Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_214.001 Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt - p1b_214.002 Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte. p1b_214.003 (Goethe.) p1b_214.005 p1b_214.006 p1b_214.011 p1b_214.013 p1b_214.016 a. Nun ist er wirklich da der Tag, p1b_214.018 Wo ich vom Hause scheide, p1b_214.019 Den Stecken schnitt ich mir vom Hag p1b_214.020 - So herzlich als man's sagen mag, p1b_214.021 Lebt wohl ihr Eltern beide! (Herm. Schmid.) p1b_214.022 b. Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. p1b_214.025 p1b_214.028Montags morgens - ich weiß es genau; denn Tages vorher war p1b_214.026 Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte - p1b_214.027 Zwanzig Jahre sind's nun &c. (Goethe, Hermann und Dorothea.) p1b_214.029 p1b_214.030 p1b_214.038 Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du - p1b_214.040(Schiller, Jungfrau von Orleans.) p1b_214.041Einsam auf des Berges Höhe p1b_214.042 p1b_214.044Stark und immergrün zu stehn -(Was nun? fragt man.) p1b_214.043 Tanne, könnt ich mit dir tauschen. (Freiligrath.) p1b_214.045Was Tell? Jhr wolltet - Nimmermehr - Jhr zittert. p1b_214.046(Schiller.) p1b_214.001 Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt ─ p1b_214.002 Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte. p1b_214.003 (Goethe.) p1b_214.005 p1b_214.006 p1b_214.011 p1b_214.013 p1b_214.016 a. Nun ist er wirklich da der Tag, p1b_214.018 Wo ich vom Hause scheide, p1b_214.019 Den Stecken schnitt ich mir vom Hag p1b_214.020 ─ So herzlich als man's sagen mag, p1b_214.021 Lebt wohl ihr Eltern beide! (Herm. Schmid.) p1b_214.022 b. Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. p1b_214.025 p1b_214.028Montags morgens ─ ich weiß es genau; denn Tages vorher war p1b_214.026 Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte ─ p1b_214.027 Zwanzig Jahre sind's nun &c. (Goethe, Hermann und Dorothea.) p1b_214.029 p1b_214.030 p1b_214.038 Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du ─ p1b_214.040(Schiller, Jungfrau von Orleans.) p1b_214.041Einsam auf des Berges Höhe p1b_214.042 p1b_214.044Stark und immergrün zu stehn ─(Was nun? fragt man.) p1b_214.043 Tanne, könnt ich mit dir tauschen. (Freiligrath.) p1b_214.045Was Tell? Jhr wolltet ─ Nimmermehr ─ Jhr zittert. p1b_214.046(Schiller.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0248" n="214"/> <lb n="p1b_214.001"/> <lg> <l>Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt ─</l> <lb n="p1b_214.002"/> <l>Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.</l> </lg> <p> <lb n="p1b_214.003"/> <hi rendition="#et">(Statt: so werden sie euch antworten: Nach Freiheit strebt u. s. w.)</hi> </p> <lb n="p1b_214.004"/> <p> <hi rendition="#right">(Goethe.)</hi> </p> </div> <div n="5"> <p><lb n="p1b_214.005"/> 3. Anakoluthie.</p> <p><lb n="p1b_214.006"/> Die Anakoluthie (griech. <foreign xml:lang="grc">ἀνακολουθία</foreign> == die Zusammenhangslosigkeit) <lb n="p1b_214.007"/> bezeichnet jene Unrichtigkeit in der Folge, jene oft fehlerhafte <lb n="p1b_214.008"/> Abweichung von der Konstruktion, welche mit einem Nachsatz fortfährt, <lb n="p1b_214.009"/> den man nach dem Vordersatz nicht erwartet. Somit ist Anakoluth <lb n="p1b_214.010"/> ein Satz, dessen Ende dem Anfang grammatisch nicht entspricht.</p> <p><lb n="p1b_214.011"/> Der Dichter ─ besonders der Lyriker ─ wählt Anakoluthien, um durch <lb n="p1b_214.012"/> ihre plötzliche Änderung der Redeweise Effekt zu erzielen.</p> <p><lb n="p1b_214.013"/> Tadelnswert ist die unbeabsichtigte Anakoluthie, wenn z. B. der Redner <lb n="p1b_214.014"/> während des Sprechens den Vordersatz vergißt und gezwungenermaßen einen <lb n="p1b_214.015"/> falschen Schluß bringt.</p> <p> <lb n="p1b_214.016"/> <hi rendition="#g">Beispiele der Anakoluthie:</hi> </p> <lb n="p1b_214.017"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">a</hi>.</p> <lg> <l>Nun ist er wirklich da der Tag,</l> <lb n="p1b_214.018"/> <l>Wo ich vom Hause scheide,</l> <lb n="p1b_214.019"/> <l>Den Stecken schnitt ich mir vom Hag</l> <lb n="p1b_214.020"/> <l>─ So herzlich als man's sagen mag,</l> <lb n="p1b_214.021"/> <l>Lebt wohl ihr Eltern beide!</l> </lg> <p> <hi rendition="#right">(Herm. Schmid.)</hi> </p> <p><lb n="p1b_214.022"/> (Hier bezeichnet der Schluß der 3. Zeile die Anakoluthie. Am Schluß <lb n="p1b_214.023"/> der 4. Zeile findet sich auch eine Ellipse, nämlich: Ruf ich euch Eltern zu.)</p> <lb n="p1b_214.024"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">b</hi>.</p> <lg> <l>Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen.</l> <lb n="p1b_214.025"/> <l>Montags morgens ─ ich weiß es genau; denn Tages vorher war</l> <lb n="p1b_214.026"/> <l>Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte ─</l> <lb n="p1b_214.027"/> <l>Zwanzig Jahre sind's nun &c.</l> </lg> <lb n="p1b_214.028"/> <p> <hi rendition="#right">(Goethe, Hermann und Dorothea.)</hi> </p> </div> <div n="5"> <p><lb n="p1b_214.029"/> 4. Aposiopesis.