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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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gedehnten Spondeen zu verbinden, tritt in ihrer Vielgestaltigkeit bei Weitem p1b_275.002
nicht so sehr hervor wie diejenige unserer deutschen Brachykatalexis. Und dies p1b_275.003
Alles ist - etwa mit Ausnahme der nach spanischer Manier angelegten freieren p1b_275.004
Bildungsweise - originell deutsch, nichts ist den Griechen abgeborgt, denn p1b_275.005
fast alle unsere trochäischen Formen finden sich schon im deutschen Kirchenliede des p1b_275.006
15. und 16. Jahrhunderts, wo von einer Nachbildung griechischer Metren p1b_275.007
offenbar noch nicht die Rede sein konnte.... Katalektische Periodenbildung p1b_275.008
nach Art jener Äschyleischen finden wir z. B. im Kirchenlied: "Warum sollt p1b_275.009
ich mich denn grämen? | Hab' ich doch | Christum noch |, wer will mir den p1b_275.010
nehmen? | " &c. Aber die Periodenbildung ist hier noch mannigfaltiger als bei p1b_275.011
Äschylus. Wenn die griechischen termini technici für unsere deutschen Metren p1b_275.012
passend erscheinen, so hat dies seinen Grund darin, daß der die rhythmische p1b_275.013
Form schaffende poetische Genius beider Völker von derselben Grundlage ausgegangen p1b_275.014
ist. Jn der uns erhaltenen Tradition der Griechen beschränken sich p1b_275.015
übrigens die sämtlichen trochäischen Kompositionen lediglich auf die tetrapodische p1b_275.016
Reihe."

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§ 93. Rhythmische Malerei.

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1. Wie der einzelne Laut (§ 28), so eignet sich auch der Rhythmus p1b_275.019
in der Poesie zur dichterischen Malerei.

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2. Diese rhythmische Malerei fand ihre Pflege im klassischen p1b_275.021
Altertum wie in der Neuzeit.

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1. Wie der Tonkünstler die Taktarten je nach dem Charakter seines p1b_275.023
Musikstücks wechselt, so macht es der verständnisvolle Dichter mit dem Metrum. p1b_275.024
Er. schlingt je nach dem Charakter seiner Dichtung das eigenartige magische p1b_275.025
rhythmische Zauberband um seine Worte, die nun getragen von wunderbarer p1b_275.026
Musik unaufhaltsam dahinflutend Leben und Thatkraft atmen. Das p1b_275.027
Schaukelnde, Rollende, Fliegende, Bewegliche, Neckische, Tanzende, Jagende, p1b_275.028
Begeisterte &c. giebt er durch Einfügung von Daktylen oder Anapästen schon p1b_275.029
äußerlich zu erkennen; das Ruhige, Sanfte, Ebenmäßige, Würdige, Ernste p1b_275.030
durch Trochäen und Jamben, das Schwerfällige durch eingeschaltete Spondeen. p1b_275.031
So übt er rhythmische Malerei, indem er eben durch die im Rhythmus p1b_275.032
liegende Musik (durch Proportion in Bildung und Stellung) Eindrücke, Bilder, p1b_275.033
Empfindungen zu malen sucht.

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Die Genialität des wirklichen Dichters offenbart sich in der ungezwungenen p1b_275.035
Entwicklung der beweglichen Wellenlinien seines farbigen Produkts, was erst p1b_275.036
derjenige begreift, der sich die Fähigkeit verschafft hat, auf dichterisch geistige p1b_275.037
Gebiete folgen und das Empfinden der Dichterbrust im melodievollen Gebilde p1b_275.038
nachfühlen zu können, d. h. die Bedeutung unserer Sprache für rhythmische p1b_275.039
Malerei zu erkennen.

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2. Rhythmische Malerei bei den Alten. Schon die Alten haben p1b_275.041
die rhythmische Malerei mit Glück angewendet. Virgilius (Äneis 8, 596)

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1. Wie der einzelne Laut (§ 28), so eignet sich auch der Rhythmus p1b_275.019
in der Poesie zur dichterischen Malerei.

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2. Diese rhythmische Malerei fand ihre Pflege im klassischen p1b_275.021
Altertum wie in der Neuzeit.

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So übt er rhythmische Malerei, indem er eben durch die im Rhythmus p1b_275.032
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/309>, abgerufen am 22.11.2024.