Familie Minamoto entsprossen,

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[74/0104] Yeddo Residenz des Siogun. Sturz des Fide-yori. Herrschersinn dem Jyeyas vollkommen gewachsen; sie schuf dem Fide-yori im Stillen eine Parthei unter den Grossen, welche seinem Gegner gefährlich werden konnte. Jyeyas hielt in der Stadt Suruṅga, im südwestlichen Winkel des Kuanto, Hof. Für seinen Sohn, den Siogun Fide-tada, hatte er, statt Kamakura, der alten Hauptstadt der Minamoto, das nördlicher gelegene Yeddo zur Residenz erwählt. Hier wurden im Jahre 1606 die Ringmauern aus grossen polygonischen Blöcken aufgeführt, die, von breiten Wassergräben begleitet, das Schloss in ungeheurer Ausdehnung mit dreifacher Umwallung einschliessen, ein Werk, das heute noch das Staunen des Reisenden erregt. 300,000 Menschen sollen nach den Berichten der Missionare daran gearbeitet haben. — Yeddo sollte der Mittelpunkt der Streitmacht und der künftige Sitz der Herrscher werden: Fide-tada umgab sich hier mit einem glänzenden kriegerischen Hof und auserwähten Truppen, der mate- riellen Basis der künftigen Macht seines Hauses, während Jyeyas von Suruṅga aus den Mikado und sein Mündel Fide-yori beobachtete. Eine starke Garnison, die oft gewechselt wurde, stand in Fusimi, zwischen Miako und Osaka, um beide in Schach zu halten. Was die Veranlassung zum Ausbruch der Feindseligkeiten gegeben habe, ob Fide-yori wirklich Miene gemacht, seinen Vor- mund anzugreifen, ist ungewiss; dass aber seine Parthei nicht unthätig, sondern auf Alles vorbereitet war, beweist der kräftige Widerstand, den Jyeyas und Fide-tada fanden, als sie 1614 Osaka überfielen. Sie mussten sich genügen lassen, Frieden zu schliessen und nach Yeddo heimzuziehen, brachen aber von da alsbald wieder auf, rückten in Eilmärschen gegen Osaka und griffen die Festung von neuem an. Die Belagerten thun einen Ausfall, schon will sich nach blutigem Kampfe der Sieg ihnen zuwenden, da stecken Ver- räther in ihrem Rücken das Schloss in Brand. Fide-yori verschwand in dem Gemetzel: wahrscheinlich ist er gefallen, doch fand man seinen Leichnam nicht, und lange war die Meinung verbreitet, er lebe in Kiusiu in der Verborgenheit. Seine Parthei war vernichtet; seine Mutter soll gefangen nach Yeddo geführt und dort hingerichtet worden sein. Osaka fiel 1615. Schon im folgenden Jahre starb Jyeyas, wahrscheinlich an einer im Entscheidungskampf erhaltenen Wunde. Die Stellung des Jyeyas in der japanischen Geschichte ist sehr merkwürdig. Der altberühmten Familie Minamoto entsprossen,

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/104>, abgerufen am 24.11.2024.