Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843.Siebentes Kapitel. Rittergutsbesitzer, welche dieselbe theilen, würden sich daher frei-willig nicht leicht zu einer bloßen Abfindung der Töchter und jüngeren Söhne verstehen wollen, da sie nur ausnahmsweise so bedeutend werden könnte, daß dadurch eine standesmäßige Versorgung gesichert wäre. Die geistlichen Stifter des Mit- telalters, welche in dieser Beziehung so Vieles leisteten, sind ja bis auf wenige Ueberreste verschwunden; und um neue zu errichten fehlt es, auch wenn das Vermögen da wäre, an der rechten Neigung zur frommen Aufopferung und Freigebigkeit. Gerade der Umstand, daß die Familien des hohen Adels regel- mäßig so begütert sind, daß sie alle ihre Mitglieder standes- mäßig versorgen können, sichert am besten ihre unabhängige und abgeschlossene Stellung; auch ist in dieser Sphäre ein solcher Sinn heimisch, daß der Einzelne, ohne sich verletzt zu fühlen, vor dem Interesse der Familie und des Standes zurücktritt, die alther- gebrachten Beschränkungen wenigstens ohne Murren erträgt. 2. Der Umstand aber, daß eben diese Vermögenskräfte Siebentes Kapitel. Rittergutsbeſitzer, welche dieſelbe theilen, wuͤrden ſich daher frei-willig nicht leicht zu einer bloßen Abfindung der Toͤchter und juͤngeren Soͤhne verſtehen wollen, da ſie nur ausnahmsweiſe ſo bedeutend werden koͤnnte, daß dadurch eine ſtandesmaͤßige Verſorgung geſichert waͤre. Die geiſtlichen Stifter des Mit- telalters, welche in dieſer Beziehung ſo Vieles leiſteten, ſind ja bis auf wenige Ueberreſte verſchwunden; und um neue zu errichten fehlt es, auch wenn das Vermoͤgen da waͤre, an der rechten Neigung zur frommen Aufopferung und Freigebigkeit. Gerade der Umſtand, daß die Familien des hohen Adels regel- maͤßig ſo beguͤtert ſind, daß ſie alle ihre Mitglieder ſtandes- maͤßig verſorgen koͤnnen, ſichert am beſten ihre unabhaͤngige und abgeſchloſſene Stellung; auch iſt in dieſer Sphaͤre ein ſolcher Sinn heimiſch, daß der Einzelne, ohne ſich verletzt zu fuͤhlen, vor dem Intereſſe der Familie und des Standes zuruͤcktritt, die alther- gebrachten Beſchraͤnkungen wenigſtens ohne Murren ertraͤgt. 2. Der Umſtand aber, daß eben dieſe Vermoͤgenskraͤfte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0220" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Kapitel</hi>.</fw><lb/> Rittergutsbeſitzer, welche dieſelbe theilen, wuͤrden ſich daher frei-<lb/> willig nicht leicht zu einer bloßen Abfindung der Toͤchter und<lb/> juͤngeren Soͤhne verſtehen wollen, da ſie nur ausnahmsweiſe<lb/> ſo bedeutend werden koͤnnte, daß dadurch eine ſtandesmaͤßige<lb/> Verſorgung geſichert waͤre. Die geiſtlichen Stifter des Mit-<lb/> telalters, welche in dieſer Beziehung ſo Vieles leiſteten, ſind<lb/> ja bis auf wenige Ueberreſte verſchwunden; und um neue zu<lb/> errichten fehlt es, auch wenn das Vermoͤgen da waͤre, an der<lb/> rechten Neigung zur frommen Aufopferung und Freigebigkeit.