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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Dorfleben im Gebirge.
zerstreute Lage ungemein. Dennoch aber würden sie den maleri¬
schen, poetischen Effekt nicht erreichen, wenn wir an ihnen nur eben
wieder den uns bekannten, geraden Linien, den äußerlichen Merk¬
malen der modernen Tieflands-Architektur, und den nüchternen,
weißen Anstrichfarben begegneten. Die Wohnungen in den Alpen¬
dörfern sehen nicht aus wie Kunstgebilde von Menschenhand, --
sie scheinen mit den Bergen und Bäumen aus der Erde gewachsen
zu sein. Da ist noch die saftige, weiche, braune Holzfarbe, wie sie
die Natur den Stämmen selbst verlieh, da sind die silberglänzen¬
den Schindeldächer, auf denen schwere bemooste Steine lasten, die
trotzenden Hüter gegen den wilden Föhn. Breit und niedrig steht
es da das Berghaus, als obs vom jahrelangen Druck der Steine
und des Schnees halb in den Boden versenkt wäre; aber gerade
diese behäbige, lagernde Breite giebt ihm eine unendlich wohl¬
thätige Ruhe, die der erhabenen Einfalt und Stille der Alpenwelt
entspricht. So vortheilhaft nun diese Häuser in der landschaft¬
lichen Komposition wirken, so wenig würde deren innere Verfassung
und Einrichtung den Besucher befriedigen. Die mehr oder minder
allen Hirten-Völkern eigene geringe Sorgfalt für die Reinlichkeit
ihrer Wohnungen zerstört jede idyllische Illusion. -- Ueber alle
Begriffe einfach ist der Hausrath; ein großer Theil desselben ist
Produkt eigener Handfertigkeit, und es giebt noch manches Dorf
der inneren Alpen, in denen das eiserne Thürschloß noch keine
Aufnahme und Anwendung gefunden hat, und der brennende Kien¬
spahn die Stelle des Talglichtes oder der Oellampe vertreten muß.
Dem Rauch vom Herd und Ofen ist kein Kaminweg angewiesen,
durch den er seinen Ausgang suchen muß; in vielen Berghäusern
geht die Schornsteinleitung bis in den Bodenraum, und dort dampft
es dann durch alle Luken und Spalten des Daches hinaus. Menschen
und Vieh leben und gedeihen gemeinsam im gleichen Hause; die Stallun¬
gen nehmen meist einen wesentlichen Theil desselben ein und schützen
durch ihre natürliche Wärme im strengen Winter gegen die scharfe Kälte.

Dorfleben im Gebirge.
zerſtreute Lage ungemein. Dennoch aber würden ſie den maleri¬
ſchen, poetiſchen Effekt nicht erreichen, wenn wir an ihnen nur eben
wieder den uns bekannten, geraden Linien, den äußerlichen Merk¬
malen der modernen Tieflands-Architektur, und den nüchternen,
weißen Anſtrichfarben begegneten. Die Wohnungen in den Alpen¬
dörfern ſehen nicht aus wie Kunſtgebilde von Menſchenhand, —
ſie ſcheinen mit den Bergen und Bäumen aus der Erde gewachſen
zu ſein. Da iſt noch die ſaftige, weiche, braune Holzfarbe, wie ſie
die Natur den Stämmen ſelbſt verlieh, da ſind die ſilberglänzen¬
den Schindeldächer, auf denen ſchwere bemooſte Steine laſten, die
trotzenden Hüter gegen den wilden Föhn. Breit und niedrig ſteht
es da das Berghaus, als obs vom jahrelangen Druck der Steine
und des Schnees halb in den Boden verſenkt wäre; aber gerade
dieſe behäbige, lagernde Breite giebt ihm eine unendlich wohl¬
thätige Ruhe, die der erhabenen Einfalt und Stille der Alpenwelt
entſpricht. So vortheilhaft nun dieſe Häuſer in der landſchaft¬
lichen Kompoſition wirken, ſo wenig würde deren innere Verfaſſung
und Einrichtung den Beſucher befriedigen. Die mehr oder minder
allen Hirten-Völkern eigene geringe Sorgfalt für die Reinlichkeit
ihrer Wohnungen zerſtört jede idylliſche Illuſion. — Ueber alle
Begriffe einfach iſt der Hausrath; ein großer Theil deſſelben iſt
Produkt eigener Handfertigkeit, und es giebt noch manches Dorf
der inneren Alpen, in denen das eiſerne Thürſchloß noch keine
Aufnahme und Anwendung gefunden hat, und der brennende Kien¬
ſpahn die Stelle des Talglichtes oder der Oellampe vertreten muß.
Dem Rauch vom Herd und Ofen iſt kein Kaminweg angewieſen,
durch den er ſeinen Ausgang ſuchen muß; in vielen Berghäuſern
geht die Schornſteinleitung bis in den Bodenraum, und dort dampft
es dann durch alle Luken und Spalten des Daches hinaus. Menſchen
und Vieh leben und gedeihen gemeinſam im gleichen Hauſe; die Stallun¬
gen nehmen meiſt einen weſentlichen Theil deſſelben ein und ſchützen
durch ihre natürliche Wärme im ſtrengen Winter gegen die ſcharfe Kälte.

