Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Wasserfall. terrains, dann auf etwas flachen, mit Fichten bewachsenen Boden,wo noch Alpenrosen das Auge erfreuen, darauf in einen dritten, längeren, ganz dunkelen Granit-Gang von vielleicht 50 Schritt Tiefe, und endlich über eine solide Holzbrücke ans Tageslicht. Und siehe, der Wanderer steht plötzlich unter dem herrlichen, grandiosen Wasserfalle, der sich größtentheils über eine gewaltige flache Granit¬ platte, die wohl 50 Fuß über den Zuschauer hervorragt, in eine schauerliche Tiefe von etwa 250 Fuß mit furchtbarem Getöse hin¬ unterstürzt. Ein kleiner Wasserarm windet zur Rechten der Granit¬ platte sich durch und vereiniget, etwas tiefer, sich mit der großen Wassermasse, so daß der Anblick einige Aehnlichkeit mit dem eben¬ erwähnten Handeckfall hat, wo sich der Aerlenbach in den Arm der brausenden Aar wirft. Das ganz Eigenthümliche dieses Wasser¬ falles ist die absolute Abgeschiedenheit und die grandiose Einrahmung in dunkle, stygische Felsenmassen, deren Enden so scharf vom Zahne der Zeit ausgekehlt, zugespitzt und modellirt sind, als ob die tüch¬ tigsten Steinmetzen hier ihre Meisterarbeit zusammengestellt hätten, um irgend ein großartiges gothisches Bauwerk auszuschmücken. Man möchte diesen Fall seiner Einrahmung wegen einen gothischen Wasserfall nennen, indem die Hunderte von anstrebenden Säulchen und Pilastern ganz den Charakter und die Zeichnung herrlicher, mittelalterlicher Dome haben. Weder die Glommen- und Bram¬ men-Fälle im hohen Norwegen, noch die effektreichen Trollhäta-Fälle in Schweden, noch jene an der steierschen Gränze, in Tyrol und der Schweiz haben irgend ein Seitenstück zu diesem in seiner Art einzigen Schauspiel. Es ließe sich nun von hier an abwärts eine vollständige Der Waſſerfall. terrains, dann auf etwas flachen, mit Fichten bewachſenen Boden,wo noch Alpenroſen das Auge erfreuen, darauf in einen dritten, längeren, ganz dunkelen Granit-Gang von vielleicht 50 Schritt Tiefe, und endlich über eine ſolide Holzbrücke ans Tageslicht. Und ſiehe, der Wanderer ſteht plötzlich unter dem herrlichen, grandioſen Waſſerfalle, der ſich größtentheils über eine gewaltige flache Granit¬ platte, die wohl 50 Fuß über den Zuſchauer hervorragt, in eine ſchauerliche Tiefe von etwa 250 Fuß mit furchtbarem Getöſe hin¬ unterſtürzt. Ein kleiner Waſſerarm windet zur Rechten der Granit¬ platte ſich durch und vereiniget, etwas tiefer, ſich mit der großen Waſſermaſſe, ſo daß der Anblick einige Aehnlichkeit mit dem eben¬ erwähnten Handeckfall hat, wo ſich der Aerlenbach in den Arm der brauſenden Aar wirft. Das ganz Eigenthümliche dieſes Waſſer¬ falles iſt die abſolute Abgeſchiedenheit und die grandioſe Einrahmung in dunkle, ſtygiſche Felſenmaſſen, deren Enden ſo ſcharf vom Zahne der Zeit ausgekehlt, zugeſpitzt und modellirt ſind, als ob die tüch¬ tigſten Steinmetzen hier ihre Meiſterarbeit zuſammengeſtellt hätten, um irgend ein großartiges gothiſches Bauwerk auszuſchmücken. Man möchte dieſen Fall ſeiner Einrahmung wegen einen gothiſchen Waſſerfall nennen, indem die Hunderte von anſtrebenden Säulchen und Pilaſtern ganz den Charakter und die Zeichnung herrlicher, mittelalterlicher Dome haben. Weder die Glommen- und Bram¬ men-Fälle im hohen Norwegen, noch die effektreichen Trollhäta-Fälle in Schweden, noch jene an der ſteierſchen Gränze, in Tyrol und der Schweiz haben irgend ein Seitenſtück zu dieſem in ſeiner Art einzigen Schauſpiel. 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Der Waſſerfall.
terrains, dann auf etwas flachen, mit Fichten bewachſenen Boden,
wo noch Alpenroſen das Auge erfreuen, darauf in einen dritten,
längeren, ganz dunkelen Granit-Gang von vielleicht 50 Schritt
Tiefe, und endlich über eine ſolide Holzbrücke ans Tageslicht. Und
ſiehe, der Wanderer ſteht plötzlich unter dem herrlichen, grandioſen
Waſſerfalle, der ſich größtentheils über eine gewaltige flache Granit¬
platte, die wohl 50 Fuß über den Zuſchauer hervorragt, in eine
ſchauerliche Tiefe von etwa 250 Fuß mit furchtbarem Getöſe hin¬
unterſtürzt. Ein kleiner Waſſerarm windet zur Rechten der Granit¬
platte ſich durch und vereiniget, etwas tiefer, ſich mit der großen
Waſſermaſſe, ſo daß der Anblick einige Aehnlichkeit mit dem eben¬
erwähnten Handeckfall hat, wo ſich der Aerlenbach in den Arm der
brauſenden Aar wirft. Das ganz Eigenthümliche dieſes Waſſer¬
falles iſt die abſolute Abgeſchiedenheit und die grandioſe Einrahmung
in dunkle, ſtygiſche Felſenmaſſen, deren Enden ſo ſcharf vom Zahne
der Zeit ausgekehlt, zugeſpitzt und modellirt ſind, als ob die tüch¬
tigſten Steinmetzen hier ihre Meiſterarbeit zuſammengeſtellt hätten,
um irgend ein großartiges gothiſches Bauwerk auszuſchmücken. Man
möchte dieſen Fall ſeiner Einrahmung wegen einen gothiſchen
Waſſerfall nennen, indem die Hunderte von anſtrebenden Säulchen
und Pilaſtern ganz den Charakter und die Zeichnung herrlicher,
mittelalterlicher Dome haben. Weder die Glommen- und Bram¬
men-Fälle im hohen Norwegen, noch die effektreichen Trollhäta-Fälle
in Schweden, noch jene an der ſteierſchen Gränze, in Tyrol und
der Schweiz haben irgend ein Seitenſtück zu dieſem in ſeiner Art
einzigen Schauſpiel.
Es ließe ſich nun von hier an abwärts eine vollſtändige
Formen-Skala von Alpen-Waſſerfällen aus dem Gebiete der grani¬
tiſchen Geſteine aufſtellen; wir erwähnen indeſſen deren nur noch
zwei als geeignete Repräſentanten der verſchiedenen Abſtufungen.
Der eine iſt der Fall des Hinterrheines in der Roffla (zwiſchen
Viamala und Splügen in Graubünden) deſſen Sturzfundament
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