letzten Jahres unweit von einander erblicken kann, eine Erschei¬ nung, die in der Pflanzenwelt wenig vorkommt.
Die Legföhre ist ferner eine der bescheidensten Pflanzen, die es giebt. Da, wo keine andere Holzkultur, höchstens nur Moose oder Saxifragen existiren könnten, bekleidet sie mit ihren dichten, tiefgrünen Büschelkolonien große, kahle, trockene Kalkwände, beson¬ ders an den südseitigen Abhängen in der Höhe von 5000 bis 6000 Fuß, dicht verfilzte Decken bildend, oft so kompakt und fest ineinander gedrängt, daß man im buchstäblichsten Sinne auf den Zweigen und Wipfeln gehen könnte. Dies ist aber immer wegen der außerordentlichen Elastizität der Masse ein mißliches Unter¬ nehmen und läßt sich wohl bergabwärts, unmöglich aber bergan ausführen, obgleich die biegsamen Zweige so zu sagen dem Klette¬ rer die Hand reichen. Darum vermeidet der Aelpler sie auch und macht lieber einen Umweg über Gletscher und auf losem Geröll, als durch diese fußumstrickenden Fanggarne. Auf Glimmerschiefer trifft man das Krummholz auch in feuchten, sumpfigen Mulden an, und einzelne Exemplare hat man sogar in der Tiefe von nur 2500 Fuß über dem Meere gefunden. Wasserfluthen, Lauinen, oder der Wind mögen Samen dahinab getragen haben. Ja, so¬ gar in den umfangreichen Moorbrüchen zwischen Augsburg und München, im s. g. Haspelmoor, hat man sie bei 1600 Fuß über dem Meere getroffen und deshalb "Sumpfföhre" (Pinus uliginosa) genannt. Selten wachsen im dichten Gestrüpp der Gebirgs-Leg¬ föhre andere Pflanzen. Selbst auf der glatten Rinde des Stam¬ mes zeigt sich nicht einmal irgend eine Schmarotzerpflanze; höch¬ stens trifft man die goldgelbe Cetraria juniperina, eine Flechte des Hochgebirges und Verwandte des Isländischen Mooses, hie und da an.
Flieht nun der Mensch dieses stille undurchdringliche Dickicht, so dient es um so mehr dem Alpenwild als willkommener Schlupf¬ winkel, um sich den Verfolgungen des Jägers zu entziehen. Vor
Legföhren.
letzten Jahres unweit von einander erblicken kann, eine Erſchei¬ nung, die in der Pflanzenwelt wenig vorkommt.
Die Legföhre iſt ferner eine der beſcheidenſten Pflanzen, die es giebt. Da, wo keine andere Holzkultur, höchſtens nur Mooſe oder Saxifragen exiſtiren könnten, bekleidet ſie mit ihren dichten, tiefgrünen Büſchelkolonien große, kahle, trockene Kalkwände, beſon¬ ders an den ſüdſeitigen Abhängen in der Höhe von 5000 bis 6000 Fuß, dicht verfilzte Decken bildend, oft ſo kompakt und feſt ineinander gedrängt, daß man im buchſtäblichſten Sinne auf den Zweigen und Wipfeln gehen könnte. Dies iſt aber immer wegen der außerordentlichen Elaſtizität der Maſſe ein mißliches Unter¬ nehmen und läßt ſich wohl bergabwärts, unmöglich aber bergan ausführen, obgleich die biegſamen Zweige ſo zu ſagen dem Klette¬ rer die Hand reichen. Darum vermeidet der Aelpler ſie auch und macht lieber einen Umweg über Gletſcher und auf loſem Geröll, als durch dieſe fußumſtrickenden Fanggarne. Auf Glimmerſchiefer trifft man das Krummholz auch in feuchten, ſumpfigen Mulden an, und einzelne Exemplare hat man ſogar in der Tiefe von nur 2500 Fuß über dem Meere gefunden. Waſſerfluthen, Lauinen, oder der Wind mögen Samen dahinab getragen haben. Ja, ſo¬ gar in den umfangreichen Moorbrüchen zwiſchen Augsburg und München, im ſ. g. Haspelmoor, hat man ſie bei 1600 Fuß über dem Meere getroffen und deshalb „Sumpfföhre“ (Pinus uliginosa) genannt. Selten wachſen im dichten Geſtrüpp der Gebirgs-Leg¬ föhre andere Pflanzen. Selbſt auf der glatten Rinde des Stam¬ mes zeigt ſich nicht einmal irgend eine Schmarotzerpflanze; höch¬ ſtens trifft man die goldgelbe Cetraria juniperina, eine Flechte des Hochgebirges und Verwandte des Isländiſchen Mooſes, hie und da an.
