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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXI. Feierliche Audienz.
einem länglichen Saale hinansteigt, dessen Eingang in der Mitte
einer langen Seite liegt. Den Boden deckt ein weicher Teppich;
zwei Säulenreihen laufen, schmale Nebenschiffe abtheilend, die lan-
gen Wände entlang. Die Säulen sind aus kostbaren Hölzern und
tragen viele Wandleuchten; an der getäfelten Decke hängen zwanzig
Kronen und etwa achtzig Lampen; rings an den Wänden stehen
seidene Baldachine. Licht fällt durch eine doppelte Fensterreihe
in das weite Gemach, dessen architectonische Gliederung angenehm,
dessen Schmuck prächtig ohne Ueberladung, farbenreich aber har-
monisch ist. Dem Eingang gegenüber liegen drei in Spitzbogen
auslaufende von der Rückseite zugängliche Nischen; in der mittel-
sten steht, zwischen den mehrstöckigen nach oben verjüngten Schir-
men, den Insignien der höchsten Würde, golden wie die umgebende
Architectur, auf einer Plateform der altarähnliche Thron, auf welchem
der goldene König sass.

Wir glaubten einen Goldgötzen zu sehen, ein Buddabild, wie
sie in den Tempeln sitzen. Rechts und links lagen am Fuss des
Thrones, durch Geländer halb versteckt, einige Frauen, Kinder
und Waffenträger des Königs in malerischer Gruppirung, unten im
Saale die Prinzen und Grossen, die vornehmsten Siamesen, Chine-
sen, Parsen, Hindu, Birmanen, Peguaner, Malayen. Laos, Kambodjer
und Cochinchinesen, die königlichen Prinzen auf seidene Kissen ge-
stützt, alle anderen auf dem Teppich hingestreckt, mit Kopf und
Händen am Boden, das Gesicht etwas seitwärts, zum Throne auf-
blickend. Der Fussboden war dicht bedeckt mit diesen in die präch-
tigsten Stoffe gehüllten Gestalten; nur in der Mitte, dem Thron gegen-
über, lagen Polster für den Gesandten und seine Begleiter; denn
Stehen in Gegenwart des Königs ist in Siam Majestätsverbrechen;
alle Unterthanen, selbst die tributpflichtigen Fürsten, müssen sich
niederwerfen und auf allen Vieren kriechen; davon ist nur der Zweite
König, aber keiner der Prinzen, Minister und Grossen befreit.

Nach einer Verbeugung, die der König erwiederte, setzten
wir uns auf die Kissen; Legationssecretär Pieschel stellte die Gold-
schale mit dem königlichen Schreiben auf einen vor dem Thron
stehenden Tisch; an diesen herantretend verlas der Gesandte in
englischer Sprache folgende Anrede:

"Königliche Majestät!

Mir wurde die hohe Ehre zu Theil, von Seiner Majestät dem
Könige von Preussen, meinem allergnädigsten Herrn, auserwählt

XXI. Feierliche Audienz.
einem länglichen Saale hinansteigt, dessen Eingang in der Mitte
einer langen Seite liegt. Den Boden deckt ein weicher Teppich;
zwei Säulenreihen laufen, schmale Nebenschiffe abtheilend, die lan-
gen Wände entlang. Die Säulen sind aus kostbaren Hölzern und
tragen viele Wandleuchten; an der getäfelten Decke hängen zwanzig
Kronen und etwa achtzig Lampen; rings an den Wänden stehen
seidene Baldachine. Licht fällt durch eine doppelte Fensterreihe
in das weite Gemach, dessen architectonische Gliederung angenehm,
dessen Schmuck prächtig ohne Ueberladung, farbenreich aber har-
monisch ist. Dem Eingang gegenüber liegen drei in Spitzbogen
auslaufende von der Rückseite zugängliche Nischen; in der mittel-
sten steht, zwischen den mehrstöckigen nach oben verjüngten Schir-
men, den Insignien der höchsten Würde, golden wie die umgebende
Architectur, auf einer Plateform der altarähnliche Thron, auf welchem
der goldene König sass.

