sie nicht dazu bringen, daß sie in Gesellschafft gienge, denn die Erfahrung hatte sie gelehret, wie durch unvorsichtige Discurse in denselben ihr Ubel öffters nur ärger worden. Jch, dem sie ihr Anliegen vor andern vertrauete, beredete sie einst doch, daß sie An. 1715. als meine Mit-Ge- vatterin nach Klein-Zschocher zum Prediger, dem Herr M. Schultzen, auf das Kindtauffen fuhr. Wir sassen bey Tische, und redeten lauter gute und erbauliche Dinge; aber siehe, da kommt zu allem Unglück der alte M.Mießler, der ehe- malige bekannte Disputations- Händler, den Prediger zu besuchen, ohne zu wissen, daß er Kindtauffen giebt. Er hatte kaum bey Tische ein wenig verschnoben, so muste er gleich von dem Selbst-Mord anfangen, den der Apothecker auf der Hayn-Straße, auf der Reise an sich began- gen. Jch sahe ihn steiff an, ich stieß ihn mit den Füssen, er war aber nicht zu bedeuten; ja er that noch allerhand deutliche Umstände da- zu, daß mir selbst wäre darüber bald bange wor- den. Die arme Frau Richterin saß da, wie eine Leiche, zitterte, und bebete, daß ihr der Angst-Schweiß immer über dem Gesichte her- unter lieff. Doch GOtt halff ihr die Noth überstehen. Sie sagte aber zu mir, und Herr M Gehren, nach der Mahlzeit: Nun dieß- mahl noch in eine Compagnie gekommen, und
nim-
Z
Der Autor giebt einen
ſie nicht dazu bringen, daß ſie in Geſellſchafft gienge, denn die Erfahrung hatte ſie gelehret, wie durch unvorſichtige Diſcurſe in denſelben ihr Ubel oͤffters nur aͤrger worden. Jch, dem ſie ihr Anliegen vor andern vertrauete, beredete ſie einſt doch, daß ſie An. 1715. als meine Mit-Ge- vatterin nach Klein-Zſchocher zum Prediger, dem Herr M. Schultzen, auf das Kindtauffen fuhr. Wir ſaſſen bey Tiſche, und redeten lauter gute und erbauliche Dinge; aber ſiehe, da kommt zu allem Ungluͤck der alte M.Mießler, der ehe- malige bekannte Diſputations- Haͤndler, den Prediger zu beſuchen, ohne zu wiſſen, daß er Kindtauffen giebt. Er hatte kaum bey Tiſche ein wenig verſchnoben, ſo muſte er gleich von dem Selbſt-Mord anfangen, den der Apothecker auf der Hayn-Straße, auf der Reiſe an ſich began- gen. Jch ſahe ihn ſteiff an, ich ſtieß ihn mit den Fuͤſſen, er war aber nicht zu bedeuten; ja er that noch allerhand deutliche Umſtaͤnde da- zu, daß mir ſelbſt waͤre daruͤber bald bange wor- den. Die arme Frau Richterin ſaß da, wie eine Leiche, zitterte, und bebete, daß ihr der Angſt-Schweiß immer uͤber dem Geſichte her- unter lieff. Doch GOtt halff ihr die Noth uͤberſtehen. Sie ſagte aber zu mir, und Herr M Gehren, nach der Mahlzeit: Nun dieß- mahl noch in eine Compagnie gekommen, und
nim-
Z
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0399"n="353"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der <hirendition="#aq">Autor</hi> giebt einen</hi></fw><lb/>ſie nicht dazu bringen, daß ſie in Geſellſchafft<lb/>
gienge, denn die Erfahrung hatte ſie gelehret,<lb/>
wie durch unvorſichtige <hirendition="#aq">Diſcurſ</hi>e in denſelben ihr<lb/>
