Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Der Schneesturm. verräth ihm die nahende Gefahr; unaufgefordert strengt es seineKräfte in erhöhtem Maße an, rascher fort zu kommen -- und keu¬ chend folgt ihm sein Treiber. Dem winselnden Unisono gesellt sich jetzt ein tiefer Grundton zu; die dazwischen liegenden Stimmen mehren sich, die Disharmonieen werden voller, und mit ihnen schwillt das Getöse immer wilder, immer mächtiger, immer lauter an und durchheult die Lüfte. Noch wenig Augenblicke und nun entladen auch die Schneewolken ihren Inhalt und senden einen Hagel feiner, nadelspitzer Eispfeile mit solch unbändiger Gewalt hernieder, daß alle entblößten Theile des Körpers auf das Schmerz¬ hafteste von ihnen getroffen werden. Der fast erschöpfte Wanderer kehrt der Seite, von welcher die Massen am Tollsten herabwüthen, den Rücken zu; -- aber was hilfts? Die jagenden Fluthen der Eisnadeln schlagen gleich den brandenden Meereswellen um ihn zusammen, und so wie diese, zu Schaum zerspritzt, dem Orkane sich wieder entgegenwerfen, so ändern auch die, seine Schultern bestrei¬ chenden Schneestaubwolken ihre Fluchtbahn und greifen in kreiseln¬ dem Wirbel den Betäubten von vorn an. Er kann Nichts sehen und deckt wechselsweise mit Arm und Hand und Tuch die Augen, die Wangen, das ganze Angesicht, welches von der schneidenden Kälte und den brennenden Stichen aufzuschwellen beginnt, -- er kann nicht athmen, denn die zu Eis verkörperte Luft fährt wie ätzendes Gift durch die Respirationsorgane in die Lunge und bohrt sich bei jedem Athemzuge wie mit tausend Spitzen fest. Er ist hereingebrochen, der furchtbare Schneesturm des Gebirges mit all seinem Entsetzen, seiner gräßlichen Wildheit, und umwüthet Alles, was in seinem Bereiche liegt. Das ist ein Hetzen und Peitschen durch die Lüfte, das tobt und stöhnt und pfeift und braust um die starren Felsenhörner, als ob die Atmosphäre wahnwitzig geworden wäre und die Introduktion zum letzten Gericht beginnen sollte. Und in Mitte dieses Aufruhrs steht der Mensch, der Herr des Erd¬ balles, der mit Eisen und Dampf die Materie sich dienstbar gemacht Der Schneeſturm. verräth ihm die nahende Gefahr; unaufgefordert ſtrengt es ſeineKräfte in erhöhtem Maße an, raſcher fort zu kommen — und keu¬ chend folgt ihm ſein Treiber. Dem winſelnden Uniſono geſellt ſich jetzt ein tiefer Grundton zu; die dazwiſchen liegenden Stimmen mehren ſich, die Disharmonieen werden voller, und mit ihnen ſchwillt das Getöſe immer wilder, immer mächtiger, immer lauter an und durchheult die Lüfte. Noch wenig Augenblicke und nun entladen auch die Schneewolken ihren Inhalt und ſenden einen Hagel feiner, nadelſpitzer Eispfeile mit ſolch unbändiger Gewalt hernieder, daß alle entblößten Theile des Körpers auf das Schmerz¬ hafteſte von ihnen getroffen werden. Der faſt erſchöpfte Wanderer kehrt der Seite, von welcher die Maſſen am Tollſten herabwüthen, den Rücken zu; — aber was hilfts? Die jagenden Fluthen der Eisnadeln ſchlagen gleich den brandenden Meereswellen um ihn zuſammen, und ſo wie dieſe, zu Schaum zerſpritzt, dem Orkane ſich wieder entgegenwerfen, ſo ändern auch die, ſeine Schultern beſtrei¬ chenden Schneeſtaubwolken ihre Fluchtbahn und greifen in kreiſeln¬ dem Wirbel den Betäubten von vorn an. Er kann Nichts ſehen und deckt wechſelsweiſe mit Arm und Hand und Tuch die Augen, die Wangen, das ganze Angeſicht, welches von der ſchneidenden Kälte und den brennenden Stichen aufzuſchwellen beginnt, — er kann nicht athmen, denn die zu Eis verkörperte Luft fährt wie ätzendes Gift durch die Reſpirationsorgane in die Lunge und bohrt ſich bei jedem