hoch, als Abfluß des gleichnamigen Gletschers im Chamouny-Thale herabstürzt und mit Federkraft wieder emporschnellend sich einen Ausweg sucht.
Wesentlich anders verhält sich's mit jenen, die eigentlich ihr Flußbett nicht verlassen, sondern innerhalb desselben über mehr oder minder hohe Stufen hinunterspringen müssen. Der imposanteste Repräsentant dieser Gattung ist der berühmte Tosa-Fall im Piemon¬ tesischen Val Formazza. Als der Wasser-reichste (der nur dem Rhein¬ fall bei Schaffhausen nachsteht) verursacht er in seinem Granit- Gehäuse auch den ärgsten Spektakel. Mehr denn 80 Fuß breit und in einer Gesammthöhe von etwa 400 Fuß stürzt die Toccia, nach unten sich erweiternd, über drei Absätze und löst ihre Wassermassen in siedend brandende Schaumwolken auf, denen dicke Wasserstaub- Nebel fortwährend entsteigen. Ihm zur Seite, wenn auch nicht so wassermächtig, aber noch wilder in der Umgebung steht der Aare- Fall an der Handeck im Hasli-Thale (Berner Oberland). Er stürzt in eine mehr als 200 Fuß tiefe Granitkluft hinab, Anfangs bis zur Hälfte des Kataraktes in gebundener, strahlend-glatter Masse; dann aber zerschellt dieselbe an aufragenden Felszacken, die unzer¬ störbar scheinen, so furchtbar, daß Alles in weiße schneeartig aussehende, zerstiebende Halbkugeln sich auflöst und in diesem Zustande von Treppe zu Treppe hinabkocht. -- Noch großartiger, was die Umgebung und Felsen-Dekoration anbelangt, ist der Berard- oder Poyaz-Fall bei Valorcine an der Tete noire (Uebergang von Martigny im Wallis zum Chamouny-Thal). Der Zugang zu diesem bereitet schon auf Außerordentliches vor. Am Eingange einer Felsen¬ schlucht spannt sich eine etwa 30 Fuß lange Holzbrücke über Tiefen, aus denen von Ferne unbestimmtes Brausen hervortönt. An him¬ melhohe Felsenwände angelehnt, liegen kolossale Granitblöcke wild durch einander geworfen und bilden, dicht an einander gedrängt, natürliche Tunnel. Auf gut angebrachten steinernen Treppen gehts dann bald auf- bald abwärts, in zwei aufeinander folgende Sou¬
Der Waſſerfall.
hoch, als Abfluß des gleichnamigen Gletſchers im Chamouny-Thale herabſtürzt und mit Federkraft wieder emporſchnellend ſich einen Ausweg ſucht.
Weſentlich anders verhält ſich's mit jenen, die eigentlich ihr Flußbett nicht verlaſſen, ſondern innerhalb deſſelben über mehr oder minder hohe Stufen hinunterſpringen müſſen. Der impoſanteſte Repräſentant dieſer Gattung iſt der berühmte Toſa-Fall im Piemon¬ teſiſchen Val Formazza. Als der Waſſer-reichſte (der nur dem Rhein¬ fall bei Schaffhauſen nachſteht) verurſacht er in ſeinem Granit- Gehäuſe auch den ärgſten Spektakel. Mehr denn 80 Fuß breit und in einer Geſammthöhe von etwa 400 Fuß ſtürzt die Toccia, nach unten ſich erweiternd, über drei Abſätze und löſt ihre Waſſermaſſen in ſiedend brandende Schaumwolken auf, denen dicke Waſſerſtaub- Nebel fortwährend entſteigen. Ihm zur Seite, wenn auch nicht ſo waſſermächtig, aber noch wilder in der Umgebung ſteht der Aare- Fall an der Handeck im Hasli-Thale (Berner Oberland). Er ſtürzt in eine mehr als 200 Fuß tiefe Granitkluft hinab, Anfangs bis zur Hälfte des Kataraktes in gebundener, ſtrahlend-glatter