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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866.

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VI. Kami-Tempel.
Sinto-Tempel zeichnen sich durch die einfachste Bauart aus; sie
sind mit Rohr oder Schindeln gedeckt, das Innere so schmucklos
wie das Aeussere; das berühmte Heiligthum von Isye ist ein be-
scheidenes Haus von Rohr und Stroh. Als Sinnbild der Gottheit
dient überall das aus Papierstreifen gefertigte Gohei, das entweder
in vergittertem Schrein oder in einem abgesonderten Allerheiligsten
hinter dem Tempel bewahrt wird. Auf dem Altar steht ein Metall-
spiegel als Symbol der Sonne, der Reinheit; wenige Opfergeräthe,
eine Trommel, eine Schelle und ein muschelförmiges Gong über dem
Eingang bilden das Tempel-Inventar. Vor der Thür wachen grimmige
Thiergestalten, "die koraischen Hunde", deren Vorbilder die Japaner
von ihren frühesten Eroberungszügen nach dem Festlande mitgebracht
haben sollen. Niemals fehlt das Toori, ein Portal von typischer
Form aus Holz oder Stein, gebildet von zwei gegeneinander geneigten
Säulen und zwei sie verbindenden Querbalken. Die Neigung der
Säulen, die Schweifung der oberen Schwelle, und die auch bei dem
steinernen Toori selten fehlenden Keile beweisen deutlich den
Ursprung der Form aus dem Holzbau 11). -- Die grösseren Tempel
haben Nebengebäude für das Mikosi, einen Wasserplatz mit grossen
Bronzekübeln, Stallungen für die Priesterpferde, Hallen für Votiv-
bilder, für Schrifttafeln mit den autographen Sprüchen berühmter
Männer, mit Gedichten, Legenden und historischen Notizen. Auch
Rüstungen, Waffen und andere Votivsachen werden dort aufbewahrt.
-- Oft stehen kleinere Miya's oder Bethäuser zur vorbereitenden
Andacht neben dem Tempel.

Die meisten Kami-Höfe liegen in dichten Hainen, an Berges-
hängen, Seen oder strömenden Wassern. Gewöhnlich ist ein
bewegter Baugrund zu Herstellung von Terrassen und Vorhöfen
benutzt; künstliche Anlagen wetteifern mit der Natur, jede Zufälligkeit
des Bodens gestaltet sich unter der Hand des japanischen Architekten
zur landschaftlichen Zierde. Sie sind Meister in der malerischen
Verwerthung abschüssiger Bauplätze; wo symmetrische Anordnung
unmöglich ist, spricht doch die Anlage immer einen klaren Gedanken
aus. Mannichfache Ziersträucher schmücken die wipfelbeschatteten
Vorhöfe; die Strebewände hochgethürmter Terrassen sind malerisch
in Moos, Epheu und Immergrün verhüllt. Klare Quellbäche stürzen
die Waldschluchten herab und werden in Goldfischteichen gesammelt;
Hegewild, Fasanen und Chöre von Singvögeln beleben die grüne

11) S. Ansichten aus Japan, China und Siam I. 1.; II. 7.

VI. Kami-Tempel.
Sinto-Tempel zeichnen sich durch die einfachste Bauart aus; sie
sind mit Rohr oder Schindeln gedeckt, das Innere so schmucklos
wie das Aeussere; das berühmte Heiligthum von Isye ist ein be-
scheidenes Haus von Rohr und Stroh. Als Sinnbild der Gottheit
dient überall das aus Papierstreifen gefertigte Goheï, das entweder
in vergittertem Schrein oder in einem abgesonderten Allerheiligsten
hinter dem Tempel bewahrt wird. Auf dem Altar steht ein Metall-
spiegel als Symbol der Sonne, der Reinheit; wenige Opfergeräthe,
eine Trommel, eine Schelle und ein muschelförmiges Gong über dem
Eingang bilden das Tempel-Inventar. Vor der Thür wachen grimmige
Thiergestalten, »die koraïschen Hunde«, deren Vorbilder die Japaner
von ihren frühesten Eroberungszügen nach dem Festlande mitgebracht
haben sollen. Niemals fehlt das Toori, ein Portal von typischer
Form aus Holz oder Stein, gebildet von zwei gegeneinander geneigten
Säulen und zwei sie verbindenden Querbalken. Die Neigung der
Säulen, die Schweifung der oberen Schwelle, und die auch bei dem
steinernen Toori selten fehlenden Keile beweisen deutlich den
Ursprung der Form aus dem Holzbau 11). — Die grösseren Tempel
haben Nebengebäude für das Mikosi, einen Wasserplatz mit grossen
Bronzekübeln, Stallungen für die Priesterpferde, Hallen für Votiv-
bilder, für Schrifttafeln mit den autographen Sprüchen berühmter
Männer, mit Gedichten, Legenden und historischen Notizen. Auch
Rüstungen, Waffen und andere Votivsachen werden dort aufbewahrt.
— Oft stehen kleinere Miya’s oder Bethäuser zur vorbereitenden
Andacht neben dem Tempel.

