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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Fernere Morde. IV.
würde sich solcher Hergang unter gleichen Umständen ganz ähnlich
gestalten; der japanische Bürger aber ist sehr friedliebend und
wird sich niemals in die Händel von Bewaffneten mischen. Ob
diese That ein Racheact für bestimmte persönliche Beleidigungen,
ob ein Ausbruch der Erbitterung gegen die Fremden überhaupt ge-
wesen sei, liess sich nicht ermitteln 12). Die japanische Regierung
schickte auf Verlangen des Grafen Murawieff zwei hohe Beamte an
Bord des Flaggschiffes um sich wegen des Vorfalls zu entschuldigen,
degradirte den Gouverneur von Kanagava, und verpflichtete sich
den Ermordeten ein Grabdenkmal zu setzen. Eine Geldentschädigung
forderte der russische Bevollmächtigte nicht.

Im November desselben Jahres wurde ein chinesischer Diener
des französischen Viceconsuls in Kanagava ermordet, und im Januar
1860 ein japanischer Dolmetscher der englischen Gesandtschaft in
Yeddo, der, früher durch Schiffbruch nach Amerika verschlagen,
dort englisch gelernt hatte, und Herrn Alcock sehr nützlich und
ergeben war. Eines Abends im Februar überfiel eine bewaffnete
Rotte zwei holländische Schiffscapitäne in der Hauptstrasse von
Yokuhama, und hieb sie gradezu in Stücke. -- So folgte Mord auf
Mord ohne dass man die Thäter ergriffen hätte: die japanische
Regierung betheuerte consequent alle Anstalten zu ihrer Verhaftung
getroffen zu haben, doch wurde keiner, soviel zur Kenntniss der
Fremden kam, jemals zur Strafe gezogen. Man konnte nicht an-
nehmen, dass diese Verbrechen Acte persönlicher Rache wären,
denn schon damals kamen mehrfach Drohungen zur Kenntniss der
Gesandten in Yeddo, dass alle Fremden in einer Nacht er-
mordet werden sollten. Ob aber die Feindseligkeiten aus der
allgemeinen Verstimmung gegen die Ausländer entsprängen oder
von einer bestimmten politischen Parthei ausgingen, war damals
nicht zu ermitteln. Letztere Ansicht gewann erst Wahrschein-
lichkeit durch die Ermordung des Regenten Ikamo-no-kami am
24. März 1860.

In dem einleitenden Abschnitt 13) ist schon berichtet wor-
den, dass die Ausländer in Japan den Fürsten von Mito, einen
der Titularbrüder des Taikun, für das Haupt der fremdenfeind-
lichen Parthei ansahen, dass dieser Fürst in dem Rufe stand, in

12) Jede Beleidigung eines Samrai muss nach japanischen Begriffen mit Blut
gesühnt werden, S. S. 129.
13) S. 183 u. ff. Anm. 180.

Fernere Morde. IV.
würde sich solcher Hergang unter gleichen Umständen ganz ähnlich
gestalten; der japanische Bürger aber ist sehr friedliebend und
wird sich niemals in die Händel von Bewaffneten mischen. Ob
diese That ein Racheact für bestimmte persönliche Beleidigungen,
ob ein Ausbruch der Erbitterung gegen die Fremden überhaupt ge-
wesen sei, liess sich nicht ermitteln 12). Die japanische Regierung
schickte auf Verlangen des Grafen Murawieff zwei hohe Beamte an
Bord des Flaggschiffes um sich wegen des Vorfalls zu entschuldigen,
degradirte den Gouverneur von Kanagava, und verpflichtete sich
den Ermordeten ein Grabdenkmal zu setzen. Eine Geldentschädigung
forderte der russische Bevollmächtigte nicht.