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[427/0477] Dorfleben im Gebirge. zerſtreute Lage ungemein. Dennoch aber würden ſie den maleri¬ ſchen, poetiſchen Effekt nicht erreichen, wenn wir an ihnen nur eben wieder den uns bekannten, geraden Linien, den äußerlichen Merk¬ malen der modernen Tieflands-Architektur, und den nüchternen, weißen Anſtrichfarben begegneten. Die Wohnungen in den Alpen¬ dörfern ſehen nicht aus wie Kunſtgebilde von Menſchenhand, — ſie ſcheinen mit den Bergen und Bäumen aus der Erde gewachſen zu ſein. Da iſt noch die ſaftige, weiche, braune Holzfarbe, wie ſie die Natur den Stämmen ſelbſt verlieh, da ſind die ſilberglänzen¬ den Schindeldächer, auf denen ſchwere bemooſte Steine laſten, die trotzenden Hüter gegen den wilden Föhn. Breit und niedrig ſteht es da das Berghaus, als obs vom jahrelangen Druck der Steine und des Schnees halb in den Boden verſenkt wäre; aber gerade dieſe behäbige, lagernde Breite giebt ihm eine unendlich wohl¬ thätige Ruhe, die der erhabenen Einfalt und Stille der Alpenwelt entſpricht. So vortheilhaft nun dieſe Häuſer in der landſchaft¬ lichen Kompoſition wirken, ſo wenig würde deren innere Verfaſſung und Einrichtung den Beſucher befriedigen. Die mehr oder minder allen Hirten-Völkern eigene geringe Sorgfalt für die Reinlichkeit ihrer Wohnungen zerſtört jede idylliſche Illuſion. — Ueber alle Begriffe einfach iſt der Hausrath; ein großer Theil deſſelben iſt Produkt eigener Handfertigkeit, und es giebt noch manches Dorf der inneren Alpen, in denen das eiſerne Thürſchloß noch keine Aufnahme und Anwendung gefunden hat, und der brennende Kien¬ ſpahn die Stelle des Talglichtes oder der Oellampe vertreten muß. Dem Rauch vom Herd und Ofen iſt kein Kaminweg angewieſen, durch den er ſeinen Ausgang ſuchen muß; in vielen Berghäuſern geht die Schornſteinleitung bis in den Bodenraum, und dort dampft es dann durch alle Luken und Spalten des Daches hinaus. Menſchen und Vieh leben und gedeihen gemeinſam im gleichen Hauſe; die Stallun¬ gen nehmen meiſt einen weſentlichen Theil deſſelben ein und ſchützen durch ihre natürliche Wärme im ſtrengen Winter gegen die ſcharfe Kälte.

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/477>, abgerufen am 21.11.2024.