Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_311.001 a. Jm An | fang war | der Geist, | der sich | im Wort | p1b_311.003 p1b_311.006Zu ewger Schöpfungsthat zusammenrafft, p1b_311.004 Der war bei Gott und ist's und wirket fort. p1b_311.005 Gott ist der Geist, der lebt in Worteskraft. (Sallets Laien-Evangelium.) p1b_311.007b. Er stand | auf sei | nes Da | ches Zin | nen,
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| (katal.) p1b_311.008 p1b_311.010Er schaute mit vergnügten Sinnen [Abbildung] (katal.) p1b_311.009 Auf das | beherrsch | te Sa | mos hin. | [Abbildung] | (brachykatal.) (Schillers Ring des Polykrates.) p1b_311.011c. Dir ist die Herrschaft längst gegeben (katal.) p1b_311.012 p1b_311.014Jn meinem Liede, meinem Leben, (katal.) p1b_311.013 Nur diese Nacht, o welch' ein Traum! (brachykatal.) (Uhlands Untreue.) p1b_311.015d. Der Liebsten Band und Schleife rauben, (katal.) p1b_311.016 p1b_311.019Halb mag sie zürnen, halb erlauben, (katal.) p1b_311.017 Euch ist es viel, ich will es glauben, (katal.) p1b_311.018 Und gönn' euch solchen Selbstbetrug. (brachykatal.) (Goethe, Lebendiges Andenken.) p1b_311.020 p1b_311.024 b. Der reimlose jambische Fünftakter (Blankvers). p1b_311.025 p1b_311.034 p1b_311.001 a. Jm An │ fang war │ der Geist, │ der sich │ im Wort │ p1b_311.003 p1b_311.006Zu ewger Schöpfungsthat zusammenrafft, p1b_311.004 Der war bei Gott und ist's und wirket fort. p1b_311.005 Gott ist der Geist, der lebt in Worteskraft. (Sallets Laien-Evangelium.) p1b_311.007b. Er stand │ auf sei │ nes Da │ ches Zin │ nen,
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│ (katal.) p1b_311.008 p1b_311.010Er schaute mit vergnügten Sinnen [Abbildung] (katal.) p1b_311.009 Auf das │ beherrsch │ te Sa │ mos hin. │ [Abbildung] │ (brachykatal.) (Schillers Ring des Polykrates.) p1b_311.011c. Dir ist die Herrschaft längst gegeben (katal.) p1b_311.012 p1b_311.014Jn meinem Liede, meinem Leben, (katal.) p1b_311.013 Nur diese Nacht, o welch' ein Traum! (brachykatal.) (Uhlands Untreue.) p1b_311.015d. Der Liebsten Band und Schleife rauben, (katal.) p1b_311.016 p1b_311.019Halb mag sie zürnen, halb erlauben, (katal.) p1b_311.017 Euch ist es viel, ich will es glauben, (katal.) p1b_311.018 Und gönn' euch solchen Selbstbetrug. (brachykatal.) (Goethe, Lebendiges Andenken.) p1b_311.020 p1b_311.024 β. 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Ebenso <lb n="p1b_311.023"/> <hi rendition="#g">Rückerts</hi> „Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Mitten“ &c.</p> </div> <div n="5"> <lb n="p1b_311.024"/> <head> <hi rendition="#c"><foreign xml:lang="grc">β</foreign>. <hi rendition="#g">Der reimlose jambische Fünftakter (Blankvers</hi>).</hi> </head> <p><lb n="p1b_311.025"/> Der reimlose jambische Fünftakter ist auch unter dem Namen <lb n="p1b_311.026"/> „Blankvers“ (<hi rendition="#aq">blanc-vers</hi>) oder „jambischer Quinar“ bekannt. Er ist <lb n="p1b_311.027"/> der Vers des deutschen Drama. Seine aufsteigende Bewegung entspricht <lb n="p1b_311.028"/> dem Fortschreiten, Fortdrängen der beweglichen Handlung im Drama, <lb n="p1b_311.029"/> weshalb er sich ganz besonders für diese Dichtungsgattung eignet. Die <lb n="p1b_311.030"/> kleineren Gebilde unserer Rede (rhythmische Reihen, Sätze) überschreiten <lb n="p1b_311.031"/> in der Regel nicht das Maß des jambischen Quinars, weshalb derselbe <lb n="p1b_311.032"/> auch in dieser Richtung unserem Sprachgeiste verwandt sich zeigt und <lb n="p1b_311.033"/> Satz= wie Versbau verbindet.