Maſſe; dann aber zerſchellt dieſelbe an aufragenden Felszacken, die unzer¬ ſtörbar ſcheinen, ſo furchtbar, daß Alles in weiße ſchneeartig ausſehende, zerſtiebende Halbkugeln ſich auflöſt und in dieſem Zuſtande von Treppe zu Treppe hinabkocht. — Noch großartiger, was die Umgebung und Felſen-Dekoration anbelangt, iſt der Bérard- oder Poyaz-Fall bei Valorcine an der Tête noire (Uebergang von Martigny im Wallis zum Chamouny-Thal). Der Zugang zu dieſem bereitet ſchon auf Außerordentliches vor. Am Eingange einer Felſen¬ ſchlucht ſpannt ſich eine etwa 30 Fuß lange Holzbrücke über Tiefen, aus denen von Ferne unbeſtimmtes Brauſen hervortönt. An him¬ melhohe Felſenwände angelehnt, liegen koloſſale Granitblöcke wild durch einander geworfen und bilden, dicht an einander gedrängt, natürliche Tunnel. Auf gut angebrachten ſteinernen Treppen gehts dann bald auf- bald abwärts, in zwei aufeinander folgende Sou¬
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Der Waſſerfall.
hoch, als Abfluß des gleichnamigen Gletſchers im Chamouny-Thale
herabſtürzt und mit Federkraft wieder emporſchnellend ſich einen
Ausweg ſucht.
Weſentlich anders verhält ſich's mit jenen, die eigentlich ihr
Flußbett nicht verlaſſen, ſondern innerhalb deſſelben über mehr oder
minder hohe Stufen hinunterſpringen müſſen. Der impoſanteſte
Repräſentant dieſer Gattung iſt der berühmte Toſa-Fall im Piemon¬
teſiſchen Val Formazza. Als der Waſſer-reichſte (der nur dem Rhein¬
fall bei Schaffhauſen nachſteht) verurſacht er in ſeinem Granit-
Gehäuſe auch den ärgſten Spektakel. Mehr denn 80 Fuß breit und
in einer Geſammthöhe von etwa 400 Fuß ſtürzt die Toccia, nach
unten ſich erweiternd, über drei Abſätze und löſt ihre Waſſermaſſen
in ſiedend brandende Schaumwolken auf, denen dicke Waſſerſtaub-
Nebel fortwährend entſteigen. Ihm zur Seite, wenn auch nicht
ſo waſſermächtig, aber noch wilder in der Umgebung ſteht der Aare-
Fall an der Handeck im Hasli-Thale (Berner Oberland). Er ſtürzt
in eine mehr als 200 Fuß tiefe Granitkluft hinab, Anfangs bis
zur Hälfte des Kataraktes in gebundener, ſtrahlend-glatter Maſſe;
dann aber zerſchellt dieſelbe an aufragenden Felszacken, die unzer¬
ſtörbar ſcheinen, ſo furchtbar, daß Alles in weiße ſchneeartig
ausſehende, zerſtiebende Halbkugeln ſich auflöſt und in dieſem
Zuſtande von Treppe zu Treppe hinabkocht. — Noch großartiger,
was die Umgebung und Felſen-Dekoration anbelangt, iſt der Bérard-
oder Poyaz-Fall bei Valorcine an der Tête noire (Uebergang von
Martigny im Wallis zum Chamouny-Thal). Der Zugang zu dieſem
bereitet ſchon auf Außerordentliches vor. Am Eingange einer Felſen¬
ſchlucht ſpannt ſich eine etwa 30 Fuß lange Holzbrücke über Tiefen,
aus denen von Ferne unbeſtimmtes Brauſen hervortönt. An him¬
melhohe Felſenwände angelehnt, liegen koloſſale Granitblöcke wild
durch einander geworfen und bilden, dicht an einander gedrängt,
natürliche Tunnel. Auf gut angebrachten ſteinernen Treppen gehts
dann bald auf- bald abwärts, in zwei aufeinander folgende Sou¬
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/187>, abgerufen am 24.11.2024.
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