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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Der Goldauer Bergsturz.
heran, in welcher sie, nach Landessitte, für ihr Kind den Abend-
Brei zu kochen gewohnt war. Schon hatte sie Milch und Mehl
eingerührt und das Feuer auf dem Heerde angezündet, um mit
dem Kochen zu beginnen, als der donnerähnliche Knall und ein
Wanken des Hauses in seinen Grundmauern sie tödtlich erschreckte.
Unschlüssig, ob sie bleiben oder fliehen solle, sprang sie in die
Stube, entschlossen mit dem Kinde ins Freie zu flüchten, wenn es
wach sei, -- anderenfalls aber dessen Schlaf nicht zu stören und
im Hause zu bleiben. Und siehe, das Kind lag wachend, ohne
Geschrei in der Wiege. Eilends reißt sie dasselbe unter Herzen
und Küssen empor, nimmt aus dem Gänterli (Wandschrank) ihres
Mannes geringe Baarschaft und eilt über die Schwelle, während
der Boden unter ihren Füßen lebendig geworden zu sein scheint.
Kaum hat sie den Gaden (Stall) ihres Heimwesens erreicht und
rastet, athemlos sich umkehrend, einen Augenblick, als sie steht, wie
ihr so eben verlassenes Wohnhaus zertrümmert, in jagender Flucht
der Tiefe zugeschleudert wird, und ein tobendes Meer der Ver¬
wüstung an ihren umnachtenden Blicken vorüberjagt. So findet
sie der schweißtriefend herbeieilende Bläsi. Bei dem gänzlichen
Verluste all seiner Habe dankte der arme Mann dennoch mit
Thränen der Rührung dem Himmel für die Rettung der Seinen.

Etwa 500 Schritt tiefer wohnte sein Bruder Bastian, der
zur Zeit des Bergsturzes mit dem Vieh sich auf der Allmendweide
am Rigi befand. Die Frau desselben aber mit zwei kleinen Kin¬
dern war im Hause, als es vom Sturz ergriffen und verschüttet
wurde. Wie das gräßliche Ereigniß ausgetobt hatte und das
Volk sich schüchtern dem Schauplatz des Schreckens wieder näherte,
eilten auch die Eltern und Geschwister der Frau Mettler hinauf,
um zu sehen, was aus ihr und ihren Kindern geworden sei. Vom
Hause war keine Spur zu erblicken; Alles lag im großen Trüm¬
mergrabe. Nur in einiger Entfernung von jener Gegend, wo das
Haus gestanden hatte, lag in Mitte der Schlamm-Masse ein mit ge¬

Der Goldauer Bergſturz.
heran, in welcher ſie, nach Landesſitte, für ihr Kind den Abend-
Brei zu kochen gewohnt war. Schon hatte ſie Milch und Mehl
eingerührt und das Feuer auf dem Heerde angezündet, um mit
dem Kochen zu beginnen, als der donnerähnliche Knall und ein
Wanken des Hauſes in ſeinen Grundmauern ſie tödtlich erſchreckte.
Unſchlüſſig, ob ſie bleiben oder fliehen ſolle, ſprang ſie in die
Stube, entſchloſſen mit dem Kinde ins Freie zu flüchten, wenn es
wach ſei, — anderenfalls aber deſſen Schlaf nicht zu ſtören und
im Hauſe zu bleiben. Und ſiehe, das Kind lag wachend, ohne
Geſchrei in der Wiege. Eilends reißt ſie daſſelbe unter Herzen
und Küſſen empor, nimmt aus dem Gänterli (Wandſchrank) ihres
Mannes geringe Baarſchaft und eilt über die Schwelle, während
der Boden unter ihren Füßen lebendig geworden zu ſein ſcheint.
Kaum hat ſie den Gaden (Stall) ihres Heimweſens erreicht und
raſtet, athemlos ſich umkehrend, einen Augenblick, als ſie ſteht, wie
ihr ſo eben verlaſſenes Wohnhaus zertrümmert, in jagender Flucht
der Tiefe zugeſchleudert wird, und ein tobendes Meer der Ver¬
wüſtung an ihren umnachtenden Blicken vorüberjagt. So findet
ſie der ſchweißtriefend herbeieilende Bläſi. Bei dem gänzlichen
Verluſte all ſeiner Habe dankte der arme Mann dennoch mit
Thränen der Rührung dem Himmel für die Rettung der Seinen.