<lb/> Gerade der Umſtand, daß die Familien des hohen Adels regel-<lb/> maͤßig ſo beguͤtert ſind, daß ſie alle ihre Mitglieder ſtandes-<lb/> maͤßig verſorgen koͤnnen, ſichert am beſten ihre unabhaͤngige und<lb/> abgeſchloſſene Stellung; auch iſt in dieſer Sphaͤre ein ſolcher Sinn<lb/> heimiſch, daß der Einzelne, ohne ſich verletzt zu fuͤhlen, vor dem<lb/> Intereſſe der Familie und des Standes zuruͤcktritt, die alther-<lb/> gebrachten Beſchraͤnkungen wenigſtens ohne Murren ertraͤgt.</p><lb/> <p>2. Der Umſtand aber, daß eben dieſe Vermoͤgenskraͤfte<lb/> und dieſe Geſinnungen bei denjenigen Familien, aus welchen<lb/> der neue Majoratsadel zu bilden waͤre, nur ſelten gefunden<lb/> werden duͤrften, enthaͤlt einen ſittlichen und einen politiſchen<lb/> Grund gegen die ganze Inſtitution. Einen ſittlichen Grund<lb/> — weil Unfriede und Hader und Neid in den Familien dar-<lb/> aus entſtehen wuͤrden; einen politiſchen — weil zu befuͤrchten,<lb/> daß der Majoratsadel ſeinen uͤberwiegenden Einfluß darauf<lb/> verwenden wuͤrde, die juͤngeren Soͤhne moͤglichſt fruͤh und<lb/> leicht im Staatsdienſt vortheilhaft unterzubringen, wenn auch<lb/> das gemeine Beſte und andere gleich oder mehr befaͤhigte Be-<lb/> werber darunter leiden ſollten. Trotz des ungeheuren Privat-<lb/> erichthums in England und der durch die Colonien gebotenen<lb/> Gelegenheit zur leichteren Verſorgung muͤſſen doch die Hoch-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [208/0220]
Siebentes Kapitel.
Rittergutsbeſitzer, welche dieſelbe theilen, wuͤrden ſich daher frei-
willig nicht leicht zu einer bloßen Abfindung der Toͤchter und
juͤngeren Soͤhne verſtehen wollen, da ſie nur ausnahmsweiſe
ſo bedeutend werden koͤnnte, daß dadurch eine ſtandesmaͤßige
Verſorgung geſichert waͤre. Die geiſtlichen Stifter des Mit-
telalters, welche in dieſer Beziehung ſo Vieles leiſteten, ſind
ja bis auf wenige Ueberreſte verſchwunden; und um neue zu
errichten fehlt es, auch wenn das Vermoͤgen da waͤre, an der
rechten Neigung zur frommen Aufopferung und Freigebigkeit.
Gerade der Umſtand, daß die Familien des hohen Adels regel-
maͤßig ſo beguͤtert ſind, daß ſie alle ihre Mitglieder ſtandes-
maͤßig verſorgen koͤnnen, ſichert am beſten ihre unabhaͤngige und
abgeſchloſſene Stellung; auch iſt in dieſer Sphaͤre ein ſolcher Sinn
heimiſch, daß der Einzelne, ohne ſich verletzt zu fuͤhlen, vor dem
Intereſſe der Familie und des Standes zuruͤcktritt, die alther-
gebrachten Beſchraͤnkungen wenigſtens ohne Murren ertraͤgt.
2. Der Umſtand aber, daß eben dieſe Vermoͤgenskraͤfte
und dieſe Geſinnungen bei denjenigen Familien, aus welchen
der neue Majoratsadel zu bilden waͤre, nur ſelten gefunden
werden duͤrften, enthaͤlt einen ſittlichen und einen politiſchen
Grund gegen die ganze Inſtitution. Einen ſittlichen Grund
— weil Unfriede und Hader und Neid in den Familien dar-
aus entſtehen wuͤrden; einen politiſchen — weil zu befuͤrchten,
daß der Majoratsadel ſeinen uͤberwiegenden Einfluß darauf
verwenden wuͤrde, die juͤngeren Soͤhne moͤglichſt fruͤh und
leicht im Staatsdienſt vortheilhaft unterzubringen, wenn auch
das gemeine Beſte und andere gleich oder mehr befaͤhigte Be-
werber darunter leiden ſollten. Trotz des ungeheuren Privat-
erichthums in England und der durch die Colonien gebotenen
Gelegenheit zur leichteren Verſorgung muͤſſen doch die Hoch-
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