Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_192.001 p1b_192.005 p1b_192.008 p1b_192.014 Ein niederschlagendes vielleicht? p1b_192.016 Niedergeschlagen bin ich schon. - O Ruhm, mein Ruhm! p1b_192.018 Das Wortspiel schelten sie, doch scheint es angemessen p1b_192.021 Der Sprache, welche ganz hat ihre Bahn gemessen, p1b_192.022 Daß sie vom Anbeginn, eh' es ihr war bewußt, p1b_192.023 Ein dunkles Wortspiel war, wird ihr nun klar bewußt. p1b_192.024 Womit unwissentlich sie allerorten spielen, p1b_192.025 Komm, und geflissentlich laß uns mit Worten spielen. p1b_192.026 Jch lehre dich, mein Sohn: Nie übe das, was über p1b_192.028 Das Maß ist! Überall vom Übel ist das Über. p1b_192.029 Mit keinerlei Gerät wird ihm die Fahrt geraten. p1b_192.030 Stets unterm Thore fällt mir meine Thorheit ein. p1b_192.031 Das Wortspiel will ich wohl auch deiner Sprach' erlauben, p1b_192.034 Wenn es nur Schmuck ihr leiht, ohn' ihr den Kern zu rauben. p1b_192.035 Der Prüfstein ist, wenn sie fremdländisch übersetzt, p1b_192.036 Den eignen Schmuck verliert und auch noch nackt ergetzt. p1b_192.037 p1b_192.041 a. Gerungen hab ich lange, bis ich das errang, vor dem das Ringen nur mir p1b_192.043 p1b_192.001 p1b_192.005 p1b_192.008 p1b_192.014 Ein niederschlagendes vielleicht? p1b_192.016 Niedergeschlagen bin ich schon. ─ O Ruhm, mein Ruhm! p1b_192.018 Das Wortspiel schelten sie, doch scheint es angemessen p1b_192.021 Der Sprache, welche ganz hat ihre Bahn gemessen, p1b_192.022 Daß sie vom Anbeginn, eh' es ihr war bewußt, p1b_192.023 Ein dunkles Wortspiel war, wird ihr nun klar bewußt. p1b_192.024 Womit unwissentlich sie allerorten spielen, p1b_192.025 Komm, und geflissentlich laß uns mit Worten spielen. p1b_192.026 Jch lehre dich, mein Sohn: Nie übe das, was über p1b_192.028 Das Maß ist! Überall vom Übel ist das Über. p1b_192.029 Mit keinerlei Gerät wird ihm die Fahrt geraten. p1b_192.030 Stets unterm Thore fällt mir meine Thorheit ein. p1b_192.031 Das Wortspiel will ich wohl auch deiner Sprach' erlauben, p1b_192.034 Wenn es nur Schmuck ihr leiht, ohn' ihr den Kern zu rauben. p1b_192.035 Der Prüfstein ist, wenn sie fremdländisch übersetzt, p1b_192.036 Den eignen Schmuck verliert und auch noch nackt ergetzt. p1b_192.037 p1b_192.041 a. Gerungen hab ich lange, bis ich das errang, vor dem das Ringen nur mir p1b_192.043 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0226" n="192"/><lb n="p1b_192.001"/> Form ist, und da es bei ihm (wie bei allen Figuren) auf den Verstand, nicht <lb n="p1b_192.002"/> aber (wie bei allen Tropen) auf die Einbildung abgesehen ist, so rechnen wir <lb n="p1b_192.003"/> es zu den Figuren, und zwar zu den Wiederholungen. Mehrere der unter <lb n="p1b_192.004"/> Polyptoton gegebenen Beispiele sind zugleich Wortspiele.</p> <p><lb n="p1b_192.005"/> Wir finden geistreiche Wortspiele bei allen bedeutenden Schriftstellern aller <lb n="p1b_192.006"/> Nationen, vorzugsweise aber bei Aristophanes, Plautus, Shakespeare, Rabelais, <lb n="p1b_192.007"/> Fischart, Jean Paul und in der Prosa besonders bei <hi rendition="#aq">Abraham a Sancta Clara</hi>.</p> <p><lb n="p1b_192.008"/> Paul Gerhard und Benjamin Schmolk haben nicht gut gethan, Wortspiele <lb n="p1b_192.009"/> in geistlichen Liedern anzuwenden. Hier schädigen sie die Würde, während <lb n="p1b_192.010"/> sie in der weltlichen Poesie am Platz sind. Von den neuern Dichtern liebten <lb n="p1b_192.011"/> das Wortspiel Rückert und Reuter. ─ Bei Rückert tritt die Vorliebe für das <lb n="p1b_192.012"/> Wortspiel schon in seiner ersten Periode zu Tage, z. B. in seinem Napoleon, <lb n="p1b_192.013"/> wo wir Wortspielen begegnen, wie:</p> <p><lb n="p1b_192.014"/> Amme.