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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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das sich tiesf eindrucket:
wilst du dich umbringen, so kommst du der
Marter los. Keinesweges, sondern diß be-
gegnete mir schnelle, wie ein Pfeil, ohne alles
dencken, raisonniren, ohne allen Schluß, und
Vorsatz; und wolte es dir eher mündlich erklä-
ren, und zeigen, wie dieß zugehet, als mit
Worten recht beschreiben. Wie einem etwan,
der ein Lied, oder ein Musicalisches Stücke ge-
höret, hernach ehe er sichs versiehet, ohne Vor-
satz und Entschluß daran wieder zu gedencken,
ihm doch solches wider seinen Willen wieder ein-
fällt: so schnelle entstund ein dergleichen schreck-
liches Bild in meinem Gehirne. So starck,
so unvermuthet, und lebhafftig diese Idee und
Einbildung war, so tieff schnitte sie in das Ge-
hirne ein, und legte einen Grund zu den Ge-
dancken, und zu der Furcht, das zu thun, wo-
für ich doch den grösten Abscheu hatte, mit der
ich hernach lange Zeit bin geplaget worden.
Je mehr ich vor diesem Selbst-mörderischen
Bilde erschrack: ie tieffer imprimirte es sich,
und ie öffterer muste es mir hernach natürlicher
Weise wieder einfallen. Doch es blieb nicht
bloß bey dieser Gattung und Specie; sondern
ich wurde eben so starck hernach mit den Ideen
von stürtzen, ersäuffen und hängen gemartert,
worbey ich im Leibe abzehrte, und gantz zu ver-
dorren anfieng. Wann dergleichen Zufälle

bloß

das ſich tieſf eindrucket:
wilſt du dich umbringen, ſo kommſt du der
Marter los. Keinesweges, ſondern diß be-
gegnete mir ſchnelle, wie ein Pfeil, ohne alles
dencken, raiſonniren, ohne allen Schluß, und
Vorſatz; und wolte es dir eher muͤndlich erklaͤ-
ren, und zeigen, wie dieß zugehet, als mit
Worten recht beſchreiben. Wie einem etwan,
der ein Lied, oder ein Muſicaliſches Stuͤcke ge-
hoͤret, hernach ehe er ſichs verſiehet, ohne Vor-
ſatz und Entſchluß daran wieder zu gedencken,
ihm doch ſolches wider ſeinen Willen wieder ein-
faͤllt: ſo ſchnelle entſtund ein dergleichen ſchreck-
liches Bild in meinem Gehirne. So ſtarck,
ſo unvermuthet, und lebhafftig dieſe Idée und
Einbildung war, ſo tieff ſchnitte ſie in das Ge-
hirne ein, und legte einen Grund zu den Ge-
dancken, und zu der Furcht, das zu thun, wo-
fuͤr ich doch den groͤſten Abſcheu hatte, mit der
ich hernach lange Zeit bin geplaget worden.
Je mehr ich vor dieſem Selbſt-moͤrderiſchen
Bilde erſchrack: ie tieffer imprimirte es ſich,
und ie oͤffterer muſte es mir hernach natuͤrlicher
Weiſe wieder einfallen. Doch es blieb nicht
bloß bey dieſer Gattung und Specie; ſondern
ich wurde eben ſo ſtarck hernach mit den Idéen
von ſtuͤrtzen, erſaͤuffen und haͤngen gemartert,
worbey ich im Leibe abzehrte, und gantz zu ver-
dorren anfieng. Wann dergleichen Zufaͤlle

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[218/0264] das ſich tieſf eindrucket: wilſt du dich umbringen, ſo kommſt du der Marter los. Keinesweges, ſondern diß be- gegnete mir ſchnelle, wie ein Pfeil, ohne alles dencken, raiſonniren, ohne allen Schluß, und Vorſatz; und wolte es dir eher muͤndlich erklaͤ- ren, und zeigen, wie dieß zugehet, als mit Worten recht beſchreiben. Wie einem etwan, der ein Lied, oder ein Muſicaliſches Stuͤcke ge- hoͤret, hernach ehe er ſichs verſiehet, ohne Vor- ſatz und Entſchluß daran wieder zu gedencken, ihm doch ſolches wider ſeinen Willen wieder ein- faͤllt: ſo ſchnelle entſtund ein dergleichen ſchreck- liches Bild in meinem Gehirne. So ſtarck, ſo unvermuthet, und lebhafftig dieſe Idée und Einbildung war, ſo tieff ſchnitte ſie in das Ge- hirne ein, und legte einen Grund zu den Ge- dancken, und zu der Furcht, das zu thun, wo- fuͤr ich doch den groͤſten Abſcheu hatte, mit der ich hernach lange Zeit bin geplaget worden. Je mehr ich vor dieſem Selbſt-moͤrderiſchen Bilde erſchrack: ie tieffer imprimirte es ſich, und ie oͤffterer muſte es mir hernach natuͤrlicher Weiſe wieder einfallen. Doch es blieb nicht bloß bey dieſer Gattung und Specie; ſondern ich wurde eben ſo ſtarck hernach mit den Idéen von ſtuͤrtzen, erſaͤuffen und haͤngen gemartert, worbey ich im Leibe abzehrte, und gantz zu ver- dorren anfieng. Wann dergleichen Zufaͤlle bloß

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/264>, abgerufen am 21.11.2024.