Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_183.001 b. Dialogismus. p1b_183.002 p1b_183.005 Kennst du das Land? wo die Citronen blüh'n, p1b_183.007 Jm dunkeln Laub die Gold-Orangen glüh'n, p1b_183.008 Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, p1b_183.009 Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, p1b_183.010 Kennst du es wohl?(Goethe.) p1b_183.011 p1b_183.014Wer führt Euch her? Wer gab Euch dieses Recht, p1b_183.012 Verstohlen, heimlich bei mir einzudringen? p1b_183.013 Wer schloß Euch jenen Eingang auf? (Max Waldau, Der Graf von Hammerstein.) p1b_183.015Er schläft - und fühlt er, was man ihm geraubt? p1b_183.016 p1b_183.019Träumt er vielleicht von seinen Eichenbäumen? p1b_183.017 Träumt er sich einen Siegeskranz um's Haupt? - p1b_183.018 O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen! (Herwegh.) p1b_183.020 Was ragt dort so stolz in den Himmel hinein p1b_183.022 Und schimmert, umflossen vom schneeigen Schein? p1b_183.023 Das sind uns're heimischen Berge.(M. Edgar.) p1b_183.024 p1b_183.028Wann werdet ihr, Poeten, des Dichtens einmal müd? p1b_183.025 Wann wird einst ausgesungen das alte, ew'ge Lied? p1b_183.026 Jst nicht schon längst geleeret des Überflusses Horn, p1b_183.027 Gepflückt nicht jede Blume, erschöpft nicht jeder Born? (Anast. Grün, Der letzte Dichter.) p1b_183.029Bist du im Wald gewandelt, wenn's drin so heimlich rauscht, p1b_183.030 p1b_183.035Wenn aus den hohen Büschen das Wild aufhorchend lauscht? p1b_183.031 Bist du im Wald gewandelt, wenn drin das Frühlicht geht, p1b_183.032 Und purpurrot die Tanne im Morgenscheine steht? p1b_183.033 Hast du da recht verstanden des Waldes zaub'risch Grün, p1b_183.034 Sein heimlich süßes Rauschen und seine Melodien? (Moritz Horn, Pilgerfahrt der Rose.) p1b_183.036 p1b_183.001 β. 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β. Dialogismus.
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Die Frage wird zum Dialogismus (διαλογισμός == Unterredung p1b_183.003
== sermocinatio), wenn dieselbe fortspinnend die Gedanken des Fragenden p1b_183.004
einzeln darlegt.
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Beispiele:
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Kennst du das Land? wo die Citronen blüh'n, p1b_183.007
Jm dunkeln Laub die Gold-Orangen glüh'n, p1b_183.008
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, p1b_183.009
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, p1b_183.010
Kennst du es wohl?(Goethe.)
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Wer führt Euch her? Wer gab Euch dieses Recht, p1b_183.012
Verstohlen, heimlich bei mir einzudringen? p1b_183.013
Wer schloß Euch jenen Eingang auf?
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(Max Waldau, Der Graf von Hammerstein.)
p1b_183.015
Er schläft ─ und fühlt er, was man ihm geraubt? p1b_183.016
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Träumt er sich einen Siegeskranz um's Haupt? ─ p1b_183.018
O Gott der Freiheit, laß ihn weiter träumen!
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(Herwegh.)
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(Die letzte Zeile ist auch ein Beispiel der Apostrophe.)
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Was ragt dort so stolz in den Himmel hinein p1b_183.022
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Das sind uns're heimischen Berge.(M. Edgar.)
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Wann werdet ihr, Poeten, des Dichtens einmal müd? p1b_183.025
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(Anast. Grün, Der letzte Dichter.)
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Bist du im Wald gewandelt, wenn's drin so heimlich rauscht, p1b_183.030
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Hast du da recht verstanden des Waldes zaub'risch Grün, p1b_183.034
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(Moritz Horn, Pilgerfahrt der Rose.)
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Lessing verdankt der richtigen Anwendung der Frage und des Dialogismus p1b_183.037
einen Teil seiner Wirkung. (Vgl. z. B. Nathans Monolog in Saladins p1b_183.038
Audienzzimmer.) Auch andere Dichter wenden diese Figur mit Vorliebe an. p1b_183.039
Vgl. Homer Jliad. I, 8 (Hom., τίς πόθεν εἶς ἀνδρῶν, πόθι τοι γένος p1b_183.040
ἠδὲ τοκῆες), ferner Goethes Faustmonolog am Anfang, seinen Erlkönig am p1b_183.041
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