Die meisten Kami-Höfe liegen in dichten Hainen, an Berges-
hängen, Seen oder strömenden Wassern. Gewöhnlich ist ein
bewegter Baugrund zu Herstellung von Terrassen und Vorhöfen
benutzt; künstliche Anlagen wetteifern mit der Natur, jede Zufälligkeit
des Bodens gestaltet sich unter der Hand des japanischen Architekten
zur landschaftlichen Zierde. Sie sind Meister in der malerischen
Verwerthung abschüssiger Bauplätze; wo symmetrische Anordnung
unmöglich ist, spricht doch die Anlage immer einen klaren Gedanken
aus. Mannichfache Ziersträucher schmücken die wipfelbeschatteten
Vorhöfe; die Strebewände hochgethürmter Terrassen sind malerisch
in Moos, Epheu und Immergrün verhüllt. Klare Quellbäche stürzen
die Waldschluchten herab und werden in Goldfischteichen gesammelt;
Hegewild, Fasanen und Chöre von Singvögeln beleben die grüne

11) S. Ansichten aus Japan, China und Siam I. 1.; II. 7.
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[29/0049] VI. Kami-Tempel. Sinto-Tempel zeichnen sich durch die einfachste Bauart aus; sie sind mit Rohr oder Schindeln gedeckt, das Innere so schmucklos wie das Aeussere; das berühmte Heiligthum von Isye ist ein be- scheidenes Haus von Rohr und Stroh. Als Sinnbild der Gottheit dient überall das aus Papierstreifen gefertigte Goheï, das entweder in vergittertem Schrein oder in einem abgesonderten Allerheiligsten hinter dem Tempel bewahrt wird. Auf dem Altar steht ein Metall- spiegel als Symbol der Sonne, der Reinheit; wenige Opfergeräthe, eine Trommel, eine Schelle und ein muschelförmiges Gong über dem Eingang bilden das Tempel-Inventar. Vor der Thür wachen grimmige Thiergestalten, »die koraïschen Hunde«, deren Vorbilder die Japaner von ihren frühesten Eroberungszügen nach dem Festlande mitgebracht haben sollen. Niemals fehlt das Toori, ein Portal von typischer Form aus Holz oder Stein, gebildet von zwei gegeneinander geneigten Säulen und zwei sie verbindenden Querbalken. Die Neigung der Säulen, die Schweifung der oberen Schwelle, und die auch bei dem steinernen Toori selten fehlenden Keile beweisen deutlich den Ursprung der Form aus dem Holzbau 11). — Die grösseren Tempel haben Nebengebäude für das Mikosi, einen Wasserplatz mit grossen Bronzekübeln, Stallungen für die Priesterpferde, Hallen für Votiv- bilder, für Schrifttafeln mit den autographen Sprüchen berühmter Männer, mit Gedichten, Legenden und historischen Notizen. Auch Rüstungen, Waffen und andere Votivsachen werden dort aufbewahrt. — Oft stehen kleinere Miya’s oder Bethäuser zur vorbereitenden Andacht neben dem Tempel. Die meisten Kami-Höfe liegen in dichten Hainen, an Berges- hängen, Seen oder strömenden Wassern. Gewöhnlich ist ein bewegter Baugrund zu Herstellung von Terrassen und Vorhöfen benutzt; künstliche Anlagen wetteifern mit der Natur, jede Zufälligkeit des Bodens gestaltet sich unter der Hand des japanischen Architekten zur landschaftlichen Zierde. Sie sind Meister in der malerischen Verwerthung abschüssiger Bauplätze; wo symmetrische Anordnung unmöglich ist, spricht doch die Anlage immer einen klaren Gedanken aus. Mannichfache Ziersträucher schmücken die wipfelbeschatteten Vorhöfe; die Strebewände hochgethürmter Terrassen sind malerisch in Moos, Epheu und Immergrün verhüllt. Klare Quellbäche stürzen die Waldschluchten herab und werden in Goldfischteichen gesammelt; Hegewild, Fasanen und Chöre von Singvögeln beleben die grüne 11) S. Ansichten aus Japan, China und Siam I. 1.; II. 7.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 2. Berlin, 1866, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien02_1866/49>, abgerufen am 21.11.2024.