Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.Auf der Jagd. hutsamkeit und Vorsicht gehört zu diesem katzenartigen Vorgehen,welch äußerst spannendes Lauern bei größter Ruhe und Kälte! Erst nachdem sich die Thiere erhoben haben, wählt er sein Opfer aus und schießt. Oft begegnets, daß der resolute Jäger, bevor das erschrockene Gemsenvolk die Gegend ausfindet, von welcher Gefahr droht, noch ein zweites Thier mit seiner Doppelbüchse er¬ legt. Hat er gut getroffen, so schnellt die Gemse hoch auf und stürzt rasch zusammen; es trifft aber auch, daß angeschossene Thiere, die nicht tödtlich verwundet wurden, mit dem ganzen Rudel auf und davon jagen. Mitunter giebt es auffallend große Gesellschaf¬ ten dieses Wildes, die bis zur Paarung bei einander bleiben; der bekannte Berggänger Statthalter Gottl. Studer in Bern sah deren einst im Wallis 60 zusammen weiden. Solojäger pflegen in der Regel keine Hunde mitzunehmen. Der gewaltigste Gemsenjäger der Jetztzeit möchte vielleicht Auf der Jagd. hutſamkeit und Vorſicht gehört zu dieſem katzenartigen Vorgehen,welch äußerſt ſpannendes Lauern bei größter Ruhe und Kälte! Erſt nachdem ſich die Thiere erhoben haben, wählt er ſein Opfer aus und ſchießt. Oft begegnets, daß der reſolute Jäger, bevor das erſchrockene Gemſenvolk die Gegend ausfindet, von welcher Gefahr droht, noch ein zweites Thier mit ſeiner Doppelbüchſe er¬ legt. Hat er gut getroffen, ſo ſchnellt die Gemſe hoch auf und ſtürzt raſch zuſammen; es trifft aber auch, daß angeſchoſſene Thiere, die nicht tödtlich verwundet wurden, mit dem ganzen Rudel auf und davon jagen. Mitunter giebt es auffallend große Geſellſchaf¬ ten dieſes Wildes, die bis zur Paarung bei einander bleiben; der bekannte Berggänger Statthalter Gottl. Studer in Bern ſah deren einſt im Wallis 60 zuſammen weiden. Solojäger pflegen in der Regel keine Hunde mitzunehmen. Der gewaltigſte Gemſenjäger der Jetztzeit möchte vielleicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0461" n="413"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#fr #g">Auf der Jagd</hi>.<lb/></fw> hutſamkeit und Vorſicht gehört zu dieſem katzenartigen Vorgehen,<lb/> welch äußerſt ſpannendes Lauern bei größter Ruhe und Kälte!<lb/> Erſt nachdem ſich die Thiere erhoben haben, wählt er ſein Opfer<lb/> aus und ſchießt. Oft begegnets, daß der reſolute Jäger, bevor<lb/> das erſchrockene Gemſenvolk die Gegend ausfindet, von welcher<lb/> Gefahr droht, noch ein zweites Thier mit ſeiner Doppelbüchſe er¬<lb/> legt. Hat er gut getroffen, ſo ſchnellt die Gemſe hoch auf und<lb/> ſtürzt raſch zuſammen; es trifft aber auch, daß angeſchoſſene Thiere,<lb/> die nicht tödtlich verwundet wurden, mit dem ganzen Rudel auf<lb/> und davon jagen. Mitunter giebt es auffallend große Geſellſchaf¬<lb/> ten dieſes Wildes, die bis zur Paarung bei einander bleiben; der<lb/> bekannte Berggänger Statthalter Gottl. Studer in Bern ſah deren<lb/> einſt im Wallis 60 zuſammen weiden. Solojäger pflegen in der<lb/> Regel keine Hunde mitzunehmen.