Etwa 500 Schritt tiefer wohnte ſein Bruder Baſtian, der
zur Zeit des Bergſturzes mit dem Vieh ſich auf der Allmendweide
am Rigi befand. Die Frau deſſelben aber mit zwei kleinen Kin¬
dern war im Hauſe, als es vom Sturz ergriffen und verſchüttet
wurde. Wie das gräßliche Ereigniß ausgetobt hatte und das
Volk ſich ſchüchtern dem Schauplatz des Schreckens wieder näherte,
eilten auch die Eltern und Geſchwiſter der Frau Mettler hinauf,
um zu ſehen, was aus ihr und ihren Kindern geworden ſei. Vom
Hauſe war keine Spur zu erblicken; Alles lag im großen Trüm¬
mergrabe. Nur in einiger Entfernung von jener Gegend, wo das
Haus geſtanden hatte, lag in Mitte der Schlamm-Maſſe ein mit ge¬

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[58/0078] Der Goldauer Bergſturz. heran, in welcher ſie, nach Landesſitte, für ihr Kind den Abend- Brei zu kochen gewohnt war. Schon hatte ſie Milch und Mehl eingerührt und das Feuer auf dem Heerde angezündet, um mit dem Kochen zu beginnen, als der donnerähnliche Knall und ein Wanken des Hauſes in ſeinen Grundmauern ſie tödtlich erſchreckte. Unſchlüſſig, ob ſie bleiben oder fliehen ſolle, ſprang ſie in die Stube, entſchloſſen mit dem Kinde ins Freie zu flüchten, wenn es wach ſei, — anderenfalls aber deſſen Schlaf nicht zu ſtören und im Hauſe zu bleiben. Und ſiehe, das Kind lag wachend, ohne Geſchrei in der Wiege. Eilends reißt ſie daſſelbe unter Herzen und Küſſen empor, nimmt aus dem Gänterli (Wandſchrank) ihres Mannes geringe Baarſchaft und eilt über die Schwelle, während der Boden unter ihren Füßen lebendig geworden zu ſein ſcheint. Kaum hat ſie den Gaden (Stall) ihres Heimweſens erreicht und raſtet, athemlos ſich umkehrend, einen Augenblick, als ſie ſteht, wie ihr ſo eben verlaſſenes Wohnhaus zertrümmert, in jagender Flucht der Tiefe zugeſchleudert wird, und ein tobendes Meer der Ver¬ wüſtung an ihren umnachtenden Blicken vorüberjagt. So findet ſie der ſchweißtriefend herbeieilende Bläſi. Bei dem gänzlichen Verluſte all ſeiner Habe dankte der arme Mann dennoch mit Thränen der Rührung dem Himmel für die Rettung der Seinen. Etwa 500 Schritt tiefer wohnte ſein Bruder Baſtian, der zur Zeit des Bergſturzes mit dem Vieh ſich auf der Allmendweide am Rigi befand. Die Frau deſſelben aber mit zwei kleinen Kin¬ dern war im Hauſe, als es vom Sturz ergriffen und verſchüttet wurde. Wie das gräßliche Ereigniß ausgetobt hatte und das Volk ſich ſchüchtern dem Schauplatz des Schreckens wieder näherte, eilten auch die Eltern und Geſchwiſter der Frau Mettler hinauf, um zu ſehen, was aus ihr und ihren Kindern geworden ſei. Vom Hauſe war keine Spur zu erblicken; Alles lag im großen Trüm¬ mergrabe. Nur in einiger Entfernung von jener Gegend, wo das Haus geſtanden hatte, lag in Mitte der Schlamm-Maſſe ein mit ge¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/78>, abgerufen am 21.11.2024.