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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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Die 4. Stelle, welche in unserm Falle erkrankt war,
ist auf der Scizze (Fig. II, b) nur zum Theil sichtbar.
Es handelt sich um einen Erweichungsheerd, welcher in
der 3. Schläfenwindung, etwas nach hinten vom vorderen
Ende der Fossa Sylvii begann und sich von da, die Basis
der linken Hemisphäre in querer Richtung durchsetzend,
fast bis zur Mitte des Gehirns erstreckte. Die Breite der
erkrankten Stelle (in der Richtung von vorn nach hinten)
betrug ca. 3 cm; sie begriff nicht nur die graue Substanz
in sich, sondern drang noch ca. 2 cm tief in das Mark-
lager hinein. Der Umfang dieser ganzen pathologischen
Veränderung war zu ausgedehnt, als dass wir ihr das
blosse Symptom der Lesestörung hätten zur Last legen
können. Immerhin ist diese Eigenschaft des Erkrankungs-
heerdes doch nicht genügend, um die Möglichkeit aus-
zuschliessen, dass nicht wenigstens ein Theil desselben
das anatomische Substrat der Dyslexie gewesen sei. Diese
Erwägung gewinnt an Boden, wenn wir eine Beobachtung
von Broadbent*) berücksichtigen, in welcher vollständige
Wortblindheit, mit erhaltener Fähigkeit, Dictirtes und
spontan zu schreiben, bestand. Bei der Section fand man,
abgesehen von einer grossen Hämorrhagie, welche den
Tod herbeigeführt hatte, zwei alte Hämorrhagien, eine
in der unteren Randwindung des linken Schläfe-
lappens
und eine andere grössere, welche eine Erweichung
der benachbarten Hirnsubstanz bewirkt hatte, in der
Gegend zwischen dem unteren Ende der Fossa Sylvii
und dem Ventrikel an der Abgangsstelle des absteigenden
Horns.

Bis hierher war ich mit der Ausarbeitung meines
Manuscriptes gekommen, als ich von Herrn Dr. A. Nieden
in Bochum die Mittheilung erhielt, dass er einen Pa-
tienten in Behandlung habe, welcher die von mir beschrie-

*) Citirt nach Kussmaul, l. c., S. 179.
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Die 4. Stelle, welche in unserm Falle erkrankt war,
ist auf der Scizze (Fig. II, b) nur zum Theil sichtbar.
Es handelt sich um einen Erweichungsheerd, welcher in
der 3. Schläfenwindung, etwas nach hinten vom vorderen
Ende der Fossa Sylvii begann und sich von da, die Basis
der linken Hemisphäre in querer Richtung durchsetzend,
fast bis zur Mitte des Gehirns erstreckte. Die Breite der
erkrankten Stelle (in der Richtung von vorn nach hinten)
betrug ca. 3 cm; sie begriff nicht nur die graue Substanz
in sich, sondern drang noch ca. 2 cm tief in das Mark-
lager hinein. Der Umfang dieser ganzen pathologischen
Veränderung war zu ausgedehnt, als dass wir ihr das
blosse Symptom der Lesestörung hätten zur Last legen
können. Immerhin ist diese Eigenschaft des Erkrankungs-
heerdes doch nicht genügend, um die Möglichkeit aus-
zuschliessen, dass nicht wenigstens ein Theil desselben
das anatomische Substrat der Dyslexie gewesen sei. Diese
Erwägung gewinnt an Boden, wenn wir eine Beobachtung
von Broadbent*) berücksichtigen, in welcher vollständige
Wortblindheit, mit erhaltener Fähigkeit, Dictirtes und
spontan zu schreiben, bestand. Bei der Section fand man,
abgesehen von einer grossen Hämorrhagie, welche den
Tod herbeigeführt hatte, zwei alte Hämorrhagien, eine
in der unteren Randwindung des linken Schläfe-
lappens
und eine andere grössere, welche eine Erweichung
der benachbarten Hirnsubstanz bewirkt hatte, in der
Gegend zwischen dem unteren Ende der Fossa Sylvii
und dem Ventrikel an der Abgangsstelle des absteigenden
Horns.

Bis hierher war ich mit der Ausarbeitung meines
Manuscriptes gekommen, als ich von Herrn Dr. A. Nieden
in Bochum die Mittheilung erhielt, dass er einen Pa-
tienten in Behandlung habe, welcher die von mir beschrie-

*) Citirt nach Kussmaul, l. c., S. 179.
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[51/0055] Die 4. Stelle, welche in unserm Falle erkrankt war, ist auf der Scizze (Fig. II, b) nur zum Theil sichtbar. Es handelt sich um einen Erweichungsheerd, welcher in der 3. Schläfenwindung, etwas nach hinten vom vorderen Ende der Fossa Sylvii begann und sich von da, die Basis der linken Hemisphäre in querer Richtung durchsetzend, fast bis zur Mitte des Gehirns erstreckte. Die Breite der erkrankten Stelle (in der Richtung von vorn nach hinten) betrug ca. 3 cm; sie begriff nicht nur die graue Substanz in sich, sondern drang noch ca. 2 cm tief in das Mark- lager hinein. Der Umfang dieser ganzen pathologischen Veränderung war zu ausgedehnt, als dass wir ihr das blosse Symptom der Lesestörung hätten zur Last legen können. Immerhin ist diese Eigenschaft des Erkrankungs- heerdes doch nicht genügend, um die Möglichkeit aus- zuschliessen, dass nicht wenigstens ein Theil desselben das anatomische Substrat der Dyslexie gewesen sei. Diese Erwägung gewinnt an Boden, wenn wir eine Beobachtung von Broadbent *) berücksichtigen, in welcher vollständige Wortblindheit, mit erhaltener Fähigkeit, Dictirtes und spontan zu schreiben, bestand. Bei der Section fand man, abgesehen von einer grossen Hämorrhagie, welche den Tod herbeigeführt hatte, zwei alte Hämorrhagien, eine in der unteren Randwindung des linken Schläfe- lappens und eine andere grössere, welche eine Erweichung der benachbarten Hirnsubstanz bewirkt hatte, in der Gegend zwischen dem unteren Ende der Fossa Sylvii und dem Ventrikel an der Abgangsstelle des absteigenden Horns. Bis hierher war ich mit der Ausarbeitung meines Manuscriptes gekommen, als ich von Herrn Dr. A. Nieden in Bochum die Mittheilung erhielt, dass er einen Pa- tienten in Behandlung habe, welcher die von mir beschrie- *) Citirt nach Kussmaul, l. c., S. 179. 4*

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/55>, abgerufen am 28.04.2024.