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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Schneesturm.
und die Elemente seinem Willen unterjocht zu haben wähnt, -- er
steht da, ein armes, ohnmächtiges, verlassenes Geschöpf in grausen¬
hafter Schneewüste, eine sichere Beute des Todes, wenn die Sinne
ihm schwinden, wenn die letzte Kraft ihn verläßt.

Denn, tritt auch eine kurze Pause in dem entsetzlichen Auf¬
ruhr ein, kann der Ueberfallene für wenige Sekunden die Augen
öffnen, so sieht er keine Spur des zu verfolgenden Weges mehr.
So tief wie er, oft bis an die Kniee, im frischgefallenen und ab
den Bergen zusammengewehten Schnee steht, eben so tief und stellen¬
weise noch tiefer liegt derselbe überall. Darum hat die Vorsicht
der Thalbewohner diesseits und jenseits vielbegangener Pässe schon
seit alter Zeit die Einrichtung getroffen, 20 bis 30 Fuß hohe
Schneestangen vor Wintersanfang, längs des ganzen Paßweges
ins feste Gestein zu setzen, die bei verwehetem Pfade als Alligne¬
ment dienen. In ergiebigen Wintern ists indessen schon vorge¬
kommen, daß an manchen Stellen auch diese Stangen unter dem
von allen Seiten zusammengewehten Schnee verschwanden. Denn
in der oberen Alpenregion, d. h. in der absoluten Höhe zwischen
5500 und 7000 Fuß über dem Meeresspiegel, und in der subniva¬
len oder unteren Schneeregion zwischen 7000 und 8500 Fuß, fällt
der Schnee in ganz anderer Menge als in der Ebene, wo nicht
nur das Quantum des auf Einmal gefallenen Schnees weit unbe¬
deutender als im Gebirge ist, sondern wo auch steter Temperatur¬
wechsel mehrmals in einem Winter die ganze Schneedecke wieder
hinwegrollt.

Müdewerden, Schläfrigkeit, Hinsinken vor Ermattung, allmäh¬
liges Schwinden der Besinnung und endliches Erstarren vor Kälte
sind die Progressiv-Stadien des herbeischleichenden Todes. Jedes
Jahr fordert seine Opfer. Die Erinnerung an traurige Ereignisse
dieser Art lebt traditionell im Munde des Volkes, das am Fuße
solcher Bergübergänge wohnt, lebhaft und in Menge fort. Von
den vielen Beispielen mögen nur zwei hier einen Platz finden.

Der Schneeſturm.
und die Elemente ſeinem Willen unterjocht zu haben wähnt, — er
ſteht da, ein armes, ohnmächtiges, verlaſſenes Geſchöpf in grauſen¬
hafter Schneewüſte, eine ſichere Beute des Todes, wenn die Sinne
ihm ſchwinden, wenn die letzte Kraft ihn verläßt.

Denn, tritt auch eine kurze Pauſe in dem entſetzlichen Auf¬
ruhr ein, kann der Ueberfallene für wenige Sekunden die Augen
öffnen, ſo ſieht er keine Spur des zu verfolgenden Weges mehr.
So tief wie er, oft bis an die Kniee, im friſchgefallenen und ab
den Bergen zuſammengewehten Schnee ſteht, eben ſo tief und ſtellen¬
weiſe noch tiefer liegt derſelbe überall. Darum hat die Vorſicht
der Thalbewohner dieſſeits und jenſeits vielbegangener Päſſe ſchon
ſeit alter Zeit die Einrichtung getroffen, 20 bis 30 Fuß hohe
Schneeſtangen vor Wintersanfang, längs des ganzen Paßweges
ins feſte Geſtein zu ſetzen, die bei verwehetem Pfade als Alligne¬
ment dienen. In ergiebigen Wintern iſts indeſſen ſchon vorge¬
kommen, daß an manchen Stellen auch dieſe Stangen unter dem
von allen Seiten zuſammengewehten Schnee verſchwanden. Denn
in der oberen Alpenregion, d. h. in der abſoluten Höhe zwiſchen
5500 und 7000 Fuß über dem Meereſſpiegel, und in der ſubniva¬
len oder unteren Schneeregion zwiſchen 7000 und 8500 Fuß, fällt
der Schnee in ganz anderer Menge als in der Ebene, wo nicht
nur das Quantum des auf Einmal gefallenen Schnees weit unbe¬
deutender als im Gebirge iſt, ſondern wo auch ſteter Temperatur¬
wechſel mehrmals in einem Winter die ganze Schneedecke wieder
hinwegrollt.

Müdewerden, Schläfrigkeit, Hinſinken vor Ermattung, allmäh¬
liges Schwinden der Beſinnung und endliches Erſtarren vor Kälte
ſind die Progreſſiv-Stadien des herbeiſchleichenden Todes. Jedes
Jahr fordert ſeine Opfer. Die Erinnerung an traurige Ereigniſſe
dieſer Art lebt traditionell im Munde des Volkes, das am Fuße
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[173/0201] Der Schneeſturm. und die Elemente ſeinem Willen unterjocht zu haben wähnt, — er ſteht da, ein armes, ohnmächtiges, verlaſſenes Geſchöpf in grauſen¬ hafter Schneewüſte, eine ſichere Beute des Todes, wenn die Sinne ihm ſchwinden, wenn die letzte Kraft ihn verläßt. Denn, tritt auch eine kurze Pauſe in dem entſetzlichen Auf¬ ruhr ein, kann der Ueberfallene für wenige Sekunden die Augen öffnen, ſo ſieht er keine Spur des zu verfolgenden Weges mehr. So tief wie er, oft bis an die Kniee, im friſchgefallenen und ab den Bergen zuſammengewehten Schnee ſteht, eben ſo tief und ſtellen¬ weiſe noch tiefer liegt derſelbe überall. Darum hat die Vorſicht der Thalbewohner dieſſeits und jenſeits vielbegangener Päſſe ſchon ſeit alter Zeit die Einrichtung getroffen, 20 bis 30 Fuß hohe Schneeſtangen vor Wintersanfang, längs des ganzen Paßweges ins feſte Geſtein zu ſetzen, die bei verwehetem Pfade als Alligne¬ ment dienen. In ergiebigen Wintern iſts indeſſen ſchon vorge¬ kommen, daß an manchen Stellen auch dieſe Stangen unter dem von allen Seiten zuſammengewehten Schnee verſchwanden. Denn in der oberen Alpenregion, d. h. in der abſoluten Höhe zwiſchen 5500 und 7000 Fuß über dem Meereſſpiegel, und in der ſubniva¬ len oder unteren Schneeregion zwiſchen 7000 und 8500 Fuß, fällt der Schnee in ganz anderer Menge als in der Ebene, wo nicht nur das Quantum des auf Einmal gefallenen Schnees weit unbe¬ deutender als im Gebirge iſt, ſondern wo auch ſteter Temperatur¬ wechſel mehrmals in einem Winter die ganze Schneedecke wieder hinwegrollt. Müdewerden, Schläfrigkeit, Hinſinken vor Ermattung, allmäh¬ liges Schwinden der Beſinnung und endliches Erſtarren vor Kälte ſind die Progreſſiv-Stadien des herbeiſchleichenden Todes. Jedes Jahr fordert ſeine Opfer. Die Erinnerung an traurige Ereigniſſe dieſer Art lebt traditionell im Munde des Volkes, das am Fuße ſolcher Bergübergänge wohnt, lebhaft und in Menge fort. Von den vielen Beiſpielen mögen nur zwei hier einen Platz finden.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/201>, abgerufen am 21.11.2024.