mir angst und bange wurde. Denn da ich mei- nen Famulum, der in der Stube neben meiner Kammer schlieff, fragte, ob er denn nicht das Poltern gehöret, so wolt er nichts gehöret haben.
Den andern Tag faßte ich einen andern Schluß, und dachte, ehe ich soll in solcher un- beschreiblichen Seelen-Angst auf meinem Lager liegen, so will ich lieber alles aufmachen, Schlösser, und alles wegthun, es gehe, wie GOtt wolle. Denn das war mein Trost vor GOtt, daß ich mich lieber mit glüenden Zan- gen wolte zerreissen laßen, als mit Wissen und Willen, und gesundem Verstande das thun, was ich fürchtete. Freylich dachte ich, die- selbe Nacht wäre die letzte in meinem Leben, da auch allerhand Omina dazu kamen; wiewol die Menschen in solchem Zustande überall Omina finden, und machen, wo keine sind. Es war doch was seltsames, ein guter Freund, und noch iemand anders kamen zu mir des Abends nach dem Abend-Essen; und um die Gedan- cken zu vertreiben, ergriffen wir die Lombre- Charte. Der große berühmte Carpzov, ehe- maliger Pastor in der Thomas-Kirche, hat sich kein Gewissen gemacht, zuweilen mit einer Spiel-Charte sein Gemüthe zu belustigen; und ich habe es auch iederzeit unter die Indiffe- renten und Mittel-Dinge gezehlet, wenn der
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die hoͤchſte Staffel erreichten,
mir angſt und bange wurde. Denn da ich mei- nen Famulum, der in der Stube neben meiner Kammer ſchlieff, fragte, ob er denn nicht das Poltern gehoͤret, ſo wolt er nichts gehoͤret haben.
Den andern Tag faßte ich einen andern Schluß, und dachte, ehe ich ſoll in ſolcher un- beſchreiblichen Seelen-Angſt auf meinem Lager liegen, ſo will ich lieber alles aufmachen, Schloͤſſer, und alles wegthun, es gehe, wie GOtt wolle. Denn das war mein Troſt vor GOtt, daß ich mich lieber mit gluͤenden Zan- gen wolte zerreiſſen laßen, als mit Wiſſen und Willen, und geſundem Verſtande das thun, was ich fuͤrchtete. Freylich dachte ich, die- ſelbe Nacht waͤre die letzte in meinem Leben, da auch allerhand Omina dazu kamen; wiewol die Menſchen in ſolchem Zuſtande uͤberall Omina finden, und machen, wo keine ſind. Es war doch was ſeltſames, ein guter Freund, und noch iemand anders kamen zu mir des Abends nach dem Abend-Eſſen; und um die Gedan- cken zu vertreiben, ergriffen wir die Lombre- Charte. Der große beruͤhmte Carpzov, ehe- maliger Pàſtor in der Thomas-Kirche, hat ſich kein Gewiſſen gemacht, zuweilen mit einer Spiel-Charte ſein Gemuͤthe zu beluſtigen; und ich habe es auch iederzeit unter die Indiffe- renten und Mittel-Dinge gezehlet, wenn der
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die hoͤchſte Staffel erreichten,
mir angſt und bange wurde. Denn da ich mei-
nen Famulum, der in der Stube neben meiner
Kammer ſchlieff, fragte, ob er denn nicht das
Poltern gehoͤret, ſo wolt er nichts gehoͤret haben.
Den andern Tag faßte ich einen andern
Schluß, und dachte, ehe ich ſoll in ſolcher un-
beſchreiblichen Seelen-Angſt auf meinem Lager
liegen, ſo will ich lieber alles aufmachen,
Schloͤſſer, und alles wegthun, es gehe, wie
GOtt wolle. Denn das war mein Troſt vor
GOtt, daß ich mich lieber mit gluͤenden Zan-
gen wolte zerreiſſen laßen, als mit Wiſſen und
Willen, und geſundem Verſtande das thun,
was ich fuͤrchtete. Freylich dachte ich, die-
ſelbe Nacht waͤre die letzte in meinem Leben, da
auch allerhand Omina dazu kamen; wiewol die
Menſchen in ſolchem Zuſtande uͤberall Omina
finden, und machen, wo keine ſind. Es war
doch was ſeltſames, ein guter Freund, und
noch iemand anders kamen zu mir des Abends
nach dem Abend-Eſſen; und um die Gedan-
cken zu vertreiben, ergriffen wir die Lombre-
Charte. Der große beruͤhmte Carpzov, ehe-
maliger Pàſtor in der Thomas-Kirche, hat ſich
kein Gewiſſen gemacht, zuweilen mit einer
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/709>, abgerufen am 27.11.2024.
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