Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738.

Bild:
<< vorherige Seite

im Hertzen gerührt,
mein zu Hertzen gegangen. Einst hatte, wo ich
mich noch recht besinne, der Prediger, welcher ei-
nem Kohl-Gärtner die Abdanckung hielt, die bey
uns statt der Leich-Predigt ist, und fast gleiche
Form mit derselben hat, weitläufftig angeführet,
in wie viel grosser Angst der Verstorbene in sei-
nem Leben gewesen: GOtt hätte ihn erfahren
laßen viel und große Angst, aber immer
wieder lebendig gemacht;
er sey aber nun von
aller Angst und Noth befreyet; Hier ist er in
Angst gewesen,
würden wir nach der Predigt
mit Recht von ihm singen können. Da nun her-
nach dieses Lied gesungen wurde, habe ich mehr,
als sonst auf alle Worte desselben Achtung gege-
ben, und alß die Worte kamen. Hier ist er in
Angst gewesen,
und bey mir selbst gedachte, wer
weiß, was auch du vor Angst einmal in der Welt
wirst zu leiden, und auszustehen haben, so habe
ich, wie ich mich noch wohl erinnere, eine so große
Menge von Thränen vergossen, daß ich auch im
Heimgehen es so viel möglich zu verbergen suchen
müssen, damit mir die Leute nicht ansehen möch-
ten, daß ich geweinet. Wenn nun die deutschen
Lieder bey Begräbnissen aus waren, so sungen die
Chor-Knaben, so die Kertzen trugen, und Schü-
ler des Gymnasii Magdalenaei waren, das lateini-
sche Lied zum Beschluß: Salve Jesu Christe, rex
misericordiae.
Das kränckte mich, daß diese

Jungen

im Hertzen geruͤhrt,
mein zu Hertzen gegangen. Einſt hatte, wo ich
mich noch recht beſinne, der Prediger, welcher ei-
nem Kohl-Gaͤrtner die Abdanckung hielt, die bey
uns ſtatt der Leich-Predigt iſt, und faſt gleiche
Form mit derſelben hat, weitlaͤufftig angefuͤhret,
in wie viel groſſer Angſt der Verſtorbene in ſei-
nem Leben geweſen: GOtt haͤtte ihn erfahren
laßen viel und große Angſt, aber immer
wieder lebendig gemacht;
er ſey aber nun von
aller Angſt und Noth befreyet; Hier iſt er in
Angſt geweſen,
wuͤrden wir nach der Predigt
mit Recht von ihm ſingen koͤnnen. Da nun her-
nach dieſes Lied geſungen wurde, habe ich mehr,
als ſonſt auf alle Worte deſſelben Achtung gege-
ben, und alß die Worte kamen. Hier iſt er in
Angſt geweſen,
und bey mir ſelbſt gedachte, wer
weiß, was auch du vor Angſt einmal in der Welt
wirſt zu leiden, und auszuſtehen haben, ſo habe
ich, wie ich mich noch wohl erinnere, eine ſo große
Menge von Thraͤnen vergoſſen, daß ich auch im
Heimgehen es ſo viel moͤglich zu verbergen ſuchen
muͤſſen, damit mir die Leute nicht anſehen moͤch-
ten, daß ich geweinet. Wenn nun die deutſchen
Lieder bey Begraͤbniſſen aus waren, ſo ſungen die
Chor-Knaben, ſo die Kertzen trugen, und Schuͤ-
ler des Gymnaſii Magdalenæi waren, das lateini-
ſche Lied zum Beſchluß: Salve Jeſu Chriſte, rex
miſericordiæ.
Das kraͤnckte mich, daß dieſe

