Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Fünftes Kapitel. schaft einen gewissen Grad der Ausbildung erlangt hat, imAllgemeinen das, was für ein Verbrechen gelten soll, gleich- mäßig bestimmt seyn wird, und daß die Juristen, welche in dieser Hinsicht keine wesentliche Lücke gelassen, ihre Aufgabe erfüllt haben, und zwar im Sinne der deutschen Rechtsbil- dung, welche für sie in der peinlichen Halsgerichtsordnung Karl V. vertreten war. So haben sie den deutschrechtlichen Begriff der Vergiftung, des Diebstahls u. s. w. sich angeeig- net, und wenn sie auch in andern Fällen das römische Recht ohne Noth herangezogen, indem sie z. B. statt der Vergewal- tigung das crimen vis aufstellten, so sey dieß ohne alle Be- deutung, da die strafbare Handlung als solche doch genügend bestimmt werde. Ich will dagegen nun nicht die volksthüm- liche Bedeutung des Strafrechts hervorheben, und das Juri- stenrecht von diesem Standpuncte aus einer Kritik unterzie- hen; denn hier handelt es sich bloß davon, das noch beste- hende Volksrecht nachzuweisen, und dazu bietet sich, wie schon gesagt, gerade in diesem Rechtstheile nur selten die Veranlas- sung dar. Denn wenn die Carolina auch im Ganzen von dem römischen Rechte nur wenig aufgenommen hat, so ist sie doch in der Begriffsbestimmung der Verbrechen sehr frag- mentarisch, hat auch ihre Vorschriften nicht immer gerade dem Volksrecht entlehnt, und Manches selbständig geordnet. Nur der Fall wäre hier noch einer besondern Erörterung zu unter- ziehen, wenn sich im Gegensatz zu der von den Juristen ver- tretenen Rechtsbildung eine bestimmte Rechtsanschauung im Volke erhalten hätte, und zwar mit einer solchen intensiven Kraft, daß sie sich als positives Recht darstellte, dem auch der Richter folgen müßte, wenn er überhaupt dem Volksrechte die ihm zukommende Bedeutung einräumen wollte. Ein sol- Fuͤnftes Kapitel. ſchaft einen gewiſſen Grad der Ausbildung erlangt hat, imAllgemeinen das, was fuͤr ein Verbrechen gelten ſoll, gleich- maͤßig beſtimmt ſeyn wird, und daß die Juriſten, welche in dieſer Hinſicht keine weſentliche Luͤcke gelaſſen, ihre Aufgabe erfuͤllt haben, und zwar im Sinne der deutſchen Rechtsbil- dung, welche fuͤr ſie in der peinlichen Halsgerichtsordnung Karl V. vertreten war. So haben ſie den deutſchrechtlichen Begriff der Vergiftung, des Diebſtahls u. ſ. w. ſich angeeig- net, und wenn ſie auch in andern Faͤllen das roͤmiſche Recht ohne Noth herangezogen, indem ſie z. B. ſtatt der Vergewal- tigung das crimen vis aufſtellten, ſo ſey dieß ohne alle Be- deutung, da die ſtrafbare Handlung als ſolche doch genuͤgend beſtimmt werde. Ich will dagegen nun nicht die volksthuͤm- liche Bedeutung des Strafrechts hervorheben, und das Juri- ſtenrecht von dieſem Standpuncte aus einer Kritik unterzie- hen; denn hier handelt es ſich bloß davon, das noch beſte- hende Volksrecht nachzuweiſen, und dazu bietet ſich, wie ſchon geſagt, gerade in dieſem Rechtstheile nur ſelten die Veranlaſ- ſung dar. Denn wenn die Carolina auch im Ganzen von dem roͤmiſchen Rechte nur wenig aufgenommen hat, ſo iſt ſie doch in der Begriffsbeſtimmung der Verbrechen ſehr frag- mentariſch, hat auch ihre Vorſchriften nicht immer gerade dem