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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Zustände am Yan-tse. XIII.
Engländer unberührt bleiben. Dagegen bürgte der Commandeur
des vor Nan-kin stationirten Kriegsschiffes für die stricte Neutra-
lität aller englischen Fahrzeuge. Die Regierung von Nan-kin ver-
sprach ferner, Shang-hae und seine Umgebung in einem Radius
von 100 Li oder 30 englischen Meilen Entfernung innerhalb eines
Jahres nicht anzugreifen.

Diese Convention in Wirkung zu setzen, blieb der Centaur
vor Nan-kin liegen. -- Auf der weiteren Stromfahrt des Geschwa-
ders fand man, soweit die Insurgenten standen, das Land ver-
wüstet, die Bevölkerung im tiefsten Elend. Von den einst blühen-
den Städten Wu-hu und Tae-pin war nur noch die Lage kennt-
lich; sie hatten das Baumaterial zu verschanzten Lagern liefern
müssen. -- Gan-kin fanden die Engländer von kaiserlichen Trup-
pen und Dschunken eng umschlossen. Herrn Parkes gelang es in
die Stadt zu dringen, deren Garnison 25,000 Mann betrug. Be-
waffnung und Geschütz waren mangelhaft, und die Vorräthe wurden
schon knapp. Die Truppen blickten matt und hohläugig, schienen
aber zuversichtlich und lenksam; man rechnete sicher auf Entsatz
durch den Yin-wan.

Oberhalb Gan-kin sah das Land besser aus; in den Städten
bemerkte man Rührigkeit und Keime von Gewerbfleiss. Bei Wahl
eines zweiten Yan-tse-Hafens kamen Hu-kau und Kiu-kian in
Betrachtung; erstere Stadt liegt am Eingang des Po-yan-Sees auf
steilen Höhen, also unbequem für die Schiffahrt; Sir James Hope
entschied sich deshalb für Kiu-kian, das in der That den Po-yan-
See
beherrscht und immer ein blühender Handelsplatz war. In
den See ergiessen sich zahlreiche Rinnsale aus dem Westen, den
reichen Bezirken des schwarzen Thees. Die von den Mei-lin-
Pässen
, der grossen Hauptstrasse nach Kan-ton kommenden Flüsse
Fu und Kan und die weiter östlich fliessenden Gewässer stehen
durch Canäle mit den Bezirken des grünen Thees in Verbindung,
welche auch mit den nach Su-tsau und Shang-hae führenden
Wasserläufen communiciren. So ist der Po-yan-See Mittelpunct
eines weitverzweigten Netzes schiffbarer Rinnsale, und für den Thee-
handel, welcher bis dahin fast ausschliesslich über Kan-ton ging,
von der äussersten Wichtigkeit. Die Händler behaupteten, den
grünen Thee mit Sicherheit nach Kiu-kian bringen zu können.

Die Dreistadt Han-kau, Han-yan, Wu-tsau ist wieder
Mittelpunct eines Netzes von Wasserstrassen, welche in die Neben-

Zustände am Yaṅ-tse. XIII.
Engländer unberührt bleiben. Dagegen bürgte der Commandeur
des vor Nan-kiṅ stationirten Kriegsschiffes für die stricte Neutra-
lität aller englischen Fahrzeuge. Die Regierung von Nan-kiṅ ver-
sprach ferner, Shang-hae und seine Umgebung in einem Radius
von 100 Li oder 30 englischen Meilen Entfernung innerhalb eines
Jahres nicht anzugreifen.

Diese Convention in Wirkung zu setzen, blieb der Centaur
vor Nan-kiṅ liegen. — Auf der weiteren Stromfahrt des Geschwa-
ders fand man, soweit die Insurgenten standen, das Land ver-
wüstet, die Bevölkerung im tiefsten Elend. Von den einst blühen-
den Städten Wu-hu und Tae-piṅ war nur noch die Lage kennt-
lich; sie hatten das Baumaterial zu verschanzten Lagern liefern
müssen. — Gan-kiṅ fanden die Engländer von kaiserlichen Trup-
pen und Dschunken eng umschlossen. Herrn Parkes gelang es in
die Stadt zu dringen, deren Garnison 25,000 Mann betrug. Be-
waffnung und Geschütz waren mangelhaft, und die Vorräthe wurden
schon knapp. Die Truppen blickten matt und hohläugig, schienen
aber zuversichtlich und lenksam; man rechnete sicher auf Entsatz
durch den Yiṅ-waṅ.

