Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

Bekombt ein Bild vom Selbst-Mord,
war, ob er wol noch herum gehen, und mit den
Leuten reden kunte, war mit gleichen schreckli-
chen Gedancken eingenommen. Da ihn M.
Hertzog einst zu mir brachte, und er mich das
erste mahl sahe, ob ich wohl zur selbigen Zeit im
Gesichte besser, als ietzund aussehen mochte, so
sprach er zu mir: Bist du auch einer von
der Unter-Welt,
welche Frage er auch dann
und wann an andere Leute abgehen ließ, und
alle, die er nicht kannte, und die ihm listig und
verdächtig schienen, vor keine Menschen, sondern
vor böse Geister ansahe, mit denen er bey seinem
halb-verrückten Haupte zu streiten und zu kämpffen
hätte.

Dienstags frühe kunte ich vor Schwermuth
nicht zu Hause bleiben, sondern lieff vor Angst
in das Philosophicum, und in die Disputation,
so gehalten wurde. Es war mir höchst heiß
um den Kopff, und das Hertze auf das höchste
zusammen gepreßt. Jch stehe, und höre der
Disputation zu; und, siehe, ehe ich michs
versehe, so kriege ich die Idee, und das Bild ei-
nes Messers, das mir an die Gurgel gesetzt
wird. Nicht, als ob ich (wie Menschen et-
wan aus Ungedult, die des Lebens überdrüßig
sind, zuweilen thun mögen,) bey guter Uber-
legung gedacht und beschlossen hätte: Weil du
in so schreckliche Noth und Angst gerathen, so

wilst
O 5

Bekombt ein Bild vom Selbſt-Mord,
war, ob er wol noch herum gehen, und mit den
Leuten reden kunte, war mit gleichen ſchreckli-
chen Gedancken eingenommen. Da ihn M.
Hertzog einſt zu mir brachte, und er mich das
erſte mahl ſahe, ob ich wohl zur ſelbigen Zeit im
Geſichte beſſer, als ietzund ausſehen mochte, ſo
ſprach er zu mir: Biſt du auch einer von
der Unter-Welt,
welche Frage er auch dann
und wann an andere Leute abgehen ließ, und
alle, die er nicht kannte, und die ihm liſtig und
verdaͤchtig ſchienen, vor keine Menſchen, ſondern
vor boͤſe Geiſter anſahe, mit denen er bey ſeinem
halb-verruͤckten Haupte zu ſtreiten und zu kaͤmpffen
haͤtte.

Dienſtags fruͤhe kunte ich vor Schwermuth
nicht zu Hauſe bleiben, ſondern lieff vor Angſt
in das Philoſophicum, und in die Diſputation,
ſo gehalten wurde. Es war mir hoͤchſt heiß
um den Kopff, und das Hertze auf das hoͤchſte
zuſammen gepreßt. Jch ſtehe, und hoͤre der
Diſputation zu; und, ſiehe, ehe ich michs
verſehe, ſo kriege ich die Idée, und das Bild ei-
nes Meſſers, das mir an die Gurgel geſetzt
wird. Nicht, als ob ich (wie Menſchen et-
wan aus Ungedult, die des Lebens uͤberdruͤßig
ſind, zuweilen thun moͤgen,) bey guter Uber-
legung gedacht und beſchloſſen haͤtte: Weil du
in ſo ſchreckliche Noth und Angſt gerathen, ſo