</p><lb/> <p>Der gewaltigſte Gemſenjäger der Jetztzeit möchte vielleicht<lb/><hi rendition="#g">Ignaz Troger</hi> von Ober-Ems in Eiſchol (Wallis) ſein; wenig¬<lb/> ſtens erzählen die Hirten auf den Alpen des Turtmann- und<lb/> Nicolai-Thales völlige Wunderdinge von ihm. Er ſcheint ein<lb/> moderner Colani der dortigen Gegend zu ſein, der ein mehrere<lb/> Quadratmeilen großes Gebiet ſtillſchweigend als ausſchließlich nur<lb/> ihm zuſtändiges Jagdrevier uſurpirt hat und in welches kein ande¬<lb/> rer Schütze ſich getraut. Außerdem umgiebt ihn der Volksglaube<lb/> mit einem unheimlichen, ſagenhaften Nimbus und macht ihn zu<lb/> einem Freiſchützen, der auf jeden Schuß ſich holen könne, was er<lb/> verlange. Jedenfalls ſteht es feſt, daß er im ganzen Kanton<lb/> Wallis der beſte Alpenjäger iſt, und wahrſcheinlich mag der Um¬<lb/> ſtand, daß er unter ſchlauer Benutzung gemachter Erfahrungen<lb/> vielleicht an einem Tage 3 und 4 Gemſen ſchoß, dieſe geſchickt ver¬<lb/> barg und dann eine nach der anderen in ſeine Wohnung hinab¬<lb/> trug, Veranlaſſung zu allerlei Fabeleien gegeben haben. Zugleich<lb/> iſt er der verwegenſte und unternehmendſte Berggänger; wenn die<lb/> Erſteigung des Weißhornes je möglich ſei, ſo erreiche Troger zu¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [413/0461]
Auf der Jagd.
hutſamkeit und Vorſicht gehört zu dieſem katzenartigen Vorgehen,
welch äußerſt ſpannendes Lauern bei größter Ruhe und Kälte!
Erſt nachdem ſich die Thiere erhoben haben, wählt er ſein Opfer
aus und ſchießt. Oft begegnets, daß der reſolute Jäger, bevor
das erſchrockene Gemſenvolk die Gegend ausfindet, von welcher
Gefahr droht, noch ein zweites Thier mit ſeiner Doppelbüchſe er¬
legt. Hat er gut getroffen, ſo ſchnellt die Gemſe hoch auf und
ſtürzt raſch zuſammen; es trifft aber auch, daß angeſchoſſene Thiere,
die nicht tödtlich verwundet wurden, mit dem ganzen Rudel auf
und davon jagen. Mitunter giebt es auffallend große Geſellſchaf¬
ten dieſes Wildes, die bis zur Paarung bei einander bleiben; der
bekannte Berggänger Statthalter Gottl. Studer in Bern ſah deren
einſt im Wallis 60 zuſammen weiden. Solojäger pflegen in der
Regel keine Hunde mitzunehmen.
Der gewaltigſte Gemſenjäger der Jetztzeit möchte vielleicht
Ignaz Troger von Ober-Ems in Eiſchol (Wallis) ſein; wenig¬
ſtens erzählen die Hirten auf den Alpen des Turtmann- und
Nicolai-Thales völlige Wunderdinge von ihm. Er ſcheint ein
moderner Colani der dortigen Gegend zu ſein, der ein mehrere
Quadratmeilen großes Gebiet ſtillſchweigend als ausſchließlich nur
ihm zuſtändiges Jagdrevier uſurpirt hat und in welches kein ande¬
rer Schütze ſich getraut. Außerdem umgiebt ihn der Volksglaube
mit einem unheimlichen, ſagenhaften Nimbus und macht ihn zu
einem Freiſchützen, der auf jeden Schuß ſich holen könne, was er
verlange. Jedenfalls ſteht es feſt, daß er im ganzen Kanton
Wallis der beſte Alpenjäger iſt, und wahrſcheinlich mag der Um¬
ſtand, daß er unter ſchlauer Benutzung gemachter Erfahrungen
vielleicht an einem Tage 3 und 4 Gemſen ſchoß, dieſe geſchickt ver¬
barg und dann eine nach der anderen in ſeine Wohnung hinab¬
trug, Veranlaſſung zu allerlei Fabeleien gegeben haben. Zugleich
iſt er der verwegenſte und unternehmendſte Berggänger; wenn die
Erſteigung des Weißhornes je möglich ſei, ſo erreiche Troger zu¬
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