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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Karrenfelder.
sei ehedem eine der schönsten Alpenweiden im Lande gewesen und
habe zwei Brüdern gehört, welche dieselbe gemeinschaftlich verwal¬
teten. Als darauf Einer von Beiden blind geworden sei, da habe
man Theilung des Gutes beschlossen und die Ausführung dem Ge¬
sunden übertragen. Dieser aber habe den blinden Bruder über¬
vortheilt, die Marchsteine falsch gesetzt und sich den größten und
schönsten Theil der Alp angeeignet. Wie solche Kunde dem Blin¬
den überbracht worden sei, habe dieser seinen Bruder darüber zur
Rede gestellt. Der Ungerechte aber habe sich verheißen und ver¬
schworen: "Der Teufel solle ihn holen und die Weide zerreißen,
wenn er nicht ganz ehrlich getheilt habe." Da sei denn ein furcht¬
bares Wetter entstanden, der Berg habe gebebt, Satanas sei er¬
schienen und der Schwur in Erfüllung gegangen. Der Teufel
habe allen Rasen und nutzbares Erdreich vom Berge abgestreift
und zwar so begierig und eifrig, daß man noch heutigen Tages
die Spuren seiner Krallen im Gestein als jene Rinnen erblicke.
Während die Weide des Blinden unversehrt blieb, verfiel der An¬
dere der Hölle.

Es liegt, lassen wir das Motiv der Erzählung außer Spiel,
tiefer und wahrer Sinn dieser Sage zu Grunde. Die unverstän¬
dige Menschenhand, welche die Berge ihrer Wälder so beraubte,
daß der Boden kahl, den Zerstörungen durchs Wetter preisgegeben
wurde, war die Teufelsfaust, welche den Berg verwüstete;

Gestorben ist der Fichtenwald,
Verwittert sind die Zinken;
Nur grau Gestein, so alt und kalt
Liegt da, mir graus zu winken.
    Witte.

Man suchte die Karrenfelder als Resultate der einstigen großen
Gletscher-Erosion darzustellen, zumal sie oft mit anderen unver¬
kennbaren Gletscherspuren in Verbindung auftreten. Genauere
Untersuchungen haben jedoch die Unhaltbarkeit dieser Hypothese
zur Genüge nachgewiesen. Der Gletscherschliff, dessen im Abschnitt:
"Granit" schon Erwähnung geschah, hat gerade die Eigenthümlich¬

Karrenfelder.
ſei ehedem eine der ſchönſten Alpenweiden im Lande geweſen und
habe zwei Brüdern gehört, welche dieſelbe gemeinſchaftlich verwal¬
teten. Als darauf Einer von Beiden blind geworden ſei, da habe
man Theilung des Gutes beſchloſſen und die Ausführung dem Ge¬
ſunden übertragen. Dieſer aber habe den blinden Bruder über¬
vortheilt, die Marchſteine falſch geſetzt und ſich den größten und
ſchönſten Theil der Alp angeeignet. Wie ſolche Kunde dem Blin¬
den überbracht worden ſei, habe dieſer ſeinen Bruder darüber zur
Rede geſtellt. Der Ungerechte aber habe ſich verheißen und ver¬
ſchworen: „Der Teufel ſolle ihn holen und die Weide zerreißen,
wenn er nicht ganz ehrlich getheilt habe.“ Da ſei denn ein furcht¬
bares Wetter entſtanden, der Berg habe gebebt, Satanas ſei er¬
ſchienen und der Schwur in Erfüllung gegangen. Der Teufel
habe allen Raſen und nutzbares Erdreich vom Berge abgeſtreift
und zwar ſo begierig und eifrig, daß man noch heutigen Tages
die Spuren ſeiner Krallen im Geſtein als jene Rinnen erblicke.
Während die Weide des Blinden unverſehrt blieb, verfiel der An¬
dere der Hölle.

Es liegt, laſſen wir das Motiv der Erzählung außer Spiel,
tiefer und wahrer Sinn dieſer Sage zu Grunde. Die unverſtän¬
dige Menſchenhand, welche die Berge ihrer Wälder ſo beraubte,
daß der Boden kahl, den Zerſtörungen durchs Wetter preisgegeben
wurde, war die Teufelsfauſt, welche den Berg verwüſtete;

Geſtorben iſt der Fichtenwald,
Verwittert ſind die Zinken;
Nur grau Geſtein, ſo alt und kalt
Liegt da, mir graus zu winken.
    Witte.

Man ſuchte die Karrenfelder als Reſultate der einſtigen großen
Gletſcher-Eroſion darzuſtellen, zumal ſie oft mit anderen unver¬
kennbaren Gletſcherſpuren in Verbindung auftreten. Genauere
Unterſuchungen haben jedoch die Unhaltbarkeit dieſer Hypotheſe
zur Genüge nachgewieſen. Der Gletſcherſchliff, deſſen im Abſchnitt:
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[37/0055] Karrenfelder. ſei ehedem eine der ſchönſten Alpenweiden im Lande geweſen und habe zwei Brüdern gehört, welche dieſelbe gemeinſchaftlich verwal¬ teten. Als darauf Einer von Beiden blind geworden ſei, da habe man Theilung des Gutes beſchloſſen und die Ausführung dem Ge¬ ſunden übertragen. Dieſer aber habe den blinden Bruder über¬ vortheilt, die Marchſteine falſch geſetzt und ſich den größten und ſchönſten Theil der Alp angeeignet. Wie ſolche Kunde dem Blin¬ den überbracht worden ſei, habe dieſer ſeinen Bruder darüber zur Rede geſtellt. Der Ungerechte aber habe ſich verheißen und ver¬ ſchworen: „Der Teufel ſolle ihn holen und die Weide zerreißen, wenn er nicht ganz ehrlich getheilt habe.“ Da ſei denn ein furcht¬ bares Wetter entſtanden, der Berg habe gebebt, Satanas ſei er¬ ſchienen und der Schwur in Erfüllung gegangen. Der Teufel habe allen Raſen und nutzbares Erdreich vom Berge abgeſtreift und zwar ſo begierig und eifrig, daß man noch heutigen Tages die Spuren ſeiner Krallen im Geſtein als jene Rinnen erblicke. Während die Weide des Blinden unverſehrt blieb, verfiel der An¬ dere der Hölle. Es liegt, laſſen wir das Motiv der Erzählung außer Spiel, tiefer und wahrer Sinn dieſer Sage zu Grunde. Die unverſtän¬ dige Menſchenhand, welche die Berge ihrer Wälder ſo beraubte, daß der Boden kahl, den Zerſtörungen durchs Wetter preisgegeben wurde, war die Teufelsfauſt, welche den Berg verwüſtete; Geſtorben iſt der Fichtenwald, Verwittert ſind die Zinken; Nur grau Geſtein, ſo alt und kalt Liegt da, mir graus zu winken. Witte. Man ſuchte die Karrenfelder als Reſultate der einſtigen großen Gletſcher-Eroſion darzuſtellen, zumal ſie oft mit anderen unver¬ kennbaren Gletſcherſpuren in Verbindung auftreten. Genauere Unterſuchungen haben jedoch die Unhaltbarkeit dieſer Hypotheſe zur Genüge nachgewieſen. Der Gletſcherſchliff, deſſen im Abſchnitt: „Granit“ ſchon Erwähnung geſchah, hat gerade die Eigenthümlich¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/55>, abgerufen am 21.11.2024.