Müssens und Sollens, sondern auch in Sachen eigenen Entschlusses, eigener freier Meinung: so zäh wie er in seinen physischen An¬ strengungen ist, ebenso nachhaltig ist er auch in den Resultaten seines Nachdenkens, seiner Willensfreiheit.
Fast lediglich der natürlichen Körperentwickelung überlassen, wächst nun das Kind, halb nackend unter und mit den Thieren des Hauses auf. Während der besseren Jahreszeit ist sein Tum¬ melplatz auf der schwellenden Matte, welche die "Heimet" umgiebt, im Walde und ob jäher Felsenfluh, immer umgeben von tausend Gefahren, -- hier des Sturzes in den Wildbach und des Zer¬ schmettertwerdens durch Steinschläge, dort des Ertrinkens im See, oder der Vergiftung durch Beeren und Pflanzen; aber wie nicht der Frieden, sondern der Krieg seine Helden groß zieht, so dienen auch alle diese, der zarten Jugend drohenden Schrecknisse nur da¬ zu, das Alpenkind für sein ihm bestimmtes Loos im Leben vorzu¬ bereiten und zu kräftigen. Es müßte allenthalben ein spartanisch¬ männlicher, eisern-fester Volksschlag erwachsen, wenn nicht vielseitig die gänzlich vernachlässigte Hautkultur und das Leben in engen, oft mit pestartig-verdorbener Luft gefüllten, während des Winters überheizten Stuben einer gesunden, normalen Körperausbildung wesentlich hindernd entgegenträten. Darum in einzelnen Gebirgs¬ gegenden, wo noch andere beeinträchtigende Faktoren mitwirken, die auffallende Menge von Cretins, blödsinnigen und nur halb entwickelten Menschen. Die Schule quält den jungen Weltbürger der Alpen mit Wissensbelästigungen herzlich wenig; drei bis vier Elementar-Fächer, innerhalb der engsten Gränzen, genügen, um die Basis für den geistigen Horizont des ganzen Lebens zu legen, -- alles Uebrige muß die Praxis späterer Jahre lehren. Und diese Schulzeit, -- o nachahmungswürdiges Beispiel, Seligkeitsgedanke der unterrichtsfeindlichen, stundenschwänzenden Jugend, -- dauert jährlich nur sechs Wintermonate; den ganzen schönen, langen Sommer über, von Ostern bis Michaeli, sind Ferien, -- Ferien für
Dorfleben im Gebirge.
Müſſens und Sollens, ſondern auch in Sachen eigenen Entſchluſſes, eigener freier Meinung: ſo zäh wie er in ſeinen phyſiſchen An¬ ſtrengungen iſt, ebenſo nachhaltig iſt er auch in den Reſultaten ſeines Nachdenkens, ſeiner Willensfreiheit.
