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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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Kami-Dienst. VI.
Eigentliche Glaubenssätze hat der Verfasser nicht entdecken können,
aber an sittlichen Vorschriften und Regeln für das Leben und die
Andachtsübung ist der Cultus reich. Man soll vor Allem reinen
Herzens sein, soll Wahrheit und Glauben im Gemüthe tragen, reine
Opfergaben bringen und den Kami bitten, dass er Wohlsein und
Segen verleihe, die Fehler verzeihe und die Seele des Schuldigen
von allem Uebel erlöse. Die Reinheit der Seele soll sich durch
körperliche Reinheit bethätigen; Feuer und Wasser sind Symbole
der Reinigung, daher stehen deren Genien am Eingange vieler Sinto-
Tempel. "Unrein" wird man durch Sterbefälle der Blutsverwandten
und Berührung von Leichen, durch Blutvergiessen, Befleckung mit
Blut und den Genuss der Hausthiere. Der Mensch ist den Göttern
nur im Zustande reiner Seelenfreude angenehm, und wird durch
Trauer und wilde Leidenschaft, wie durch die ekelerregende Be-
rührung des Verwesenden von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen.
Im Zustande der Unreinheit lässt man Bart und Haare wachsen und
bedeckt das Haupt, die Männer mit einem Strohhut, die Frauen mit
weissem Schleier; Thüren und Fenster der Wohnung bleiben ge-
schlossen, aussen zeigt eine Tafel den Zustand der Unreinheit an.
Um in die Gottesgemeinschaft zurückzukehren zieht der fromme
Japaner sich in ein frisch gereinigtes Haus zurück, legt ein weisses
Trauergewand an, enthält sich, unter Beobachtung der grössten
Reinlichkeit, aller nahrhaften Speisen, und bringt seine Zeit mit
Gebeten und dem Lesen erbaulicher Bücher zu. Diese Fasten dauern
je nach dem Grade der Unreinheit länger oder kürzer, und werden
von Landleuten und Handwerkern auch vor dem Antritt der Pilger-
fahrten, ja sogar vor dem Besuch bei hochgestellten Personen
beobachtet. -- Der Entsündigte kehrt endlich im Festgewande, den
Bart und das Haupthaar nach Landessitte geschoren, in die Gemein-
schaft seiner Verwandten und Freunde zurück, und nimmt wieder
Antheil an den Festen der Landesgötter.

Die reine Sinto-Lehre verbietet allen Bilderdienst 10); selbst
Tempel scheint es ausser dem uralten Heiligthum von Isye vor
Einführung des Buddismus kaum gegeben zu haben. Um 906 theilte
der Mikado jeder Landschaft die Verehrung bestimmter Gottheiten
zu; seitdem ist die Zahl der Kami bedeutend gestiegen. Alle

10) Wo Bilder von Kami's in Tempeln bewahrt werden, betet man sie nicht an.
Ein Bild des höchsten, menschlicher Anbetung zugänglichen Gottes, des Ten-zio-
dai-zin
giebt es nirgends.

Kami-Dienst. VI.
Eigentliche Glaubenssätze hat der Verfasser nicht entdecken können,
aber an sittlichen Vorschriften und Regeln für das Leben und die
Andachtsübung ist der Cultus reich. Man soll vor Allem reinen
Herzens sein, soll Wahrheit und Glauben im Gemüthe tragen, reine
Opfergaben bringen und den Kami bitten, dass er Wohlsein und
Segen verleihe, die Fehler verzeihe und die Seele des Schuldigen
von allem Uebel erlöse. Die Reinheit der Seele soll sich durch
körperliche Reinheit bethätigen; Feuer und Wasser sind Symbole
der Reinigung, daher stehen deren Genien am Eingange vieler Sinto-
Tempel. »Unrein« wird man durch Sterbefälle der Blutsverwandten
und Berührung von Leichen, durch Blutvergiessen, Befleckung mit
Blut und den Genuss der Hausthiere. Der Mensch ist den Göttern
nur im Zustande reiner Seelenfreude angenehm, und wird durch
Trauer und wilde Leidenschaft, wie durch die ekelerregende Be-
rührung des Verwesenden von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen.
Im Zustande der Unreinheit lässt man Bart und Haare wachsen und
bedeckt das Haupt, die Männer mit einem Strohhut, die Frauen mit
weissem Schleier; Thüren und Fenster der Wohnung bleiben ge-
schlossen, aussen zeigt eine Tafel den Zustand der Unreinheit an.
Um in die Gottesgemeinschaft zurückzukehren zieht der fromme
Japaner sich in ein frisch gereinigtes Haus zurück, legt ein weisses
Trauergewand an, enthält sich, unter Beobachtung der grössten
Reinlichkeit, aller nahrhaften Speisen, und bringt seine Zeit mit
Gebeten und dem Lesen erbaulicher Bücher zu. Diese Fasten dauern
je nach dem Grade der Unreinheit länger oder kürzer, und werden
von Landleuten und Handwerkern auch vor dem Antritt der Pilger-
fahrten, ja sogar vor dem Besuch bei hochgestellten Personen
beobachtet. — Der Entsündigte kehrt endlich im Festgewande, den
Bart und das Haupthaar nach Landessitte geschoren, in die Gemein-
schaft seiner Verwandten und Freunde zurück, und nimmt wieder
Antheil an den Festen der Landesgötter.

