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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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an der Spitze siegreicher Heere die oberste Gewalt für sich selbst
in Anspruch nahmen. Er bezwang sie in wenigen Jahren, erhielt
1192 den Titel Dsei-i-dai-Siogun36) und herrschte von da an mit
fast unumschränkter Macht. Die Mikado's hatten allen politischen
Einfluss verloren und regierten jetzt, wie die Annalen ausdrücklich
sagen, nur noch ihren Hof. Yori-tomo wählte Kamakura, den Sitz
seines berühmten Ahnherrn Yori-yosi, zur bleibenden Residenz und
kam nur selten nach Miako, wo in der Zwingburg Rokfara seine
Statthalter herrschten. Ihr Amt bestand in Beaufsichtigung des
Mikado-Hofes und wurde eines der wichtigsten im Lande. Die Erb-
kaiser blieben nach wie vor der Ausfluss aller Ehren: alle Titel,
Würden und Rangerhöhungen gingen von ihnen aus, aber sie standen
unter der Bevormundung der Siogun's, die schon damals alle Staats-
einkünfte an sich gerissen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung
bestritten zu haben scheinen.

Nur durch drei Generationen blieb die Macht in den Händen
der Minamoto. Schon die beiden ersten Nachfolger des Yori-tomo
waren ränkesüchtige Tyrannen, welche nur durch die Klugheit und
Herrscherbegabung von dessen Wittwe37) gehalten wurden. Nach
ihrem Tode riss Yori-tomo's erster Minister Fosio-no-Yosi-toki die
Gewalt an sich und machte sie erblich in seinem Hause, das von
da an einhundertfunfzehn Jahre lang d. h. bis 1334 das japanische
Reich beherrschte. Die Siogun's behielten ihre Würden und Titel;
sie wurden von den Fosio, welche nur als ihre ersten Minister und
Stellvertreter, als Sitsken regierten, aus der Nachkommenschaft des
Yori-tomo, später sogar aus Nebenlinien der Minamoto und dem
erbkaiserlichen Hause nach Belieben erwählt und verabschiedet. Die
Sitsken umgaben sie mit einem glänzenden Hofstaate und hielten
sie in einer ähnlichen Gefangenschaft wie die Erbkaiser. So haben
wir die merkwürdige Erscheinung, dass die höchste Würde bei dem

36) Dieser Titel soll bedeuten: Grosser Feldherr gegen die Barbaren. Er ist viel
älteren Datums und wurde auch schon früher einigen Fürsten aus dem Geschlechte
der Minamoto ertheilt. Dass von nun an mit diesem Titel die höchste Macht
verbunden war, ist etwas rein Zufälliges, denn an sich verleiht er keinen Anspruch
darauf.
37) Das Volk nannte sie die Ama Siogun, d. h. die Nonne Siogun, da sie nach
dem Tode ihres Gemals das geistliche Kleid angelegt hatte. Sie war aus dem Ge-
schlechte der Taira. -- Die Herrschaft des Yori-tomo und seiner beiden Nachfolger
heisst bei den Japanern die Dynastie der drei Siogun's.

an der Spitze siegreicher Heere die oberste Gewalt für sich selbst
in Anspruch nahmen. Er bezwang sie in wenigen Jahren, erhielt
1192 den Titel Dseï-i-daï-Siogun36) und herrschte von da an mit
fast unumschränkter Macht. Die Mikado’s hatten allen politischen
Einfluss verloren und regierten jetzt, wie die Annalen ausdrücklich
sagen, nur noch ihren Hof. Yori-tomo wählte Kamakura, den Sitz
seines berühmten Ahnherrn Yori-yosi, zur bleibenden Residenz und
kam nur selten nach Miako, wo in der Zwingburg Rokfara seine
Statthalter herrschten. Ihr Amt bestand in Beaufsichtigung des
Mikado-Hofes und wurde eines der wichtigsten im Lande. Die Erb-
kaiser blieben nach wie vor der Ausfluss aller Ehren: alle Titel,
Würden und Rangerhöhungen gingen von ihnen aus, aber sie standen
unter der Bevormundung der Siogun’s, die schon damals alle Staats-
einkünfte an sich gerissen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung
bestritten zu haben scheinen.