Wir glaubten einen Goldgötzen zu sehen, ein Buddabild, wie
sie in den Tempeln sitzen. Rechts und links lagen am Fuss des
Thrones, durch Geländer halb versteckt, einige Frauen, Kinder
und Waffenträger des Königs in malerischer Gruppirung, unten im
Saale die Prinzen und Grossen, die vornehmsten Siamesen, Chine-
sen, Parsen, Hindu, Birmanen, Peguaner, Malayen. Laos, Kambodjer
und Cochinchinesen, die königlichen Prinzen auf seidene Kissen ge-
stützt, alle anderen auf dem Teppich hingestreckt, mit Kopf und
Händen am Boden, das Gesicht etwas seitwärts, zum Throne auf-
blickend. Der Fussboden war dicht bedeckt mit diesen in die präch-
tigsten Stoffe gehüllten Gestalten; nur in der Mitte, dem Thron gegen-
über, lagen Polster für den Gesandten und seine Begleiter; denn
Stehen in Gegenwart des Königs ist in Siam Majestätsverbrechen;
alle Unterthanen, selbst die tributpflichtigen Fürsten, müssen sich
niederwerfen und auf allen Vieren kriechen; davon ist nur der Zweite
König, aber keiner der Prinzen, Minister und Grossen befreit.

Nach einer Verbeugung, die der König erwiederte, setzten
wir uns auf die Kissen; Legationssecretär Pieschel stellte die Gold-
schale mit dem königlichen Schreiben auf einen vor dem Thron
stehenden Tisch; an diesen herantretend verlas der Gesandte in
englischer Sprache folgende Anrede:

»Königliche Majestät!

Mir wurde die hohe Ehre zu Theil, von Seiner Majestät dem
Könige von Preussen, meinem allergnädigsten Herrn, auserwählt

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[267/0281] XXI. Feierliche Audienz. einem länglichen Saale hinansteigt, dessen Eingang in der Mitte einer langen Seite liegt. Den Boden deckt ein weicher Teppich; zwei Säulenreihen laufen, schmale Nebenschiffe abtheilend, die lan- gen Wände entlang. Die Säulen sind aus kostbaren Hölzern und tragen viele Wandleuchten; an der getäfelten Decke hängen zwanzig Kronen und etwa achtzig Lampen; rings an den Wänden stehen seidene Baldachine. Licht fällt durch eine doppelte Fensterreihe in das weite Gemach, dessen architectonische Gliederung angenehm, dessen Schmuck prächtig ohne Ueberladung, farbenreich aber har- monisch ist. Dem Eingang gegenüber liegen drei in Spitzbogen auslaufende von der Rückseite zugängliche Nischen; in der mittel- sten steht, zwischen den mehrstöckigen nach oben verjüngten Schir- men, den Insignien der höchsten Würde, golden wie die umgebende Architectur, auf einer Plateform der altarähnliche Thron, auf welchem der goldene König sass. Wir glaubten einen Goldgötzen zu sehen, ein Buddabild, wie sie in den Tempeln sitzen. Rechts und links lagen am Fuss des Thrones, durch Geländer halb versteckt, einige Frauen, Kinder und Waffenträger des Königs in malerischer Gruppirung, unten im Saale die Prinzen und Grossen, die vornehmsten Siamesen, Chine- sen, Parsen, Hindu, Birmanen, Peguaner, Malayen. Laos, Kambodjer und Cochinchinesen, die königlichen Prinzen auf seidene Kissen ge- stützt, alle anderen auf dem Teppich hingestreckt, mit Kopf und Händen am Boden, das Gesicht etwas seitwärts, zum Throne auf- blickend. Der Fussboden war dicht bedeckt mit diesen in die präch- tigsten Stoffe gehüllten Gestalten; nur in der Mitte, dem Thron gegen- über, lagen Polster für den Gesandten und seine Begleiter; denn Stehen in Gegenwart des Königs ist in Siam Majestätsverbrechen; alle Unterthanen, selbst die tributpflichtigen Fürsten, müssen sich niederwerfen und auf allen Vieren kriechen; davon ist nur der Zweite König, aber keiner der Prinzen, Minister und Grossen befreit. Nach einer Verbeugung, die der König erwiederte, setzten wir uns auf die Kissen; Legationssecretär Pieschel stellte die Gold- schale mit dem königlichen Schreiben auf einen vor dem Thron stehenden Tisch; an diesen herantretend verlas der Gesandte in englischer Sprache folgende Anrede: »Königliche Majestät! Mir wurde die hohe Ehre zu Theil, von Seiner Majestät dem Könige von Preussen, meinem allergnädigsten Herrn, auserwählt

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/281>, abgerufen am 22.11.2024.