<space dim="horizontal"/>Sagt Herr, wollt Jhr ein Pulver,</p> <lb n="p1b_192.015"/> <lg> <l>Ein niederschlagendes vielleicht?</l> </lg> <p><lb n="p1b_192.016"/> Napoleon:<space dim="horizontal"/>Frau Politik, wozu das?</p> <lb n="p1b_192.017"/> <lg> <l>Niedergeschlagen bin ich schon. ─ O Ruhm, mein Ruhm!</l> </lg> <p><lb n="p1b_192.018"/> Wie Rückert mit Absicht das Wortspiel anwendet, sagt er in folgenden <lb n="p1b_192.019"/> Alexandrinern:</p> <lb n="p1b_192.020"/> <lg> <l>Das Wortspiel schelten sie, doch scheint es angemessen</l> <lb n="p1b_192.021"/> <l>Der Sprache, welche ganz hat ihre Bahn gemessen,</l> <lb n="p1b_192.022"/> <l>Daß sie vom Anbeginn, eh' es ihr war bewußt,</l> <lb n="p1b_192.023"/> <l> Ein dunkles Wortspiel war, wird ihr nun klar bewußt.</l> <lb n="p1b_192.024"/> <l>Womit unwissentlich sie allerorten spielen,</l> <lb n="p1b_192.025"/> <l> Komm, und geflissentlich laß uns mit Worten spielen.</l> </lg> <p><lb n="p1b_192.026"/> Freilich wird Rückerts Wortspiel zuweilen Tändelei und Spielerei. Z. B.:</p> <lb n="p1b_192.027"/> <lg> <l>Jch lehre dich, mein Sohn: Nie <hi rendition="#g">übe</hi> das, was <hi rendition="#g">über</hi></l> <lb n="p1b_192.028"/> <l> Das Maß ist! <hi rendition="#g">Überall</hi> vom Übel ist das Über. </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_192.029"/> <l>Mit keinerlei Gerät wird ihm die Fahrt geraten. </l> </lg> <lg> <lb n="p1b_192.030"/> <l>Stets unterm Thore fällt mir meine Thorheit ein.</l> </lg> <p><lb n="p1b_192.031"/> Jnteressant ist, daß Rückert die von ihm mehrfach überschrittene Grenze <lb n="p1b_192.032"/> so genau <hi rendition="#g">gekannt</hi> hat. Er sagt:</p> <lb n="p1b_192.033"/> <lg> <l>Das Wortspiel will ich wohl auch deiner Sprach' erlauben,</l> <lb n="p1b_192.034"/> <l>Wenn es nur Schmuck ihr leiht, ohn' ihr den Kern zu rauben.</l> <lb n="p1b_192.035"/> <l>Der Prüfstein ist, <hi rendition="#g">wenn sie fremdländisch übersetzt,</hi></l> <lb n="p1b_192.036"/> <l>Den eignen Schmuck verliert und auch noch nackt ergetzt.</l> </lg> <p><lb n="p1b_192.037"/> Die obigen Proben Rückerts würden sich freilich in ein fremdes Jdiom <lb n="p1b_192.038"/> kaum übertragen lassen. Er bietet hunderte von geistvollen Wortspielen, die man <lb n="p1b_192.039"/> geradezu klassisch nennen könnte, namentlich in den Makamen des Hariri, in der <lb n="p1b_192.040"/> Weisheit des Brahmanen, in den Kindertotenliedern S. 217 u. 229 u. s. w.</p> <p> <lb n="p1b_192.041"/> <hi rendition="#g">Beispiele des Wortspiels:</hi> </p> <lb n="p1b_192.042"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">a</hi>. Gerungen hab ich lange, bis ich das errang, vor dem das Ringen nur mir <lb n="p1b_192.043"/> scheint geringe. (Dies Beispiel kann auch als Polyptoton aufgefaßt werden.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0226]
p1b_192.001
Form ist, und da es bei ihm (wie bei allen Figuren) auf den Verstand, nicht p1b_192.002
aber (wie bei allen Tropen) auf die Einbildung abgesehen ist, so rechnen wir p1b_192.003
es zu den Figuren, und zwar zu den Wiederholungen. Mehrere der unter p1b_192.004
Polyptoton gegebenen Beispiele sind zugleich Wortspiele.