Athemzuge wie mit tauſend Spitzen feſt. Er iſt hereingebrochen, der furchtbare Schneeſturm des Gebirges mit all ſeinem Entſetzen, ſeiner gräßlichen Wildheit, und umwüthet Alles, was in ſeinem Bereiche liegt. Das iſt ein Hetzen und Peitſchen durch die Lüfte, das tobt und ſtöhnt und pfeift und brauſt um die ſtarren Felſenhörner, als ob die Atmoſphäre wahnwitzig geworden wäre und die Introduktion zum letzten Gericht beginnen ſollte. Und in Mitte dieſes Aufruhrs ſteht der Menſch, der Herr des Erd¬ balles, der mit Eiſen und Dampf die Materie ſich dienſtbar gemacht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0200" n="172"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Der Schneeſturm</hi>.<lb/></fw> verräth ihm die nahende Gefahr; unaufgefordert ſtrengt es ſeine<lb/> Kräfte in erhöhtem Maße an, raſcher fort zu kommen — und keu¬<lb/> chend folgt ihm ſein Treiber. Dem winſelnden Uniſono geſellt ſich<lb/> jetzt ein tiefer Grundton zu; die dazwiſchen liegenden Stimmen<lb/> mehren ſich, die Disharmonieen werden voller, und mit ihnen<lb/> ſchwillt das Getöſe immer wilder, immer mächtiger, immer lauter<lb/> an und durchheult die Lüfte. Noch wenig Augenblicke und nun<lb/> entladen auch die Schneewolken ihren Inhalt und ſenden einen<lb/> Hagel feiner, nadelſpitzer Eispfeile mit ſolch unbändiger Gewalt<lb/> hernieder, daß alle entblößten Theile des Körpers auf das Schmerz¬<lb/> hafteſte von ihnen getroffen werden. 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Der Schneeſturm.
verräth ihm die nahende Gefahr; unaufgefordert ſtrengt es ſeine
Kräfte in erhöhtem Maße an, raſcher fort zu kommen — und keu¬
chend folgt ihm ſein Treiber. Dem winſelnden Uniſono geſellt ſich
jetzt ein tiefer Grundton zu; die dazwiſchen liegenden Stimmen
mehren ſich, die Disharmonieen werden voller, und mit ihnen
ſchwillt das Getöſe immer wilder, immer mächtiger, immer lauter
an und durchheult die Lüfte. Noch wenig Augenblicke und nun
entladen auch die Schneewolken ihren Inhalt und ſenden einen
Hagel feiner, nadelſpitzer Eispfeile mit ſolch unbändiger Gewalt
hernieder, daß alle entblößten Theile des Körpers auf das Schmerz¬
hafteſte von ihnen getroffen werden. Der faſt erſchöpfte Wanderer
kehrt der Seite, von welcher die Maſſen am Tollſten herabwüthen,
den Rücken zu; — aber was hilfts? Die jagenden Fluthen der
Eisnadeln ſchlagen gleich den brandenden Meereswellen um ihn
zuſammen, und ſo wie dieſe, zu Schaum zerſpritzt, dem Orkane ſich
wieder entgegenwerfen, ſo ändern auch die, ſeine Schultern beſtrei¬
chenden Schneeſtaubwolken ihre Fluchtbahn und greifen in kreiſeln¬
dem Wirbel den Betäubten von vorn an. Er kann Nichts ſehen
und deckt wechſelsweiſe mit Arm und Hand und Tuch die Augen,
die Wangen, das ganze Angeſicht, welches von der ſchneidenden
Kälte und den brennenden Stichen aufzuſchwellen beginnt, — er
kann nicht athmen, denn die zu Eis verkörperte Luft fährt wie
ätzendes Gift durch die Reſpirationsorgane in die Lunge und bohrt
ſich bei jedem Athemzuge wie mit tauſend Spitzen feſt. Er iſt
hereingebrochen, der furchtbare Schneeſturm des Gebirges mit all
ſeinem Entſetzen, ſeiner gräßlichen Wildheit, und umwüthet Alles,
was in ſeinem Bereiche liegt. Das iſt ein Hetzen und Peitſchen
durch die Lüfte, das tobt und ſtöhnt und pfeift und brauſt um die
ſtarren Felſenhörner, als ob die Atmoſphäre wahnwitzig geworden
wäre und die Introduktion zum letzten Gericht beginnen ſollte.
Und in Mitte dieſes Aufruhrs ſteht der Menſch, der Herr des Erd¬
balles, der mit Eiſen und Dampf die Materie ſich dienſtbar gemacht
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