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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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Durch Beachtung dieses Gesetzes erblüht dem deutschen Dichter Freiheit p1b_257.002
in der Bewegung, und es wird daher von nun an sicher auch der Anfänger p1b_257.003
häufige Anwendung von demselben machen, sofern er sich den Eindruck seiner p1b_257.004
Dichtung durch Recitieren und Deklamieren im Voraus zu vergegenwärtigen p1b_257.005
vermag.

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2. Jm vor. § 80 sagten wir, daß gute Dichter den Sinnton mit dem p1b_257.007
Verston zu vereinen suchen. Bei vielen Bildungen geschieht dies instinktiv. p1b_257.008
Und wenn viele Verse der antikisierenden Dichter seit Klopstock uns zusagen, p1b_257.009
so haben sie es nur dem Umstand zu danken,
daß das Sprachgefühl p1b_257.010
eine Vereinung von Sinnton und Verston gebieterisch forderte.

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Wo Sinnton und Verston nicht zusammenfallen, vernachlässigen wir p1b_257.012
den Versrhythmus zu Gunsten des Sinntons, wenigstens beim Lesen. Wir p1b_257.013
lesen also nicht:

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Den Jünng | ling bringt | keines | wieder(Schiller.) p1b_257.015
sondern: Den Jünngling bringt keines wieder. p1b_257.016
Nicht: Bergtrünm | mer fol | gen sei | nen Güns | sen p1b_257.017
sondern: Berg | trünmmer folgen seinen Günssen. p1b_257.018
Nicht: Gegen | die Leg | ionn | en p1b_257.019
sondern: Gegen die Legionnen.

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Durch solch verständnisvolles Lesen nach Arsis und Thesis lassen sich p1b_257.021
manche Jnkorrektheiten in der Silbenmessung beseitigen. (§ 74.)

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Wenn wir auch unseren Dichtungen ein bestimmtes Metrum zu Grunde p1b_257.023
legen, so darf doch der Versaccent nur in dem Fall sein rhythmisches p1b_257.024
Übergewicht geltend machen, als er eben mit dem Satzton zusammenfällt. p1b_257.025
Sonst niemals! Keinerlei Hinweis auf früheres Herkommen und Ableitung p1b_257.026
darf dieses Gesetz alterieren!! Wir können immerhin die Worte Hebung und p1b_257.027
Senkung (Tonstärke und Tonschwäche) zur Bezeichnung der Quantität beibehalten, p1b_257.028
da sie die Ursache bezeichnen, aus welcher für unser Ohr die Wirkung p1b_257.029
der Länge und Kürze erwächst.

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§ 82. Geist unserer accentuierenden Prosodik.

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Geist und Sinn unserer heutigen accentuierenden Prosodik läßt p1b_257.032
sich nach dem Abgehandelten in folgende Sätze zusammenfassen:

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1. Es ist hinfort die besondere Pflege und Beachtung des Sinntons p1b_257.034
das Maßgebende, wenn nicht ein der Sprache Gewalt anthuender p1b_257.035
undeutscher Rhythmus bestehen soll.

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2. Die Beachtung eines bestimmten Metrums innerhalb einer p1b_257.037
Dichtung ist aus Rücksichten auf das uns von unsern klassischen Dichtern p1b_257.038
überkommene Formprinzip wie auf den melodisch dahin wogenden p1b_257.039
Versrhythmus wünschenswert, nicht aber unerläßlich. Der Accentvers p1b_257.040
zeigt, daß unsere Sprache den freien, deutschrhythmischen Aufbau einer p1b_257.041
nur die Hebungen beachtenden Dichtung verträgt.

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Durch Beachtung dieses Gesetzes erblüht dem deutschen Dichter Freiheit p1b_257.002
in der Bewegung, und es wird daher von nun an sicher auch der Anfänger p1b_257.003
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Wo Sinnton und Verston nicht zusammenfallen, vernachlässigen wir p1b_257.012
den Versrhythmus zu Gunsten des Sinntons, wenigstens beim Lesen. Wir p1b_257.013
lesen also nicht:

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Dĕn Jǖng │ lĭng brīngt │ keĭnēs │ wĭedēr(Schiller.) p1b_257.015
sondern: Dĕn Jǖnglĭng brĭngt keīnĕs wīedĕr. p1b_257.016
Nicht: Bĕrgtrǖm │ mĕr fōl │ gĕn sēi │ nĕn Gǖs │ sĕn p1b_257.017
sondern: Bērg │ trǖmmĕr fōlgĕn seīnĕn Gǖssĕn. p1b_257.018
Nicht: Gĕgēn │ dĭe Lēg │ ĭon̄ │ ĕn p1b_257.019
sondern: Gēgĕn dĭe Lēgĭon̄ĕn.

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Durch solch verständnisvolles Lesen nach Arsis und Thesis lassen sich p1b_257.021
manche Jnkorrektheiten in der Silbenmessung beseitigen. (§ 74.)

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Wenn wir auch unseren Dichtungen ein bestimmtes Metrum zu Grunde p1b_257.023
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§ 82. Geist unserer accentuierenden Prosodik.

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Geist und Sinn unserer heutigen accentuierenden Prosodik läßt p1b_257.032
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/291>, abgerufen am 21.11.2024.