p1b_192.005
Wir finden geistreiche Wortspiele bei allen bedeutenden Schriftstellern aller p1b_192.006
Nationen, vorzugsweise aber bei Aristophanes, Plautus, Shakespeare, Rabelais, p1b_192.007
Fischart, Jean Paul und in der Prosa besonders bei Abraham a Sancta Clara.
p1b_192.008
Paul Gerhard und Benjamin Schmolk haben nicht gut gethan, Wortspiele p1b_192.009
in geistlichen Liedern anzuwenden. Hier schädigen sie die Würde, während p1b_192.010
sie in der weltlichen Poesie am Platz sind. Von den neuern Dichtern liebten p1b_192.011
das Wortspiel Rückert und Reuter. ─ Bei Rückert tritt die Vorliebe für das p1b_192.012
Wortspiel schon in seiner ersten Periode zu Tage, z. B. in seinem Napoleon, p1b_192.013
wo wir Wortspielen begegnen, wie:
p1b_192.014
Amme. Sagt Herr, wollt Jhr ein Pulver,
p1b_192.015
Ein niederschlagendes vielleicht?
p1b_192.016
Napoleon: Frau Politik, wozu das?
p1b_192.017
Niedergeschlagen bin ich schon. ─ O Ruhm, mein Ruhm!
p1b_192.018
Wie Rückert mit Absicht das Wortspiel anwendet, sagt er in folgenden p1b_192.019
Alexandrinern:
p1b_192.020
Das Wortspiel schelten sie, doch scheint es angemessen p1b_192.021
Der Sprache, welche ganz hat ihre Bahn gemessen, p1b_192.022
Daß sie vom Anbeginn, eh' es ihr war bewußt, p1b_192.023
Ein dunkles Wortspiel war, wird ihr nun klar bewußt. p1b_192.024
Womit unwissentlich sie allerorten spielen, p1b_192.025
Komm, und geflissentlich laß uns mit Worten spielen.
p1b_192.026
Freilich wird Rückerts Wortspiel zuweilen Tändelei und Spielerei. Z. B.:
p1b_192.027
Jch lehre dich, mein Sohn: Nie übe das, was über p1b_192.028
Das Maß ist! Überall vom Übel ist das Über.
p1b_192.029
Mit keinerlei Gerät wird ihm die Fahrt geraten.
p1b_192.030
Stets unterm Thore fällt mir meine Thorheit ein.
p1b_192.031
Jnteressant ist, daß Rückert die von ihm mehrfach überschrittene Grenze p1b_192.032
so genau gekannt hat. Er sagt:
p1b_192.033
Das Wortspiel will ich wohl auch deiner Sprach' erlauben, p1b_192.034
Wenn es nur Schmuck ihr leiht, ohn' ihr den Kern zu rauben. p1b_192.035
Der Prüfstein ist, wenn sie fremdländisch übersetzt, p1b_192.036
Den eignen Schmuck verliert und auch noch nackt ergetzt.
p1b_192.037
Die obigen Proben Rückerts würden sich freilich in ein fremdes Jdiom p1b_192.038
kaum übertragen lassen. Er bietet hunderte von geistvollen Wortspielen, die man p1b_192.039
geradezu klassisch nennen könnte, namentlich in den Makamen des Hariri, in der p1b_192.040
Weisheit des Brahmanen, in den Kindertotenliedern S. 217 u. 229 u. s. w.
p1b_192.041
Beispiele des Wortspiels:
p1b_192.042
a. Gerungen hab ich lange, bis ich das errang, vor dem das Ringen nur mir p1b_192.043
scheint geringe. (Dies Beispiel kann auch als Polyptoton aufgefaßt werden.)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |