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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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bene und als Dyslexie bezeichnete Lesestörung in charac-
teristischer Form darböte. Schon nach kurzer Zeit folgte
die weitere Nachricht, dass auch dieser Fall, wie die
übrigen sämmtlich, lethal verlaufen sei.

Diese Beobachtung ist nach den meinigen die erste,
welche als Dyslexie diagnosticirt wurde, und sie schien
mir wichtig genug, um die Veröffentlichung meiner Arbeit
bis nach erfolgter Publication jener aufzuschieben. Nach-
dem dies geschehen*), gebe ich einen kurzen Auszug aus
derselben:

"Am 12. Juli d. J. wurde N. zu einem Kranken
gerufen, welcher nach zwei voraufgegangenen eclampti-
schen Anfällen mit Hinterlassung einer hochgradigen Pro-
stration der Kräfte nicht mehr im Stande war, andauernd
zu lesen.
Im Uebrigen waren durchaus keine pathologi-
schen Erscheinungen, weder in den geistigen noch in den
körperlichen Functionen zurückgeblieben, ausser einer
Neigung zu Ohnmachten bei jeglicher Art von Anstrengung.
Puls auf 60 Schläge gesunken, sonst voll und kräftig.

N. constatirte bei normalen äusseren Verhältnissen
beider Augen regelmässige Muskelbewegungen derselben,
gute Reaction der Pupillen, hypermetropischer Bau von
1,0 D. Die brechenden Medien durchaus klar; der Seh-
nerveneintritt zeigte in keiner Weise eine Abweichung
von der Norm; über Hyperaesthesie bei greller Beleuch-
tung wurde nicht geklagt. S für die Ferne , die ein-
zelnen Buchstaben werden rasch und leicht entziffert.

Bei der Prüfung für die Nähe liest Patient die ersten
vier Worte von No. 1 prompt und richtig, wendet aber

*) Nachdem Nieden auf der diesjährigen Versammlung deut-
scher Naturforscher und Aerzte (vgl. Tagblatt No. V, S. 156) ein
kurzes Referat über den Fall gegeben, hat er denselben im Archiv
f. Augenheilkunde. Bd. XVII, pag. 162 u. f. in extenso beschrieben
und mir vor der allgemeinen Edition einen Separatabdruck zur Ver-
fügung gestellt.

bene und als Dyslexie bezeichnete Lesestörung in charac-
teristischer Form darböte. Schon nach kurzer Zeit folgte
die weitere Nachricht, dass auch dieser Fall, wie die
übrigen sämmtlich, lethal verlaufen sei.

Diese Beobachtung ist nach den meinigen die erste,
welche als Dyslexie diagnosticirt wurde, und sie schien
mir wichtig genug, um die Veröffentlichung meiner Arbeit
bis nach erfolgter Publication jener aufzuschieben. Nach-
dem dies geschehen*), gebe ich einen kurzen Auszug aus
derselben:

„Am 12. Juli d. J. wurde N. zu einem Kranken
gerufen, welcher nach zwei voraufgegangenen eclampti-
schen Anfällen mit Hinterlassung einer hochgradigen Pro-
stration der Kräfte nicht mehr im Stande war, andauernd
zu lesen.
Im Uebrigen waren durchaus keine pathologi-
schen Erscheinungen, weder in den geistigen noch in den
körperlichen Functionen zurückgeblieben, ausser einer
Neigung zu Ohnmachten bei jeglicher Art von Anstrengung.
Puls auf 60 Schläge gesunken, sonst voll und kräftig.

N. constatirte bei normalen äusseren Verhältnissen
beider Augen regelmässige Muskelbewegungen derselben,
gute Reaction der Pupillen, hypermetropischer Bau von
1,0 D. Die brechenden Medien durchaus klar; der Seh-
nerveneintritt zeigte in keiner Weise eine Abweichung
von der Norm; über Hyperaesthesie bei greller Beleuch-
tung wurde nicht geklagt. S für die Ferne , die ein-
zelnen Buchstaben werden rasch und leicht entziffert.

Bei der Prüfung für die Nähe liest Patient die ersten
vier Worte von No. 1 prompt und richtig, wendet aber

*) Nachdem Nieden auf der diesjährigen Versammlung deut-
scher Naturforscher und Aerzte (vgl. Tagblatt No. V, S. 156) ein
kurzes Referat über den Fall gegeben, hat er denselben im Archiv
f. Augenheilkunde. Bd. XVII, pag. 162 u. f. in extenso beschrieben
und mir vor der allgemeinen Edition einen Separatabdruck zur Ver-
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[52/0056] bene und als Dyslexie bezeichnete Lesestörung in charac- teristischer Form darböte. Schon nach kurzer Zeit folgte die weitere Nachricht, dass auch dieser Fall, wie die übrigen sämmtlich, lethal verlaufen sei. Diese Beobachtung ist nach den meinigen die erste, welche als Dyslexie diagnosticirt wurde, und sie schien mir wichtig genug, um die Veröffentlichung meiner Arbeit bis nach erfolgter Publication jener aufzuschieben. Nach- dem dies geschehen *), gebe ich einen kurzen Auszug aus derselben: „Am 12. Juli d. J. wurde N. zu einem Kranken gerufen, welcher nach zwei voraufgegangenen eclampti- schen Anfällen mit Hinterlassung einer hochgradigen Pro- stration der Kräfte nicht mehr im Stande war, andauernd zu lesen. Im Uebrigen waren durchaus keine pathologi- schen Erscheinungen, weder in den geistigen noch in den körperlichen Functionen zurückgeblieben, ausser einer Neigung zu Ohnmachten bei jeglicher Art von Anstrengung. Puls auf 60 Schläge gesunken, sonst voll und kräftig. N. constatirte bei normalen äusseren Verhältnissen beider Augen regelmässige Muskelbewegungen derselben, gute Reaction der Pupillen, hypermetropischer Bau von 1,0 D. Die brechenden Medien durchaus klar; der Seh- nerveneintritt zeigte in keiner Weise eine Abweichung von der Norm; über Hyperaesthesie bei greller Beleuch- tung wurde nicht geklagt. S für die Ferne [FORMEL], die ein- zelnen Buchstaben werden rasch und leicht entziffert. Bei der Prüfung für die Nähe liest Patient die ersten vier Worte von No. 1 prompt und richtig, wendet aber *) Nachdem Nieden auf der diesjährigen Versammlung deut- scher Naturforscher und Aerzte (vgl. Tagblatt No. V, S. 156) ein kurzes Referat über den Fall gegeben, hat er denselben im Archiv f. Augenheilkunde. Bd. XVII, pag. 162 u. f. in extenso beschrieben und mir vor der allgemeinen Edition einen Separatabdruck zur Ver- fügung gestellt.

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/56>, abgerufen am 28.04.2024.