wilſt
O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="217"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Bekombt ein Bild vom Selb&#x017F;t-Mord,</hi></fw><lb/>
war, ob er wol noch herum gehen, und mit den<lb/>
Leuten reden kunte, war mit gleichen &#x017F;chreckli-<lb/>
chen Gedancken eingenommen. Da ihn <hi rendition="#aq">M.</hi><lb/>
Hertzog ein&#x017F;t zu mir brachte, und er mich das<lb/>
er&#x017F;te mahl &#x017F;ahe, ob ich wohl zur &#x017F;elbigen Zeit im<lb/>
Ge&#x017F;ichte be&#x017F;&#x017F;er, als ietzund aus&#x017F;ehen mochte, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;prach er zu mir: <hi rendition="#fr">Bi&#x017F;t du auch einer von<lb/>
der Unter-Welt,</hi> welche Frage er auch dann<lb/>
und wann an andere Leute abgehen ließ, und<lb/>
alle, die er nicht kannte, und die ihm li&#x017F;tig und<lb/>
verda&#x0364;chtig &#x017F;chienen, vor keine Men&#x017F;chen, &#x017F;ondern<lb/>
vor bo&#x0364;&#x017F;e Gei&#x017F;ter an&#x017F;ahe, mit denen er bey &#x017F;einem<lb/>
halb-verru&#x0364;ckten Haupte zu &#x017F;treiten und zu ka&#x0364;mpffen<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Dien&#x017F;tags fru&#x0364;he kunte ich vor Schwermuth<lb/>
nicht zu Hau&#x017F;e bleiben, &#x017F;ondern lieff vor Ang&#x017F;t<lb/>
in das <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophicum,</hi> und in die <hi rendition="#aq">Di&#x017F;putation,</hi><lb/>
&#x017F;o gehalten wurde. Es war mir ho&#x0364;ch&#x017F;t heiß<lb/>
um den Kopff, und das Hertze auf das ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
zu&#x017F;ammen gepreßt. Jch &#x017F;tehe, und ho&#x0364;re der<lb/><hi rendition="#aq">Di&#x017F;putation</hi> zu; und, &#x017F;iehe, ehe ich michs<lb/>
ver&#x017F;ehe, &#x017F;o kriege ich die <hi rendition="#aq">Idée,</hi> und das Bild ei-<lb/>
nes Me&#x017F;&#x017F;ers, das mir an die Gurgel ge&#x017F;etzt<lb/>
wird. Nicht, als ob ich (wie Men&#x017F;chen et-<lb/>
wan aus Ungedult, die des Lebens u&#x0364;berdru&#x0364;ßig<lb/>
&#x017F;ind, zuweilen thun mo&#x0364;gen,) bey guter Uber-<lb/>
legung gedacht und be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ha&#x0364;tte: Weil du<lb/>
in &#x017F;o &#x017F;chreckliche Noth und Ang&#x017F;t gerathen, &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><fw place="bottom" type="catch">wil&#x017F;t</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0263] Bekombt ein Bild vom Selbſt-Mord, war, ob er wol noch herum gehen, und mit den Leuten reden kunte, war mit gleichen ſchreckli- chen Gedancken eingenommen. Da ihn M. Hertzog einſt zu mir brachte, und er mich das erſte mahl ſahe, ob ich wohl zur ſelbigen Zeit im Geſichte beſſer, als ietzund ausſehen mochte, ſo ſprach er zu mir: Biſt du auch einer von der Unter-Welt, welche Frage er auch dann und wann an andere Leute abgehen ließ, und alle, die er nicht kannte, und die ihm liſtig und verdaͤchtig ſchienen, vor keine Menſchen, ſondern vor boͤſe Geiſter anſahe, mit denen er bey ſeinem halb-verruͤckten Haupte zu ſtreiten und zu kaͤmpffen haͤtte. Dienſtags fruͤhe kunte ich vor Schwermuth nicht zu Hauſe bleiben, ſondern lieff vor Angſt in das Philoſophicum, und in die Diſputation, ſo gehalten wurde. Es war mir hoͤchſt heiß um den Kopff, und das Hertze auf das hoͤchſte zuſammen gepreßt. Jch ſtehe, und hoͤre der Diſputation zu; und, ſiehe, ehe ich michs verſehe, ſo kriege ich die Idée, und das Bild ei- nes Meſſers, das mir an die Gurgel geſetzt wird. Nicht, als ob ich (wie Menſchen et- wan aus Ungedult, die des Lebens uͤberdruͤßig ſind, zuweilen thun moͤgen,) bey guter Uber- legung gedacht und beſchloſſen haͤtte: Weil du in ſo ſchreckliche Noth und Angſt gerathen, ſo wilſt O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/263
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/263>, abgerufen am 17.06.2024.