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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Verhältniss des Siogun zum Mikado.
der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate
ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsächlich seit einem
Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter
gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die
japanische Theokratie besteht noch heute zu Recht, aber der Ge-
brauch ist stärker als dieses Recht; so lange der Siogun die Daimio's
aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des Mikado
nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Yeddo
aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ihre Ansicht befragt
zu haben: der holländische Handelsvorsteher Doeff, welcher von
1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte
Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zwei derartige Fälle, die
sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich
um eine Verbesserung des Kalenders, um Einführung des Sonnen-
statt des Mondjahres 111); hier war der Schritt sehr natürlich, da
alle japanischen Kalender in Miako unter Aufsicht der Hofastronomen
gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der
russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal gebot Staatsklugheit
die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstimmung mit dem Mikado,
an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die
Daimio's lehnen konnten, um die Siogun-Dynastie zu stürzen; denn
die Ausschliessung der Fremden war ein wesentlicher Bestandtheil
des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als
die Centralregierung alle ihre Kräfte den inneren Angelegenheiten
zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des Siogun musste zunichte
werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten
waren ihm niemals gefährlich und auch eine Verbindung von
mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur
dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten.
Diesen bot aber nur der Thron des Mikado, um welchen sich die
Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart
hätten, wenn er dem Siogun entgegentrat. Die Autorität des Mikado
wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die Daimio's zu stützen
vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wenn der Siogun
nach aussen hin beschäftigt ist. -- Doeff betont ausdrücklich,

111) Das Nippon-ki erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der
ersten Sternwarte; 690 wurde der erste Kalender, eine Nachbildung des chinesischen,
förmlich eingeführt. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861;
1684 und endlich 1798.

Verhältniss des Siogun zum Mikado.
der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate
ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsächlich seit einem
Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter
gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die
japanische Theokratie besteht noch heute zu Recht, aber der Ge-
brauch ist stärker als dieses Recht; so lange der Siogun die Daïmio’s
aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des Mikado
nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Yeddo
aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ihre Ansicht befragt
zu haben: der holländische Handelsvorsteher Doeff, welcher von
1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte
Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zwei derartige Fälle, die
sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich
um eine Verbesserung des Kalenders, um Einführung des Sonnen-
statt des Mondjahres 111); hier war der Schritt sehr natürlich, da
alle japanischen Kalender in Miako unter Aufsicht der Hofastronomen
gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der
russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal gebot Staatsklugheit
die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstimmung mit dem Mikado,
an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die
Daïmio’s lehnen konnten, um die Siogun-Dynastie zu stürzen; denn
die Ausschliessung der Fremden war ein wesentlicher Bestandtheil
des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als
die Centralregierung alle ihre Kräfte den inneren Angelegenheiten
zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des Siogun musste zunichte
werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten
waren ihm niemals gefährlich und auch eine Verbindung von
mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur
dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten.
Diesen bot aber nur der Thron des Mikado, um welchen sich die
Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart
hätten, wenn er dem Siogun entgegentrat. Die Autorität des Mikado
wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die Daïmio’s zu stützen
vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wenn der Siogun
nach aussen hin beschäftigt ist. — Doeff betont ausdrücklich,

111) Das Nippon-ki erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der
ersten Sternwarte; 690 wurde der erste Kalender, eine Nachbildung des chinesischen,
förmlich eingeführt. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861;
1684 und endlich 1798.
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[112/0142] Verhältniss des Siogun zum Mikado. der oberste Souverän von Japan und die erste Person im Staate ist, kann Niemand bezweifeln, dass aber thatsächlich seit einem Jahrtausend die Macht immer in den Händen seiner Stellvertreter gelegen hat, beweist die japanische Geschichte ganz deutlich. Die japanische Theokratie besteht noch heute zu Recht, aber der Ge- brauch ist stärker als dieses Recht; so lange der Siogun die Daïmio’s aus eigener Macht beherrscht, bedarf er der Autorität des Mikado nicht. Erst seit Anfang dieses Jahrhunderts scheint man von Yeddo aus die Erbkaiser in belangreichen Fällen um ihre Ansicht befragt zu haben: der holländische Handelsvorsteher Doeff, welcher von 1798 bis 1817, also neunzehn Jahre in Japan war und das unbedingte Vertrauen der Behörden genoss, berichtet zwei derartige Fälle, die sich während seiner Anwesenheit zutrugen. Zuerst handelte es sich um eine Verbesserung des Kalenders, um Einführung des Sonnen- statt des Mondjahres 111); hier war der Schritt sehr natürlich, da alle japanischen Kalender in Miako unter Aufsicht der Hofastronomen gemacht werden. Das andere Mal galt es die Beantwortung der russischen Eröffnungen im Jahre 1804: diesmal gebot Staatsklugheit die äusserste Vorsicht und volle Uebereinstimmung mit dem Mikado, an dessen Rechte sich im Falle eines auswärtigen Krieges die Daïmio’s lehnen konnten, um die Siogun-Dynastie zu stürzen; denn die Ausschliessung der Fremden war ein wesentlicher Bestandtheil des höchst künstlichen Systemes, das nur so lange ausreichte, als die Centralregierung alle ihre Kräfte den inneren Angelegenheiten zuwenden konnte. Die Gewaltherrschaft des Siogun musste zunichte werden, sobald die Grossen Luft gewannen. Die einzelnen Fürsten waren ihm niemals gefährlich und auch eine Verbindung von mehreren wegen ihrer Uneinigkeit und gegenseitigen Eifersucht nur dann zu fürchten, wenn sie einen gemeinsamen Mittelpunkt hatten. Diesen bot aber nur der Thron des Mikado, um welchen sich die Grossen sicherlich im Falle eines auswärtigen Krieges geschaart hätten, wenn er dem Siogun entgegentrat. Die Autorität des Mikado wird aber nur dann gefährlich, wenn ihn die Daïmio’s zu stützen vermögen, und dieser Fall muss immer eintreten, wenn der Siogun nach aussen hin beschäftigt ist. — Doeff betont ausdrücklich, 111) Das Nippon-ki erwähnt unter dem Jahre 675 n. Chr. der Erbauung der ersten Sternwarte; 690 wurde der erste Kalender, eine Nachbildung des chinesischen, förmlich eingeführt. Verbessert wurde der Kalender in den Jahren 700, 857, 861; 1684 und endlich 1798.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/142>, abgerufen am 18.05.2024.