Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Das Volksrecht als gemeines Landrecht. cher Fall wird sich freilich gerade auf diesem Gebiete seltenfinden; denn meistens wird die Volksansicht nur mit einer solchen Bestimmtheit hervortreten, daß sie etwa die Veranlas- sung zu einer neuen Gesetzgebung geben, auf das bestehende Recht jedoch keinen unmittelbaren Einfluß ausüben kann. In- dessen möchte das Letztere doch nicht unbedingt zu behaupten seyn. So ist z. B. der Begriff der Nothwehr weiter zu fas- sen, als es von den Juristen gewöhnlich geschieht, indem sie die im Volksrecht begründete Ansicht, daß die Vertheidigung von Leib, Gut und Ehre bis aufs Aeußerste gegen widerrecht- liche Angriffe dadurch gerechtfertigt wird, ganz willkührlichen Beschränkungen unterworfen, und dem natürlichen Rechtsge- fühle mit einer rein polizeilichen Betrachtungsweise entgegen- treten, den Fall aber, daß jemand die Vertheidigung eines Andern, der sich im Nothstande befindet, übernimmt, fast gar nicht berücksichtigen. -- Was ferner die Beschaffenheit und das Maaß der Strafen betrifft, so hat sich in dieser Bezie- hung gegen die Grausamkeit des Mittelalters eine Reaction geltend gemacht, welche von der Bildung der neueren Zeit hervorgerufen, auch in dem Juristenrecht ein Organ gefunden hat. Zu bedauern ist nur, daß man dabei kein Mittel gefun- den hat, die so wirksamen Ehrenstrafen des älteren Rechts auf eine angemessene Weise zur Anwendung zu bringen, -- ein Uebelstand, der aber auch darin seinen Grund haben mag, daß mit dem Verfall des öffentlichen Lebens in Deutschland die Ehre selbst und folgeweise die Aufhebung und Beschränkung derselben an Bedeutung verlieren mußte. 3. Der Proceß. Hier ist es mit dem Volksrechte am Schlimmsten bestellt: Das Volksrecht als gemeines Landrecht. cher Fall wird ſich freilich gerade auf dieſem Gebiete ſeltenfinden; denn meiſtens wird die Volksanſicht nur mit einer ſolchen Beſtimmtheit hervortreten, daß ſie etwa die Veranlaſ- ſung zu einer neuen Geſetzgebung geben, auf das beſtehende Recht jedoch keinen unmittelbaren Einfluß ausuͤben kann. In- deſſen moͤchte das Letztere doch nicht unbedingt zu behaupten ſeyn. So iſt z. B. der Begriff der Nothwehr weiter zu faſ- ſen, als es von den Juriſten gewoͤhnlich geſchieht, indem ſie die im Volksrecht begruͤndete Anſicht, daß die Vertheidigung von Leib, Gut und Ehre bis aufs Aeußerſte gegen widerrecht- liche Angriffe dadurch gerechtfertigt wird, ganz willkuͤhrlichen Beſchraͤnkungen unterworfen, und dem natuͤrlichen Rechtsge- fuͤhle mit einer rein polizeilichen Betrachtungsweiſe entgegen- treten, den Fall aber, daß jemand die Vertheidigung eines Andern, der ſich im Nothſtande befindet, uͤbernimmt, faſt gar nicht beruͤckſichtigen. — Was ferner die Beſchaffenheit und das Maaß der Strafen betrifft, ſo hat ſich in dieſer Bezie- hung gegen die Grauſamkeit des Mittelalters eine Reaction geltend gemacht, welche von der Bildung der neueren Zeit hervorgerufen, auch in dem Juriſtenrecht ein Organ gefunden hat. Zu bedauern iſt nur, daß man dabei kein Mittel gefun- den hat, die ſo wirkſamen Ehrenſtrafen des aͤlteren Rechts auf eine angemeſſene Weiſe zur Anwendung zu bringen, — ein Uebelſtand, der aber auch darin ſeinen Grund haben mag, daß mit dem Verfall des oͤffentlichen Lebens in Deutſchland die Ehre ſelbſt und folgeweiſe die Aufhebung und Beſchraͤnkung derſelben an Bedeutung verlieren mußte. 3. Der Proceß. Hier iſt es mit dem Volksrechte am Schlimmſten beſtellt: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0163" n="151"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Das Volksrecht als gemeines Landrecht</hi>.</fw><lb/> cher Fall wird ſich freilich gerade auf dieſem Gebiete ſelten<lb/> finden; denn meiſtens wird die Volksanſicht nur mit einer<lb/> ſolchen Beſtimmtheit hervortreten, daß ſie etwa die Veranlaſ-<lb/> ſung zu einer neuen Geſetzgebung geben, auf das beſtehende<lb/> Recht jedoch keinen unmittelbaren Einfluß ausuͤben kann. 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Das Volksrecht als gemeines Landrecht.
cher Fall wird ſich freilich gerade auf dieſem Gebiete ſelten
finden; denn meiſtens wird die Volksanſicht nur mit einer
ſolchen Beſtimmtheit hervortreten, daß ſie etwa die Veranlaſ-
ſung zu einer neuen Geſetzgebung geben, auf das beſtehende
Recht jedoch keinen unmittelbaren Einfluß ausuͤben kann. In-
deſſen moͤchte das Letztere doch nicht unbedingt zu behaupten
ſeyn. So iſt z. B. der Begriff der Nothwehr weiter zu faſ-
ſen, als es von den Juriſten gewoͤhnlich geſchieht, indem ſie
die im Volksrecht begruͤndete Anſicht, daß die Vertheidigung
von Leib, Gut und Ehre bis aufs Aeußerſte gegen widerrecht-
liche Angriffe dadurch gerechtfertigt wird, ganz willkuͤhrlichen
Beſchraͤnkungen unterworfen, und dem natuͤrlichen Rechtsge-
fuͤhle mit einer rein polizeilichen Betrachtungsweiſe entgegen-
treten, den Fall aber, daß jemand die Vertheidigung eines
Andern, der ſich im Nothſtande befindet, uͤbernimmt, faſt gar
nicht beruͤckſichtigen. — Was ferner die Beſchaffenheit und
das Maaß der Strafen betrifft, ſo hat ſich in dieſer Bezie-
hung gegen die Grauſamkeit des Mittelalters eine Reaction
geltend gemacht, welche von der Bildung der neueren Zeit
hervorgerufen, auch in dem Juriſtenrecht ein Organ gefunden
hat. Zu bedauern iſt nur, daß man dabei kein Mittel gefun-
den hat, die ſo wirkſamen Ehrenſtrafen des aͤlteren Rechts auf
eine angemeſſene Weiſe zur Anwendung zu bringen, — ein
Uebelſtand, der aber auch darin ſeinen Grund haben mag, daß
mit dem Verfall des oͤffentlichen Lebens in Deutſchland die
Ehre ſelbſt und folgeweiſe die Aufhebung und Beſchraͤnkung
derſelben an Bedeutung verlieren mußte.
3. Der Proceß.
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