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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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verändert, doch lässt sich da und dort eine beginnende
Atrophie der äusseren Schichten nachweisen und es
scheint danach die Stützsubstanz in den äussersten Schichten
etwas stärker entwickelt als in normaler Hirnrinde. Es
ist dies ein Befund, wie er bei progressiver Paralyse
sehr oft beobachtet wird. Vielleicht, dass an anderen
Stellen die Rindensubstanz hochgradigere Veränderungen
gezeigt haben würde. Es ist indessen zu bemerken, dass
bei tödlich verlaufenen Paralysen sehr oft die entzünd-
lichen Gewebsinfiltrationen fast die einzige erkennbare
Veränderung bildet."

V. Am 15. Mai 1881 consultirte mich Mrs. L. A.
aus New-York wegen einer seit einigen Tagen bestehen-
den Sehstörung, welche es ihr unmöglich machte, sich
mit etwelcher Lectüre oder mit Schreiben zu beschäftigen.
Bis dahin hatte die 63jährige etwas corpulente Dame
keiner Gläser für die Nähe bedurft. Ueber eine Abnahme
des Sehens in die Ferne klagte sie nicht. Vor 7 Tagen
war sie Nachts an heftigem Kopfweh erwacht; ausserdem
klagte sie über Schwindel und zwar stellte sich derselbe
besonders dann ein, wenn sie ein mit Menschen gefülltes
Zimmer betrat. Zugleich litt sie schon bei ganz mässiger
Körperanstrengung an Athemnoth. Der behandelnde Arzt,
Herr Dr. Deahna, fand eine Dilatation des Herzens
ohne Geräusch und einen geringgradigen Eiweisgehalt
des Urins, welcher schon früher einige Mal constatirt
worden sein soll. Es war ihm von besonderem Werth,
den Augenspiegelbefund zu kennen, da er wegen des
Albumenbefundes an Retinitis ex morbo Brightii denken
musste.

Patientin las mit blossem Auge nur Jäger No. 3,
sie konnte es aber, gleichgültig ob sie No. 3, No. 6,
No. 7 oder noch grösseren Druck las, immer nur auf
wenige Worte bringen. Nachdem sie dieselben schnell
und correct gelesen hatte, gab sie mir das Buch in der

Berlin, Dyslexie (Wortblindheit). 2

verändert, doch lässt sich da und dort eine beginnende
Atrophie der äusseren Schichten nachweisen und es
scheint danach die Stützsubstanz in den äussersten Schichten
etwas stärker entwickelt als in normaler Hirnrinde. Es
ist dies ein Befund, wie er bei progressiver Paralyse
sehr oft beobachtet wird. Vielleicht, dass an anderen
Stellen die Rindensubstanz hochgradigere Veränderungen
gezeigt haben würde. Es ist indessen zu bemerken, dass
bei tödlich verlaufenen Paralysen sehr oft die entzünd-
lichen Gewebsinfiltrationen fast die einzige erkennbare
Veränderung bildet.“

V. Am 15. Mai 1881 consultirte mich Mrs. L. A.
aus New-York wegen einer seit einigen Tagen bestehen-
den Sehstörung, welche es ihr unmöglich machte, sich
mit etwelcher Lectüre oder mit Schreiben zu beschäftigen.
Bis dahin hatte die 63jährige etwas corpulente Dame
keiner Gläser für die Nähe bedurft. Ueber eine Abnahme
des Sehens in die Ferne klagte sie nicht. Vor 7 Tagen
war sie Nachts an heftigem Kopfweh erwacht; ausserdem
klagte sie über Schwindel und zwar stellte sich derselbe
besonders dann ein, wenn sie ein mit Menschen gefülltes
Zimmer betrat. Zugleich litt sie schon bei ganz mässiger
Körperanstrengung an Athemnoth. Der behandelnde Arzt,
Herr Dr. Deahna, fand eine Dilatation des Herzens
ohne Geräusch und einen geringgradigen Eiweisgehalt
des Urins, welcher schon früher einige Mal constatirt
worden sein soll. Es war ihm von besonderem Werth,
den Augenspiegelbefund zu kennen, da er wegen des
Albumenbefundes an Retinitis ex morbo Brightii denken
musste.

Patientin las mit blossem Auge nur Jäger No. 3,
sie konnte es aber, gleichgültig ob sie No. 3, No. 6,
No. 7 oder noch grösseren Druck las, immer nur auf
wenige Worte bringen. Nachdem sie dieselben schnell
und correct gelesen hatte, gab sie mir das Buch in der

Berlin, Dyslexie (Wortblindheit). 2
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[17/0021] verändert, doch lässt sich da und dort eine beginnende Atrophie der äusseren Schichten nachweisen und es scheint danach die Stützsubstanz in den äussersten Schichten etwas stärker entwickelt als in normaler Hirnrinde. Es ist dies ein Befund, wie er bei progressiver Paralyse sehr oft beobachtet wird. Vielleicht, dass an anderen Stellen die Rindensubstanz hochgradigere Veränderungen gezeigt haben würde. Es ist indessen zu bemerken, dass bei tödlich verlaufenen Paralysen sehr oft die entzünd- lichen Gewebsinfiltrationen fast die einzige erkennbare Veränderung bildet.“ V. Am 15. Mai 1881 consultirte mich Mrs. L. A. aus New-York wegen einer seit einigen Tagen bestehen- den Sehstörung, welche es ihr unmöglich machte, sich mit etwelcher Lectüre oder mit Schreiben zu beschäftigen. Bis dahin hatte die 63jährige etwas corpulente Dame keiner Gläser für die Nähe bedurft. Ueber eine Abnahme des Sehens in die Ferne klagte sie nicht. Vor 7 Tagen war sie Nachts an heftigem Kopfweh erwacht; ausserdem klagte sie über Schwindel und zwar stellte sich derselbe besonders dann ein, wenn sie ein mit Menschen gefülltes Zimmer betrat. Zugleich litt sie schon bei ganz mässiger Körperanstrengung an Athemnoth. Der behandelnde Arzt, Herr Dr. Deahna, fand eine Dilatation des Herzens ohne Geräusch und einen geringgradigen Eiweisgehalt des Urins, welcher schon früher einige Mal constatirt worden sein soll. Es war ihm von besonderem Werth, den Augenspiegelbefund zu kennen, da er wegen des Albumenbefundes an Retinitis ex morbo Brightii denken musste. Patientin las mit blossem Auge nur Jäger No. 3, sie konnte es aber, gleichgültig ob sie No. 3, No. 6, No. 7 oder noch grösseren Druck las, immer nur auf wenige Worte bringen. Nachdem sie dieselben schnell und correct gelesen hatte, gab sie mir das Buch in der Berlin, Dyslexie (Wortblindheit). 2

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/21>, abgerufen am 23.11.2024.