Jungen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="43"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">im Hertzen geru&#x0364;hrt,</hi></fw><lb/>
mein zu Hertzen gegangen. Ein&#x017F;t hatte, wo ich<lb/>
mich noch recht be&#x017F;inne, der Prediger, welcher ei-<lb/>
nem Kohl-Ga&#x0364;rtner die Abdanckung hielt, die bey<lb/>
uns &#x017F;tatt der Leich-Predigt i&#x017F;t, und fa&#x017F;t gleiche<lb/>
Form mit der&#x017F;elben hat, weitla&#x0364;ufftig angefu&#x0364;hret,<lb/>
in wie viel gro&#x017F;&#x017F;er Ang&#x017F;t der Ver&#x017F;torbene in &#x017F;ei-<lb/>
nem Leben gewe&#x017F;en: <hi rendition="#fr">GOtt ha&#x0364;tte ihn erfahren<lb/>
laßen viel und große Ang&#x017F;t, aber immer<lb/>
wieder lebendig gemacht;</hi> er &#x017F;ey aber nun von<lb/>
aller Ang&#x017F;t und Noth befreyet; <hi rendition="#fr">Hier i&#x017F;t er in<lb/>
Ang&#x017F;t gewe&#x017F;en,</hi> wu&#x0364;rden wir nach der Predigt<lb/>
mit Recht von ihm &#x017F;ingen ko&#x0364;nnen. Da nun her-<lb/>
nach die&#x017F;es Lied ge&#x017F;ungen wurde, habe ich mehr,<lb/>
als &#x017F;on&#x017F;t auf alle Worte de&#x017F;&#x017F;elben Achtung gege-<lb/>
ben, und alß die Worte kamen. <hi rendition="#fr">Hier i&#x017F;t er in<lb/>
Ang&#x017F;t gewe&#x017F;en,</hi> und bey mir &#x017F;elb&#x017F;t gedachte, wer<lb/>
weiß, was auch du vor Ang&#x017F;t einmal in der Welt<lb/>
wir&#x017F;t zu leiden, und auszu&#x017F;tehen haben, &#x017F;o habe<lb/>
ich, wie ich mich noch wohl erinnere, eine &#x017F;o große<lb/>
Menge von Thra&#x0364;nen vergo&#x017F;&#x017F;en, daß ich auch im<lb/>
Heimgehen es &#x017F;o viel mo&#x0364;glich zu verbergen &#x017F;uchen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, damit mir die Leute nicht an&#x017F;ehen mo&#x0364;ch-<lb/>
ten, daß ich geweinet. Wenn nun die deut&#x017F;chen<lb/>
Lieder bey Begra&#x0364;bni&#x017F;&#x017F;en aus waren, &#x017F;o &#x017F;ungen die<lb/>
Chor-Knaben, &#x017F;o die Kertzen trugen, und Schu&#x0364;-<lb/>
ler des <hi rendition="#aq">Gymna&#x017F;ii Magdalenæi</hi> waren, das lateini-<lb/>
&#x017F;che Lied zum Be&#x017F;chluß: <hi rendition="#aq">Salve Je&#x017F;u Chri&#x017F;te, rex<lb/>
mi&#x017F;ericordiæ.</hi> Das kra&#x0364;nckte mich, daß die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jungen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[43/0089] im Hertzen geruͤhrt, mein zu Hertzen gegangen. Einſt hatte, wo ich mich noch recht beſinne, der Prediger, welcher ei- nem Kohl-Gaͤrtner die Abdanckung hielt, die bey uns ſtatt der Leich-Predigt iſt, und faſt gleiche Form mit derſelben hat, weitlaͤufftig angefuͤhret, in wie viel groſſer Angſt der Verſtorbene in ſei- nem Leben geweſen: GOtt haͤtte ihn erfahren laßen viel und große Angſt, aber immer wieder lebendig gemacht; er ſey aber nun von aller Angſt und Noth befreyet; Hier iſt er in Angſt geweſen, wuͤrden wir nach der Predigt mit Recht von ihm ſingen koͤnnen. Da nun her- nach dieſes Lied geſungen wurde, habe ich mehr, als ſonſt auf alle Worte deſſelben Achtung gege- ben, und alß die Worte kamen. Hier iſt er in Angſt geweſen, und bey mir ſelbſt gedachte, wer weiß, was auch du vor Angſt einmal in der Welt wirſt zu leiden, und auszuſtehen haben, ſo habe ich, wie ich mich noch wohl erinnere, eine ſo große Menge von Thraͤnen vergoſſen, daß ich auch im Heimgehen es ſo viel moͤglich zu verbergen ſuchen muͤſſen, damit mir die Leute nicht anſehen moͤch- ten, daß ich geweinet. Wenn nun die deutſchen Lieder bey Begraͤbniſſen aus waren, ſo ſungen die Chor-Knaben, ſo die Kertzen trugen, und Schuͤ- ler des Gymnaſii Magdalenæi waren, das lateini- ſche Lied zum Beſchluß: Salve Jeſu Chriſte, rex miſericordiæ. Das kraͤnckte mich, daß dieſe Jungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/89
Zitationshilfe: Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/89>, abgerufen am 21.11.2024.