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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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thut denselben von sich;
hingekommen wäre. Jch erkundigte mich bey
seinen armen Anverwandten, die er zum Theil
in Merseburg, zum Theil in Dreßden hatte,
aber es wolte niemand etwas von ihm wissen.
Dieß bekümmerte, und ängstete mich nicht wenig.
Denn ich meynte, wenn er auch schon bey einem
andern Herrn wäre, so könte ich doch noch im-
mer vor sein Wohlseyn sorgen, und Barmher-
tzigkeit an ihm thun, um die sein erster Herr bey-
nahe mit Thränen bey mir Ansuchung gethan
hatte, daferne ich nur wüste, bey wem er sich
aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die
zu seyn pflegen, die eine Vermischung vom
Temperamento Sanguineo und Melancholico
haben. Auch GOttes Zorn, und Güte, so
ich An. 1695. bey der damahligen Gewissens-
Angst geschmecket, hatte mir ein weiches, und
zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmöglich
des Nächsten Unglück, vielweniger dieses jungen
Menschen und Knabens Sterben ohne große
Bewegung ansehen kunte. Jch dachte an sein
Weinen und Heulen bey dem Wegzuge seines
Herrn, und an die Vorbitte, so sein Herr vor ihn
bey mir gethan, da er gleichsam gesprochen:
Verwahre diesen Mann, denn wo man
sein wird missen, so soll deine Seele an statt
seiner Seele seyn.
Jch dachte auch an die
excessive-epanorthotische Straff-Predigt, die

ich

thut denſelben von ſich;
hingekommen waͤre. Jch erkundigte mich bey
ſeinen armen Anverwandten, die er zum Theil
in Merſeburg, zum Theil in Dreßden hatte,
aber es wolte niemand etwas von ihm wiſſen.
Dieß bekuͤmmerte, und aͤngſtete mich nicht wenig.
Denn ich meynte, wenn er auch ſchon bey einem
andern Herrn waͤre, ſo koͤnte ich doch noch im-
mer vor ſein Wohlſeyn ſorgen, und Barmher-
tzigkeit an ihm thun, um die ſein erſter Herr bey-
nahe mit Thraͤnen bey mir Anſuchung gethan
hatte, daferne ich nur wuͤſte, bey wem er ſich
aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die
zu ſeyn pflegen, die eine Vermiſchung vom
Temperamento Sanguineo und Melancholico
haben. Auch GOttes Zorn, und Guͤte, ſo
ich An. 1695. bey der damahligen Gewiſſens-
Angſt geſchmecket, hatte mir ein weiches, und
zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmoͤglich
des Naͤchſten Ungluͤck, vielweniger dieſes jungen
Menſchen und Knabens Sterben ohne große
Bewegung anſehen kunte. Jch dachte an ſein
Weinen und Heulen bey dem Wegzuge ſeines
Herrn, und an die Vorbitte, ſo ſein Herr vor ihn
bey mir gethan, da er gleichſam geſprochen:
Verwahre dieſen Mann, denn wo man
ſein wird miſſen, ſo ſoll deine Seele an ſtatt
ſeiner Seele ſeyn.
Jch dachte auch an die
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[198/0244] thut denſelben von ſich; hingekommen waͤre. Jch erkundigte mich bey ſeinen armen Anverwandten, die er zum Theil in Merſeburg, zum Theil in Dreßden hatte, aber es wolte niemand etwas von ihm wiſſen. Dieß bekuͤmmerte, und aͤngſtete mich nicht wenig. Denn ich meynte, wenn er auch ſchon bey einem andern Herrn waͤre, ſo koͤnte ich doch noch im- mer vor ſein Wohlſeyn ſorgen, und Barmher- tzigkeit an ihm thun, um die ſein erſter Herr bey- nahe mit Thraͤnen bey mir Anſuchung gethan hatte, daferne ich nur wuͤſte, bey wem er ſich aufhielte. Jch war weicher Natur, wie die zu ſeyn pflegen, die eine Vermiſchung vom Temperamento Sanguineo und Melancholico haben. Auch GOttes Zorn, und Guͤte, ſo ich An. 1695. bey der damahligen Gewiſſens- Angſt geſchmecket, hatte mir ein weiches, und zermalmetes Hertze gemacht, daß ich unmoͤglich des Naͤchſten Ungluͤck, vielweniger dieſes jungen Menſchen und Knabens Sterben ohne große Bewegung anſehen kunte. Jch dachte an ſein Weinen und Heulen bey dem Wegzuge ſeines Herrn, und an die Vorbitte, ſo ſein Herr vor ihn bey mir gethan, da er gleichſam geſprochen: Verwahre dieſen Mann, denn wo man ſein wird miſſen, ſo ſoll deine Seele an ſtatt ſeiner Seele ſeyn. Jch dachte auch an die exceſſive-epanorthotiſche Straff-Predigt, die ich

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/244>, abgerufen am 18.05.2024.