Flieht nun der Menſch dieſes ſtille undurchdringliche Dickicht, ſo dient es um ſo mehr dem Alpenwild als willkommener Schlupf¬ winkel, um ſich den Verfolgungen des Jägers zu entziehen. Vor
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0120"n="94"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#fr #g">Legföhren</hi>.<lb/></fw> letzten Jahres unweit von einander erblicken kann, eine Erſchei¬<lb/>
nung, die in der Pflanzenwelt wenig vorkommt.</p><lb/><p>Die Legföhre iſt ferner eine der beſcheidenſten Pflanzen, die<lb/>
es giebt. Da, wo keine andere Holzkultur, höchſtens nur Mooſe<lb/>
oder Saxifragen exiſtiren könnten, bekleidet ſie mit ihren dichten,<lb/>
tiefgrünen Büſchelkolonien große, kahle, trockene Kalkwände, beſon¬<lb/>
ders an den ſüdſeitigen Abhängen in der Höhe von 5000 bis<lb/>
6000 Fuß, dicht verfilzte Decken bildend, oft ſo kompakt und feſt<lb/>
ineinander gedrängt, daß man im buchſtäblichſten Sinne auf den<lb/>
Zweigen und Wipfeln gehen könnte. Dies iſt aber immer wegen<lb/>
der außerordentlichen Elaſtizität der Maſſe ein mißliches Unter¬<lb/>
nehmen und läßt ſich wohl bergabwärts, unmöglich aber bergan<lb/>
ausführen, obgleich die biegſamen Zweige ſo zu ſagen dem Klette¬<lb/>
rer die Hand reichen. Darum vermeidet der Aelpler ſie auch und<lb/>
macht lieber einen Umweg über Gletſcher und auf loſem Geröll,<lb/>
als durch dieſe fußumſtrickenden Fanggarne. Auf Glimmerſchiefer<lb/>
trifft man das Krummholz auch in feuchten, ſumpfigen Mulden an,<lb/>
und einzelne Exemplare hat man ſogar in der Tiefe von nur<lb/>
2500 Fuß über dem Meere gefunden. Waſſerfluthen, Lauinen,<lb/>
oder der Wind mögen Samen dahinab getragen haben. Ja, ſo¬<lb/>
gar in den umfangreichen Moorbrüchen zwiſchen Augsburg und<lb/>
München, im ſ. g. Haspelmoor, hat man ſie bei 1600 Fuß über<lb/>
dem Meere getroffen und deshalb „Sumpfföhre“ (<hirendition="#aq">Pinus uliginosa</hi>)<lb/>
genannt. Selten wachſen im dichten Geſtrüpp der Gebirgs-Leg¬<lb/>
föhre andere Pflanzen. Selbſt auf der glatten Rinde des Stam¬<lb/>
mes zeigt ſich nicht einmal irgend eine Schmarotzerpflanze; höch¬<lb/>ſtens trifft man die goldgelbe <hirendition="#aq">Cetraria juniperina</hi>, eine Flechte<lb/>
des Hochgebirges und Verwandte des Isländiſchen Mooſes, hie<lb/>
und da an.</p><lb/><p>Flieht nun der Menſch dieſes ſtille undurchdringliche Dickicht,<lb/>ſo dient es um ſo mehr dem Alpenwild als willkommener Schlupf¬<lb/>
winkel, um ſich den Verfolgungen des Jägers zu entziehen. Vor<lb/></p></div></body></text></TEI>
[94/0120]
Legföhren.
letzten Jahres unweit von einander erblicken kann, eine Erſchei¬
nung, die in der Pflanzenwelt wenig vorkommt.
Die Legföhre iſt ferner eine der beſcheidenſten Pflanzen, die
es giebt. Da, wo keine andere Holzkultur, höchſtens nur Mooſe
oder Saxifragen exiſtiren könnten, bekleidet ſie mit ihren dichten,
tiefgrünen Büſchelkolonien große, kahle, trockene Kalkwände, beſon¬
ders an den ſüdſeitigen Abhängen in der Höhe von 5000 bis
6000 Fuß, dicht verfilzte Decken bildend, oft ſo kompakt und feſt
ineinander gedrängt, daß man im buchſtäblichſten Sinne auf den
Zweigen und Wipfeln gehen könnte. Dies iſt aber immer wegen
der außerordentlichen Elaſtizität der Maſſe ein mißliches Unter¬
nehmen und läßt ſich wohl bergabwärts, unmöglich aber bergan
ausführen, obgleich die biegſamen Zweige ſo zu ſagen dem Klette¬
rer die Hand reichen. Darum vermeidet der Aelpler ſie auch und
macht lieber einen Umweg über Gletſcher und auf loſem Geröll,
als durch dieſe fußumſtrickenden Fanggarne. Auf Glimmerſchiefer
trifft man das Krummholz auch in feuchten, ſumpfigen Mulden an,
und einzelne Exemplare hat man ſogar in der Tiefe von nur
2500 Fuß über dem Meere gefunden. Waſſerfluthen, Lauinen,
oder der Wind mögen Samen dahinab getragen haben. Ja, ſo¬
gar in den umfangreichen Moorbrüchen zwiſchen Augsburg und
München, im ſ. g. Haspelmoor, hat man ſie bei 1600 Fuß über
dem Meere getroffen und deshalb „Sumpfföhre“ (Pinus uliginosa)
genannt. Selten wachſen im dichten Geſtrüpp der Gebirgs-Leg¬
föhre andere Pflanzen. Selbſt auf der glatten Rinde des Stam¬
mes zeigt ſich nicht einmal irgend eine Schmarotzerpflanze; höch¬
ſtens trifft man die goldgelbe Cetraria juniperina, eine Flechte
des Hochgebirges und Verwandte des Isländiſchen Mooſes, hie
und da an.
Flieht nun der Menſch dieſes ſtille undurchdringliche Dickicht,
ſo dient es um ſo mehr dem Alpenwild als willkommener Schlupf¬
winkel, um ſich den Verfolgungen des Jägers zu entziehen. Vor
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/120>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.