Im November desselben Jahres wurde ein chinesischer Diener
des französischen Viceconsuls in Kanagava ermordet, und im Januar
1860 ein japanischer Dolmetscher der englischen Gesandtschaft in
Yeddo, der, früher durch Schiffbruch nach Amerika verschlagen,
dort englisch gelernt hatte, und Herrn Alcock sehr nützlich und
ergeben war. Eines Abends im Februar überfiel eine bewaffnete
Rotte zwei holländische Schiffscapitäne in der Hauptstrasse von
Yokuhama, und hieb sie gradezu in Stücke. — So folgte Mord auf
Mord ohne dass man die Thäter ergriffen hätte: die japanische
Regierung betheuerte consequent alle Anstalten zu ihrer Verhaftung
getroffen zu haben, doch wurde keiner, soviel zur Kenntniss der
Fremden kam, jemals zur Strafe gezogen. Man konnte nicht an-
nehmen, dass diese Verbrechen Acte persönlicher Rache wären,
denn schon damals kamen mehrfach Drohungen zur Kenntniss der
Gesandten in Yeddo, dass alle Fremden in einer Nacht er-
mordet werden sollten. Ob aber die Feindseligkeiten aus der
allgemeinen Verstimmung gegen die Ausländer entsprängen oder
von einer bestimmten politischen Parthei ausgingen, war damals
nicht zu ermitteln. Letztere Ansicht gewann erst Wahrschein-
lichkeit durch die Ermordung des Regenten Ikamo-no-kami am
24. März 1860.

In dem einleitenden Abschnitt 13) ist schon berichtet wor-
den, dass die Ausländer in Japan den Fürsten von Mito, einen
der Titularbrüder des Taïkūn, für das Haupt der fremdenfeind-
lichen Parthei ansahen, dass dieser Fürst in dem Rufe stand, in

12) Jede Beleidigung eines Samraï muss nach japanischen Begriffen mit Blut
gesühnt werden, S. S. 129.
13) S. 183 u. ff. Anm. 180.
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[284/0314] Fernere Morde. IV. würde sich solcher Hergang unter gleichen Umständen ganz ähnlich gestalten; der japanische Bürger aber ist sehr friedliebend und wird sich niemals in die Händel von Bewaffneten mischen. Ob diese That ein Racheact für bestimmte persönliche Beleidigungen, ob ein Ausbruch der Erbitterung gegen die Fremden überhaupt ge- wesen sei, liess sich nicht ermitteln 12). Die japanische Regierung schickte auf Verlangen des Grafen Murawieff zwei hohe Beamte an Bord des Flaggschiffes um sich wegen des Vorfalls zu entschuldigen, degradirte den Gouverneur von Kanagava, und verpflichtete sich den Ermordeten ein Grabdenkmal zu setzen. Eine Geldentschädigung forderte der russische Bevollmächtigte nicht. Im November desselben Jahres wurde ein chinesischer Diener des französischen Viceconsuls in Kanagava ermordet, und im Januar 1860 ein japanischer Dolmetscher der englischen Gesandtschaft in Yeddo, der, früher durch Schiffbruch nach Amerika verschlagen, dort englisch gelernt hatte, und Herrn Alcock sehr nützlich und ergeben war. Eines Abends im Februar überfiel eine bewaffnete Rotte zwei holländische Schiffscapitäne in der Hauptstrasse von Yokuhama, und hieb sie gradezu in Stücke. — So folgte Mord auf Mord ohne dass man die Thäter ergriffen hätte: die japanische Regierung betheuerte consequent alle Anstalten zu ihrer Verhaftung getroffen zu haben, doch wurde keiner, soviel zur Kenntniss der Fremden kam, jemals zur Strafe gezogen. Man konnte nicht an- nehmen, dass diese Verbrechen Acte persönlicher Rache wären, denn schon damals kamen mehrfach Drohungen zur Kenntniss der Gesandten in Yeddo, dass alle Fremden in einer Nacht er- mordet werden sollten. Ob aber die Feindseligkeiten aus der allgemeinen Verstimmung gegen die Ausländer entsprängen oder von einer bestimmten politischen Parthei ausgingen, war damals nicht zu ermitteln. Letztere Ansicht gewann erst Wahrschein- lichkeit durch die Ermordung des Regenten Ikamo-no-kami am 24. März 1860. In dem einleitenden Abschnitt 13) ist schon berichtet wor- den, dass die Ausländer in Japan den Fürsten von Mito, einen der Titularbrüder des Taïkūn, für das Haupt der fremdenfeind- lichen Parthei ansahen, dass dieser Fürst in dem Rufe stand, in 12) Jede Beleidigung eines Samraï muss nach japanischen Begriffen mit Blut gesühnt werden, S. S. 129. 13) S. 183 u. ff. Anm. 180.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/314>, abgerufen am 24.11.2024.