</p> <p><lb n="p1b_214.030"/> Die Aposiopesis (<foreign xml:lang="grc">ἀποσιώπησις</foreign> == Verschweigen == <hi rendition="#aq">reticentia</hi>) <lb n="p1b_214.031"/> ist eine in der Poesie nur selten gebrauchte rhetorische Figur. Sie <lb n="p1b_214.032"/> bedeutet das absichts- und bedeutungsvolle Abbrechen des Satzes an <lb n="p1b_214.033"/> der Stelle, an welcher die Hauptsache erwartet wird, die nun erraten <lb n="p1b_214.034"/> werden muß (z. B. Jch will euch ─! == <hi rendition="#aq">Quos ego</hi> ─! Virg. <lb n="p1b_214.035"/> Äneide <hi rendition="#aq">I</hi>, 139). Sie ist der Ellipse verwandt, ja, man könnte sie als <lb n="p1b_214.036"/> eine in Leidenschaft oder zu rhetorischen Zwecken gebrauchte Ellipse <lb n="p1b_214.037"/> bezeichnen.</p> <p> <lb n="p1b_214.038"/> <hi rendition="#g">Beispiele:</hi> </p> <lb n="p1b_214.039"/> <lg> <l>Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du ─</l> </lg> <lb n="p1b_214.040"/> <p> <hi rendition="#right">(Schiller, Jungfrau von Orleans.)</hi> </p> <lb n="p1b_214.041"/> <lg> <l>Einsam auf des Berges Höhe</l> <lb n="p1b_214.042"/> <l>Stark und immergrün zu stehn ─<hi rendition="#right">(Was nun? fragt man.)</hi></l> <lb n="p1b_214.043"/> <l>Tanne, könnt ich mit dir tauschen.</l> </lg> <lb n="p1b_214.044"/> <p> <hi rendition="#right">(Freiligrath.)</hi> </p> <lb n="p1b_214.045"/> <lg> <l>Was Tell? Jhr wolltet ─ Nimmermehr ─ Jhr zittert.</l> </lg> <lb n="p1b_214.046"/> <p> <hi rendition="#right">(Schiller.)</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0248]
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Und wenn ihr die Geschlechter beide fragt ─ p1b_214.002
Nach Freiheit strebt der Mann, das Weib nach Sitte.
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(Statt: so werden sie euch antworten: Nach Freiheit strebt u. s. w.)
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(Goethe.)
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3. Anakoluthie.
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Die Anakoluthie (griech. ἀνακολουθία == die Zusammenhangslosigkeit) p1b_214.007
bezeichnet jene Unrichtigkeit in der Folge, jene oft fehlerhafte p1b_214.008
Abweichung von der Konstruktion, welche mit einem Nachsatz fortfährt, p1b_214.009
den man nach dem Vordersatz nicht erwartet. Somit ist Anakoluth p1b_214.010
ein Satz, dessen Ende dem Anfang grammatisch nicht entspricht.
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Der Dichter ─ besonders der Lyriker ─ wählt Anakoluthien, um durch p1b_214.012
ihre plötzliche Änderung der Redeweise Effekt zu erzielen.
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Tadelnswert ist die unbeabsichtigte Anakoluthie, wenn z. B. der Redner p1b_214.014
während des Sprechens den Vordersatz vergißt und gezwungenermaßen einen p1b_214.015
falschen Schluß bringt.
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Beispiele der Anakoluthie:
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a.
Nun ist er wirklich da der Tag, p1b_214.018
Wo ich vom Hause scheide, p1b_214.019
Den Stecken schnitt ich mir vom Hag p1b_214.020
─ So herzlich als man's sagen mag, p1b_214.021
Lebt wohl ihr Eltern beide!
(Herm. Schmid.)
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(Hier bezeichnet der Schluß der 3. Zeile die Anakoluthie. Am Schluß p1b_214.023
der 4. Zeile findet sich auch eine Ellipse, nämlich: Ruf ich euch Eltern zu.)
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b.
Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde zusammen. p1b_214.025
Montags morgens ─ ich weiß es genau; denn Tages vorher war p1b_214.026
Jener schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte ─ p1b_214.027
Zwanzig Jahre sind's nun &c.
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(Goethe, Hermann und Dorothea.)
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4. Aposiopesis.
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Die Aposiopesis (ἀποσιώπησις == Verschweigen == reticentia) p1b_214.031
ist eine in der Poesie nur selten gebrauchte rhetorische Figur. Sie p1b_214.032
bedeutet das absichts- und bedeutungsvolle Abbrechen des Satzes an p1b_214.033
der Stelle, an welcher die Hauptsache erwartet wird, die nun erraten p1b_214.034
werden muß (z. B. Jch will euch ─! == Quos ego ─! Virg. p1b_214.035
Äneide I, 139). Sie ist der Ellipse verwandt, ja, man könnte sie als p1b_214.036
eine in Leidenschaft oder zu rhetorischen Zwecken gebrauchte Ellipse p1b_214.037
bezeichnen.
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Beispiele:
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Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du ─
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(Schiller, Jungfrau von Orleans.)
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Einsam auf des Berges Höhe p1b_214.042
Stark und immergrün zu stehn ─(Was nun? fragt man.) p1b_214.043
Tanne, könnt ich mit dir tauschen.
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(Freiligrath.)
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Was Tell? Jhr wolltet ─ Nimmermehr ─ Jhr zittert.
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(Schiller.)
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