Ubel oͤffters nur aͤrger worden. Jch, dem ſie<lb/>
ihr Anliegen vor andern vertrauete, beredete ſie<lb/>
einſt doch, daß ſie <hirendition="#aq">An.</hi> 1715. als meine Mit-Ge-<lb/>
vatterin nach Klein-Zſchocher zum Prediger, dem<lb/>
Herr <hirendition="#aq">M.</hi> Schultzen, auf das Kindtauffen fuhr.<lb/>
Wir ſaſſen bey Tiſche, und redeten lauter gute<lb/>
und erbauliche Dinge; aber ſiehe, da kommt<lb/>
zu allem Ungluͤck der alte <hirendition="#aq">M.</hi><hirendition="#fr">Mießler,</hi> der ehe-<lb/>
malige bekannte <hirendition="#aq">Diſputations-</hi> Haͤndler, den<lb/>
Prediger zu beſuchen, ohne zu wiſſen, daß er<lb/>
Kindtauffen giebt. Er hatte kaum bey Tiſche<lb/>
ein wenig verſchnoben, ſo muſte er gleich von dem<lb/>
Selbſt-Mord anfangen, den der Apothecker auf<lb/>
der Hayn-Straße, auf der Reiſe an ſich began-<lb/>
gen. Jch ſahe ihn ſteiff an, ich ſtieß ihn mit<lb/>
den Fuͤſſen, er war aber nicht zu bedeuten; ja<lb/>
er that noch allerhand deutliche Umſtaͤnde da-<lb/>
zu, daß mir ſelbſt waͤre daruͤber bald bange wor-<lb/>
den. Die arme Frau Richterin ſaß da, wie<lb/>
eine Leiche, zitterte, und bebete, daß ihr der<lb/>
Angſt-Schweiß immer uͤber dem Geſichte her-<lb/>
unter lieff. Doch GOtt halff ihr die Noth<lb/>
uͤberſtehen. Sie ſagte aber zu mir, und Herr<lb/><hirendition="#aq">M</hi> Gehren, nach der Mahlzeit: Nun dieß-<lb/>
mahl noch in eine <hirendition="#aq">Compagnie</hi> gekommen, und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z</fw><fwplace="bottom"type="catch">nim-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[353/0399]
Der Autor giebt einen
ſie nicht dazu bringen, daß ſie in Geſellſchafft
gienge, denn die Erfahrung hatte ſie gelehret,
wie durch unvorſichtige Diſcurſe in denſelben ihr
Ubel oͤffters nur aͤrger worden. Jch, dem ſie
ihr Anliegen vor andern vertrauete, beredete ſie
einſt doch, daß ſie An. 1715. als meine Mit-Ge-
vatterin nach Klein-Zſchocher zum Prediger, dem
Herr M. Schultzen, auf das Kindtauffen fuhr.
Wir ſaſſen bey Tiſche, und redeten lauter gute
und erbauliche Dinge; aber ſiehe, da kommt
zu allem Ungluͤck der alte M. Mießler, der ehe-
malige bekannte Diſputations- Haͤndler, den
Prediger zu beſuchen, ohne zu wiſſen, daß er
Kindtauffen giebt. Er hatte kaum bey Tiſche
ein wenig verſchnoben, ſo muſte er gleich von dem
Selbſt-Mord anfangen, den der Apothecker auf
der Hayn-Straße, auf der Reiſe an ſich began-
gen. Jch ſahe ihn ſteiff an, ich ſtieß ihn mit
den Fuͤſſen, er war aber nicht zu bedeuten; ja
er that noch allerhand deutliche Umſtaͤnde da-
zu, daß mir ſelbſt waͤre daruͤber bald bange wor-
den. Die arme Frau Richterin ſaß da, wie
eine Leiche, zitterte, und bebete, daß ihr der
Angſt-Schweiß immer uͤber dem Geſichte her-
unter lieff. Doch GOtt halff ihr die Noth
uͤberſtehen. Sie ſagte aber zu mir, und Herr
M Gehren, nach der Mahlzeit: Nun dieß-
mahl noch in eine Compagnie gekommen, und
nim-
Z
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/399>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.