Die reine Sinto-Lehre verbietet allen Bilderdienst 10); selbst
Tempel scheint es ausser dem uralten Heiligthum von Isye vor
Einführung des Buddismus kaum gegeben zu haben. Um 906 theilte
der Mikado jeder Landschaft die Verehrung bestimmter Gottheiten
zu; seitdem ist die Zahl der Kami bedeutend gestiegen. Alle

10) Wo Bilder von Kami’s in Tempeln bewahrt werden, betet man sie nicht an.
Ein Bild des höchsten, menschlicher Anbetung zugänglichen Gottes, des Ten-zio-
daï-zin
giebt es nirgends.
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[28/0048] Kami-Dienst. VI. Eigentliche Glaubenssätze hat der Verfasser nicht entdecken können, aber an sittlichen Vorschriften und Regeln für das Leben und die Andachtsübung ist der Cultus reich. Man soll vor Allem reinen Herzens sein, soll Wahrheit und Glauben im Gemüthe tragen, reine Opfergaben bringen und den Kami bitten, dass er Wohlsein und Segen verleihe, die Fehler verzeihe und die Seele des Schuldigen von allem Uebel erlöse. Die Reinheit der Seele soll sich durch körperliche Reinheit bethätigen; Feuer und Wasser sind Symbole der Reinigung, daher stehen deren Genien am Eingange vieler Sinto- Tempel. »Unrein« wird man durch Sterbefälle der Blutsverwandten und Berührung von Leichen, durch Blutvergiessen, Befleckung mit Blut und den Genuss der Hausthiere. Der Mensch ist den Göttern nur im Zustande reiner Seelenfreude angenehm, und wird durch Trauer und wilde Leidenschaft, wie durch die ekelerregende Be- rührung des Verwesenden von ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen. Im Zustande der Unreinheit lässt man Bart und Haare wachsen und bedeckt das Haupt, die Männer mit einem Strohhut, die Frauen mit weissem Schleier; Thüren und Fenster der Wohnung bleiben ge- schlossen, aussen zeigt eine Tafel den Zustand der Unreinheit an. Um in die Gottesgemeinschaft zurückzukehren zieht der fromme Japaner sich in ein frisch gereinigtes Haus zurück, legt ein weisses Trauergewand an, enthält sich, unter Beobachtung der grössten Reinlichkeit, aller nahrhaften Speisen, und bringt seine Zeit mit Gebeten und dem Lesen erbaulicher Bücher zu. Diese Fasten dauern je nach dem Grade der Unreinheit länger oder kürzer, und werden von Landleuten und Handwerkern auch vor dem Antritt der Pilger- fahrten, ja sogar vor dem Besuch bei hochgestellten Personen beobachtet. — Der Entsündigte kehrt endlich im Festgewande, den Bart und das Haupthaar nach Landessitte geschoren, in die Gemein- schaft seiner Verwandten und Freunde zurück, und nimmt wieder Antheil an den Festen der Landesgötter. Die reine Sinto-Lehre verbietet allen Bilderdienst 10); selbst Tempel scheint es ausser dem uralten Heiligthum von Isye vor Einführung des Buddismus kaum gegeben zu haben. Um 906 theilte der Mikado jeder Landschaft die Verehrung bestimmter Gottheiten zu; seitdem ist die Zahl der Kami bedeutend gestiegen. Alle 10) Wo Bilder von Kami’s in Tempeln bewahrt werden, betet man sie nicht an. Ein Bild des höchsten, menschlicher Anbetung zugänglichen Gottes, des Ten-zio- daï-zin giebt es nirgends.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/48>, abgerufen am 21.11.2024.