Faſt lediglich der natürlichen Körperentwickelung überlaſſen, wächſt nun das Kind, halb nackend unter und mit den Thieren des Hauſes auf. Während der beſſeren Jahreszeit iſt ſein Tum¬ melplatz auf der ſchwellenden Matte, welche die „Heimet“ umgiebt, im Walde und ob jäher Felſenfluh, immer umgeben von tauſend Gefahren, — hier des Sturzes in den Wildbach und des Zer¬ ſchmettertwerdens durch Steinſchläge, dort des Ertrinkens im See, oder der Vergiftung durch Beeren und Pflanzen; aber wie nicht der Frieden, ſondern der Krieg ſeine Helden groß zieht, ſo dienen auch alle dieſe, der zarten Jugend drohenden Schreckniſſe nur da¬ zu, das Alpenkind für ſein ihm beſtimmtes Loos im Leben vorzu¬ bereiten und zu kräftigen. Es müßte allenthalben ein ſpartaniſch¬ männlicher, eiſern-feſter Volksſchlag erwachſen, wenn nicht vielſeitig die gänzlich vernachläſſigte Hautkultur und das Leben in engen, oft mit peſtartig-verdorbener Luft gefüllten, während des Winters überheizten Stuben einer geſunden, normalen Körperausbildung weſentlich hindernd entgegenträten. Darum in einzelnen Gebirgs¬ gegenden, wo noch andere beeinträchtigende Faktoren mitwirken, die auffallende Menge von Cretins, blödſinnigen und nur halb entwickelten Menſchen. Die Schule quält den jungen Weltbürger der Alpen mit Wiſſensbeläſtigungen herzlich wenig; drei bis vier Elementar-Fächer, innerhalb der engſten Gränzen, genügen, um die Baſis für den geiſtigen Horizont des ganzen Lebens zu legen, — alles Uebrige muß die Praxis ſpäterer Jahre lehren. Und dieſe Schulzeit, — o nachahmungswürdiges Beiſpiel, Seligkeitsgedanke der unterrichtsfeindlichen, ſtundenſchwänzenden Jugend, — dauert jährlich nur ſechs Wintermonate; den ganzen ſchönen, langen Sommer über, von Oſtern bis Michaeli, ſind Ferien, — Ferien für
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Dorfleben im Gebirge.
Müſſens und Sollens, ſondern auch in Sachen eigenen Entſchluſſes,
eigener freier Meinung: ſo zäh wie er in ſeinen phyſiſchen An¬
ſtrengungen iſt, ebenſo nachhaltig iſt er auch in den Reſultaten
ſeines Nachdenkens, ſeiner Willensfreiheit.
Faſt lediglich der natürlichen Körperentwickelung überlaſſen,
wächſt nun das Kind, halb nackend unter und mit den Thieren
des Hauſes auf. Während der beſſeren Jahreszeit iſt ſein Tum¬
melplatz auf der ſchwellenden Matte, welche die „Heimet“ umgiebt,
im Walde und ob jäher Felſenfluh, immer umgeben von tauſend
Gefahren, — hier des Sturzes in den Wildbach und des Zer¬
ſchmettertwerdens durch Steinſchläge, dort des Ertrinkens im See,
oder der Vergiftung durch Beeren und Pflanzen; aber wie nicht
der Frieden, ſondern der Krieg ſeine Helden groß zieht, ſo dienen
auch alle dieſe, der zarten Jugend drohenden Schreckniſſe nur da¬
zu, das Alpenkind für ſein ihm beſtimmtes Loos im Leben vorzu¬
bereiten und zu kräftigen. Es müßte allenthalben ein ſpartaniſch¬
männlicher, eiſern-feſter Volksſchlag erwachſen, wenn nicht vielſeitig
die gänzlich vernachläſſigte Hautkultur und das Leben in engen,
oft mit peſtartig-verdorbener Luft gefüllten, während des Winters
überheizten Stuben einer geſunden, normalen Körperausbildung
weſentlich hindernd entgegenträten. Darum in einzelnen Gebirgs¬
gegenden, wo noch andere beeinträchtigende Faktoren mitwirken,
die auffallende Menge von Cretins, blödſinnigen und nur halb
entwickelten Menſchen. Die Schule quält den jungen Weltbürger
der Alpen mit Wiſſensbeläſtigungen herzlich wenig; drei bis vier
Elementar-Fächer, innerhalb der engſten Gränzen, genügen, um die
Baſis für den geiſtigen Horizont des ganzen Lebens zu legen, —
alles Uebrige muß die Praxis ſpäterer Jahre lehren. Und dieſe
Schulzeit, — o nachahmungswürdiges Beiſpiel, Seligkeitsgedanke
der unterrichtsfeindlichen, ſtundenſchwänzenden Jugend, — dauert
jährlich nur ſechs Wintermonate; den ganzen ſchönen, langen
Sommer über, von Oſtern bis Michaeli, ſind Ferien, — Ferien für
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/480>, abgerufen am 21.11.2024.
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