Nur durch drei Generationen blieb die Macht in den Händen
der Minamoto. Schon die beiden ersten Nachfolger des Yori-tomo
waren ränkesüchtige Tyrannen, welche nur durch die Klugheit und
Herrscherbegabung von dessen Wittwe37) gehalten wurden. Nach
ihrem Tode riss Yori-tomo’s erster Minister Fosio-no-Yosi-toki die
Gewalt an sich und machte sie erblich in seinem Hause, das von
da an einhundertfunfzehn Jahre lang d. h. bis 1334 das japanische
Reich beherrschte. Die Siogun’s behielten ihre Würden und Titel;
sie wurden von den Fosio, welche nur als ihre ersten Minister und
Stellvertreter, als Sitsken regierten, aus der Nachkommenschaft des
Yori-tomo, später sogar aus Nebenlinien der Minamoto und dem
erbkaiserlichen Hause nach Belieben erwählt und verabschiedet. Die
Sitsken umgaben sie mit einem glänzenden Hofstaate und hielten
sie in einer ähnlichen Gefangenschaft wie die Erbkaiser. So haben
wir die merkwürdige Erscheinung, dass die höchste Würde bei dem

36) Dieser Titel soll bedeuten: Grosser Feldherr gegen die Barbaren. Er ist viel
älteren Datums und wurde auch schon früher einigen Fürsten aus dem Geschlechte
der Minamoto ertheilt. Dass von nun an mit diesem Titel die höchste Macht
verbunden war, ist etwas rein Zufälliges, denn an sich verleiht er keinen Anspruch
darauf.
37) Das Volk nannte sie die Ama Siogun, d. h. die Nonne Siogun, da sie nach
dem Tode ihres Gemals das geistliche Kleid angelegt hatte. Sie war aus dem Ge-
schlechte der Taïra. — Die Herrschaft des Yori-tomo und seiner beiden Nachfolger
heisst bei den Japanern die Dynastie der drei Siogun’s.
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[36/0066] Yori-tomo. an der Spitze siegreicher Heere die oberste Gewalt für sich selbst in Anspruch nahmen. Er bezwang sie in wenigen Jahren, erhielt 1192 den Titel Dseï-i-daï-Siogun 36) und herrschte von da an mit fast unumschränkter Macht. Die Mikado’s hatten allen politischen Einfluss verloren und regierten jetzt, wie die Annalen ausdrücklich sagen, nur noch ihren Hof. Yori-tomo wählte Kamakura, den Sitz seines berühmten Ahnherrn Yori-yosi, zur bleibenden Residenz und kam nur selten nach Miako, wo in der Zwingburg Rokfara seine Statthalter herrschten. Ihr Amt bestand in Beaufsichtigung des Mikado-Hofes und wurde eines der wichtigsten im Lande. Die Erb- kaiser blieben nach wie vor der Ausfluss aller Ehren: alle Titel, Würden und Rangerhöhungen gingen von ihnen aus, aber sie standen unter der Bevormundung der Siogun’s, die schon damals alle Staats- einkünfte an sich gerissen und die Kosten der kaiserlichen Hofhaltung bestritten zu haben scheinen. Nur durch drei Generationen blieb die Macht in den Händen der Minamoto. Schon die beiden ersten Nachfolger des Yori-tomo waren ränkesüchtige Tyrannen, welche nur durch die Klugheit und Herrscherbegabung von dessen Wittwe 37) gehalten wurden. Nach ihrem Tode riss Yori-tomo’s erster Minister Fosio-no-Yosi-toki die Gewalt an sich und machte sie erblich in seinem Hause, das von da an einhundertfunfzehn Jahre lang d. h. bis 1334 das japanische Reich beherrschte. Die Siogun’s behielten ihre Würden und Titel; sie wurden von den Fosio, welche nur als ihre ersten Minister und Stellvertreter, als Sitsken regierten, aus der Nachkommenschaft des Yori-tomo, später sogar aus Nebenlinien der Minamoto und dem erbkaiserlichen Hause nach Belieben erwählt und verabschiedet. Die Sitsken umgaben sie mit einem glänzenden Hofstaate und hielten sie in einer ähnlichen Gefangenschaft wie die Erbkaiser. So haben wir die merkwürdige Erscheinung, dass die höchste Würde bei dem 36) Dieser Titel soll bedeuten: Grosser Feldherr gegen die Barbaren. Er ist viel älteren Datums und wurde auch schon früher einigen Fürsten aus dem Geschlechte der Minamoto ertheilt. Dass von nun an mit diesem Titel die höchste Macht verbunden war, ist etwas rein Zufälliges, denn an sich verleiht er keinen Anspruch darauf. 37) Das Volk nannte sie die Ama Siogun, d. h. die Nonne Siogun, da sie nach dem Tode ihres Gemals das geistliche Kleid angelegt hatte. Sie war aus dem Ge- schlechte der Taïra. — Die Herrschaft des Yori-tomo und seiner beiden Nachfolger heisst bei den Japanern die Dynastie der drei Siogun’s.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/66>, abgerufen am 27.11.2024.