Volksrecht entlehnt, und Manches ſelbſtaͤndig geordnet. Nur der Fall waͤre hier noch einer beſondern Eroͤrterung zu unter- ziehen, wenn ſich im Gegenſatz zu der von den Juriſten ver- tretenen Rechtsbildung eine beſtimmte Rechtsanſchauung im Volke erhalten haͤtte, und zwar mit einer ſolchen intenſiven Kraft, daß ſie ſich als poſitives Recht darſtellte, dem auch der Richter folgen muͤßte, wenn er uͤberhaupt dem Volksrechte die ihm zukommende Bedeutung einraͤumen wollte. Ein ſol- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="150"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Kapitel</hi>.</fw><lb/> ſchaft einen gewiſſen Grad der Ausbildung erlangt hat, im<lb/> Allgemeinen das, was fuͤr ein Verbrechen gelten ſoll, gleich-<lb/> maͤßig beſtimmt ſeyn wird, und daß die Juriſten, welche in<lb/> dieſer Hinſicht keine weſentliche Luͤcke gelaſſen, ihre Aufgabe<lb/> erfuͤllt haben, und zwar im Sinne der deutſchen Rechtsbil-<lb/> dung, welche fuͤr ſie in der peinlichen Halsgerichtsordnung<lb/> Karl <hi rendition="#aq">V.</hi> vertreten war. So haben ſie den deutſchrechtlichen<lb/> Begriff der Vergiftung, des Diebſtahls u. ſ. w. ſich angeeig-<lb/> net, und wenn ſie auch in andern Faͤllen das roͤmiſche Recht<lb/> ohne Noth herangezogen, indem ſie z. 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Fuͤnftes Kapitel.
ſchaft einen gewiſſen Grad der Ausbildung erlangt hat, im
Allgemeinen das, was fuͤr ein Verbrechen gelten ſoll, gleich-
maͤßig beſtimmt ſeyn wird, und daß die Juriſten, welche in
dieſer Hinſicht keine weſentliche Luͤcke gelaſſen, ihre Aufgabe
erfuͤllt haben, und zwar im Sinne der deutſchen Rechtsbil-
dung, welche fuͤr ſie in der peinlichen Halsgerichtsordnung
Karl V. vertreten war. So haben ſie den deutſchrechtlichen
Begriff der Vergiftung, des Diebſtahls u. ſ. w. ſich angeeig-
net, und wenn ſie auch in andern Faͤllen das roͤmiſche Recht
ohne Noth herangezogen, indem ſie z. B. ſtatt der Vergewal-
tigung das crimen vis aufſtellten, ſo ſey dieß ohne alle Be-
deutung, da die ſtrafbare Handlung als ſolche doch genuͤgend
beſtimmt werde. Ich will dagegen nun nicht die volksthuͤm-
liche Bedeutung des Strafrechts hervorheben, und das Juri-
ſtenrecht von dieſem Standpuncte aus einer Kritik unterzie-
hen; denn hier handelt es ſich bloß davon, das noch beſte-
hende Volksrecht nachzuweiſen, und dazu bietet ſich, wie ſchon
geſagt, gerade in dieſem Rechtstheile nur ſelten die Veranlaſ-
ſung dar. Denn wenn die Carolina auch im Ganzen von
dem roͤmiſchen Rechte nur wenig aufgenommen hat, ſo iſt ſie
doch in der Begriffsbeſtimmung der Verbrechen ſehr frag-
mentariſch, hat auch ihre Vorſchriften nicht immer gerade dem
Volksrecht entlehnt, und Manches ſelbſtaͤndig geordnet. Nur
der Fall waͤre hier noch einer beſondern Eroͤrterung zu unter-
ziehen, wenn ſich im Gegenſatz zu der von den Juriſten ver-
tretenen Rechtsbildung eine beſtimmte Rechtsanſchauung im
Volke erhalten haͤtte, und zwar mit einer ſolchen intenſiven
Kraft, daß ſie ſich als poſitives Recht darſtellte, dem auch der
Richter folgen muͤßte, wenn er uͤberhaupt dem Volksrechte
die ihm zukommende Bedeutung einraͤumen wollte. Ein ſol-
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