Oberhalb Gan-kiṅ sah das Land besser aus; in den Städten
bemerkte man Rührigkeit und Keime von Gewerbfleiss. Bei Wahl
eines zweiten Yaṅ-tse-Hafens kamen Hu-kau und Kiu-kiaṅ in
Betrachtung; erstere Stadt liegt am Eingang des Po-yaṅ-Sees auf
steilen Höhen, also unbequem für die Schiffahrt; Sir James Hope
entschied sich deshalb für Kiu-kiaṅ, das in der That den Po-yaṅ-
See
beherrscht und immer ein blühender Handelsplatz war. In
den See ergiessen sich zahlreiche Rinnsale aus dem Westen, den
reichen Bezirken des schwarzen Thees. Die von den Mei-liṅ-
Pässen
, der grossen Hauptstrasse nach Kan-ton kommenden Flüsse
Fu und Kan und die weiter östlich fliessenden Gewässer stehen
durch Canäle mit den Bezirken des grünen Thees in Verbindung,
welche auch mit den nach Su-tšau und Shang-hae führenden
Wasserläufen communiciren. So ist der Po-yaṅ-See Mittelpunct
eines weitverzweigten Netzes schiffbarer Rinnsale, und für den Thee-
handel, welcher bis dahin fast ausschliesslich über Kan-ton ging,
von der äussersten Wichtigkeit. Die Händler behaupteten, den
grünen Thee mit Sicherheit nach Kiu-kiaṅ bringen zu können.

Die Dreistadt Han-kau, Han-yaṅ, Wu-tšau ist wieder
Mittelpunct eines Netzes von Wasserstrassen, welche in die Neben-

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[412/0434] Zustände am Yaṅ-tse. XIII. Engländer unberührt bleiben. Dagegen bürgte der Commandeur des vor Nan-kiṅ stationirten Kriegsschiffes für die stricte Neutra- lität aller englischen Fahrzeuge. Die Regierung von Nan-kiṅ ver- sprach ferner, Shang-hae und seine Umgebung in einem Radius von 100 Li oder 30 englischen Meilen Entfernung innerhalb eines Jahres nicht anzugreifen. Diese Convention in Wirkung zu setzen, blieb der Centaur vor Nan-kiṅ liegen. — Auf der weiteren Stromfahrt des Geschwa- ders fand man, soweit die Insurgenten standen, das Land ver- wüstet, die Bevölkerung im tiefsten Elend. Von den einst blühen- den Städten Wu-hu und Tae-piṅ war nur noch die Lage kennt- lich; sie hatten das Baumaterial zu verschanzten Lagern liefern müssen. — Gan-kiṅ fanden die Engländer von kaiserlichen Trup- pen und Dschunken eng umschlossen. Herrn Parkes gelang es in die Stadt zu dringen, deren Garnison 25,000 Mann betrug. Be- waffnung und Geschütz waren mangelhaft, und die Vorräthe wurden schon knapp. Die Truppen blickten matt und hohläugig, schienen aber zuversichtlich und lenksam; man rechnete sicher auf Entsatz durch den Yiṅ-waṅ. Oberhalb Gan-kiṅ sah das Land besser aus; in den Städten bemerkte man Rührigkeit und Keime von Gewerbfleiss. Bei Wahl eines zweiten Yaṅ-tse-Hafens kamen Hu-kau und Kiu-kiaṅ in Betrachtung; erstere Stadt liegt am Eingang des Po-yaṅ-Sees auf steilen Höhen, also unbequem für die Schiffahrt; Sir James Hope entschied sich deshalb für Kiu-kiaṅ, das in der That den Po-yaṅ- See beherrscht und immer ein blühender Handelsplatz war. In den See ergiessen sich zahlreiche Rinnsale aus dem Westen, den reichen Bezirken des schwarzen Thees. Die von den Mei-liṅ- Pässen, der grossen Hauptstrasse nach Kan-ton kommenden Flüsse Fu und Kan und die weiter östlich fliessenden Gewässer stehen durch Canäle mit den Bezirken des grünen Thees in Verbindung, welche auch mit den nach Su-tšau und Shang-hae führenden Wasserläufen communiciren. So ist der Po-yaṅ-See Mittelpunct eines weitverzweigten Netzes schiffbarer Rinnsale, und für den Thee- handel, welcher bis dahin fast ausschliesslich über Kan-ton ging, von der äussersten Wichtigkeit. Die Händler behaupteten, den grünen Thee mit Sicherheit nach Kiu-kiaṅ bringen zu können. Die Dreistadt Han-kau, Han-yaṅ, Wu-tšau ist wieder Mittelpunct eines Netzes von Wasserstrassen, welche in die Neben-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/434>, abgerufen am 22.11.2024.