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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

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die gröste Furcht gehabt,
pagnie durch ihre finstere Gestalt veranlasset wer-
den von schrecklichen Fällen, und wohl gar von
solchen, die sich selbst ein Leyd gethan, zu reden
anfangen; insonderheit wenn vor kurtzer Zeit et-
wan dergleichen Zufall auch sich ereignet. Die
Menschen sind in diesem Stücke von unbeschreib-
licher Dummheit und Blindheit, daß sie viel-
mahl aus Unwissenheit und Unvorsichtigkeit dem
Nächsten solche Leibes- und Gemüths-Kranck-
heiten, ja wohl gar den Tod selbsten zuziehen.
Weil sie selbst starck von Leibe und Gemüthe
sind, und nicht wissen, wie einem Schwachen
zu Muthe, so sehen sie nicht, wen sie vor sich
haben, sondern meynen, alle Leute wären wie
sie. Sie können die Mäuler nicht halten, und
meynen, der Bauch müste ihnen zerreissen, wenn
sie nicht von allen Seuchen, so im Schwange
gehen, und von allen erschrecklichen Fällen, so
sich zugetragen, discuriren solten; und beden-
cken nicht, daß sie dadurch einen Schwachen mit
eben solchen Seuchen und Plagen anstecken, oder
in Gefahr setzen, daß er dadurch angestecket werde.
Wenn die rothe Ruhr grassiret, alle Compa-
gni
en sind davon voll; und bedencken nicht, daß
mancher davon erschrickt, und vom Hören und
Furcht diese Seuche an Hals bekommt. Hat
einer und der andere auf der Gasse etwan das
böse Wesen bekommen, gleich muß mit lebendi-

gen

die groͤſte Furcht gehabt,
pagnie durch ihre finſtere Geſtalt veranlaſſet wer-
den von ſchrecklichen Faͤllen, und wohl gar von
ſolchen, die ſich ſelbſt ein Leyd gethan, zu reden
anfangen; inſonderheit wenn vor kurtzer Zeit et-
wan dergleichen Zufall auch ſich ereignet. Die
Menſchen ſind in dieſem Stuͤcke von unbeſchreib-
licher Dummheit und Blindheit, daß ſie viel-
mahl aus Unwiſſenheit und Unvorſichtigkeit dem
Naͤchſten ſolche Leibes- und Gemuͤths-Kranck-
heiten, ja wohl gar den Tod ſelbſten zuziehen.
Weil ſie ſelbſt ſtarck von Leibe und Gemuͤthe
ſind, und nicht wiſſen, wie einem Schwachen
zu Muthe, ſo ſehen ſie nicht, wen ſie vor ſich
haben, ſondern meynen, alle Leute waͤren wie
ſie. Sie koͤnnen die Maͤuler nicht halten, und
meynen, der Bauch muͤſte ihnen zerreiſſen, wenn
ſie nicht von allen Seuchen, ſo im Schwange
gehen, und von allen erſchrecklichen Faͤllen, ſo
ſich zugetragen, diſcuriren ſolten; und beden-
cken nicht, daß ſie dadurch einen Schwachen mit
eben ſolchen Seuchen und Plagen anſtecken, oder
in Gefahr ſetzen, daß er dadurch angeſtecket werde.
Wenn die rothe Ruhr graſſiret, alle Compa-
gni
en ſind davon voll; und bedencken nicht, daß
mancher davon erſchrickt, und vom Hoͤren und
Furcht dieſe Seuche an Hals bekommt. Hat
einer und der andere auf der Gaſſe etwan das
boͤſe Weſen bekommen, gleich muß mit lebendi-

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[351/0397] die groͤſte Furcht gehabt, pagnie durch ihre finſtere Geſtalt veranlaſſet wer- den von ſchrecklichen Faͤllen, und wohl gar von ſolchen, die ſich ſelbſt ein Leyd gethan, zu reden anfangen; inſonderheit wenn vor kurtzer Zeit et- wan dergleichen Zufall auch ſich ereignet. Die Menſchen ſind in dieſem Stuͤcke von unbeſchreib- licher Dummheit und Blindheit, daß ſie viel- mahl aus Unwiſſenheit und Unvorſichtigkeit dem Naͤchſten ſolche Leibes- und Gemuͤths-Kranck- heiten, ja wohl gar den Tod ſelbſten zuziehen. Weil ſie ſelbſt ſtarck von Leibe und Gemuͤthe ſind, und nicht wiſſen, wie einem Schwachen zu Muthe, ſo ſehen ſie nicht, wen ſie vor ſich haben, ſondern meynen, alle Leute waͤren wie ſie. Sie koͤnnen die Maͤuler nicht halten, und meynen, der Bauch muͤſte ihnen zerreiſſen, wenn ſie nicht von allen Seuchen, ſo im Schwange gehen, und von allen erſchrecklichen Faͤllen, ſo ſich zugetragen, diſcuriren ſolten; und beden- cken nicht, daß ſie dadurch einen Schwachen mit eben ſolchen Seuchen und Plagen anſtecken, oder in Gefahr ſetzen, daß er dadurch angeſtecket werde. Wenn die rothe Ruhr graſſiret, alle Compa- gnien ſind davon voll; und bedencken nicht, daß mancher davon erſchrickt, und vom Hoͤren und Furcht dieſe Seuche an Hals bekommt. Hat einer und der andere auf der Gaſſe etwan das boͤſe Weſen bekommen, gleich muß mit lebendi- gen

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Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/397>, abgerufen am 21.11.2024.