</p> <p><lb n="p1b_311.034"/> Zuerst wurde er von J. H. Schlegel in seiner Übersetzung der Thomsonschen <lb n="p1b_311.035"/> Sophonisbe 1758 angewandt, sodann von Chr. Felix Weiße (in Befreiung <lb n="p1b_311.036"/> von Theben, 1764), endlich von Lessing. Dieser erhob ihn 1779 <lb n="p1b_311.037"/> durch die Form seines Nathan zum Vers des Drama, worauf ihn 1786 auch <lb n="p1b_311.038"/> Goethe in der Jphigenia und Schiller 1787 im Don Carlos adoptierte. Nach <lb n="p1b_311.039"/> ihnen wandten ihn an: Heinr. v. Kleist, Grillparzer, Gutzkow, Mosen, Prutz, <lb n="p1b_311.040"/> Jmmermann, Körner, Uhland, Rückert, Scherenberg (Waterloo), Hamerling <lb n="p1b_311.041"/> (Ahasver), Gottschall u. A. Letzterer hat ihn im Carlo Zeno (ebenso wie der <lb n="p1b_311.042"/> Verf. dieser Poetik in seinen mehrfach aufgeführten Kaiserfestspielen Musenweihe, <lb n="p1b_311.043"/> Kaisergold &c.) gereimt gebraucht.</p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [311/0345]
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Beispiele:
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a.
Jm An │ fang war │ der Geist, │ der sich │ im Wort │ p1b_311.003
Zu ewger Schöpfungsthat zusammenrafft, p1b_311.004
Der war bei Gott und ist's und wirket fort. p1b_311.005
Gott ist der Geist, der lebt in Worteskraft.
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(Sallets Laien-Evangelium.)
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b.
Er stand │ auf sei │ nes Da │ ches Zin │ nen,
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│ (katal.) p1b_311.008
Er schaute mit vergnügten Sinnen
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(katal.) p1b_311.009
Auf das │ beherrsch │ te Sa │ mos hin. │
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│ (brachykatal.)
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(Schillers Ring des Polykrates.)
p1b_311.011
c.
Dir ist die Herrschaft längst gegeben (katal.) p1b_311.012
Jn meinem Liede, meinem Leben, (katal.) p1b_311.013
Nur diese Nacht, o welch' ein Traum! (brachykatal.)
p1b_311.014
(Uhlands Untreue.)
p1b_311.015
d.
Der Liebsten Band und Schleife rauben, (katal.) p1b_311.016
Halb mag sie zürnen, halb erlauben, (katal.) p1b_311.017
Euch ist es viel, ich will es glauben, (katal.) p1b_311.018
Und gönn' euch solchen Selbstbetrug. (brachykatal.)
p1b_311.019
(Goethe, Lebendiges Andenken.)
p1b_311.020
Vgl. Schillers Kraniche des Jbykus. Dagegen gehört Anast. Grüns p1b_311.021
Der Turm am Strande aus „Schutt“ (Jch war bescheidener Sonettendichter) p1b_311.022
bei Zurechnung der rhythmischen Pause zu den jambischen Sechstaktern. Ebenso p1b_311.023
Rückerts „Sprich, liebes Herz, in deines Tempels Mitten“ &c.
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β. Der reimlose jambische Fünftakter (Blankvers). p1b_311.025
Der reimlose jambische Fünftakter ist auch unter dem Namen p1b_311.026
„Blankvers“ (blanc-vers) oder „jambischer Quinar“ bekannt. Er ist p1b_311.027
der Vers des deutschen Drama. Seine aufsteigende Bewegung entspricht p1b_311.028
dem Fortschreiten, Fortdrängen der beweglichen Handlung im Drama, p1b_311.029
weshalb er sich ganz besonders für diese Dichtungsgattung eignet. Die p1b_311.030
kleineren Gebilde unserer Rede (rhythmische Reihen, Sätze) überschreiten p1b_311.031
in der Regel nicht das Maß des jambischen Quinars, weshalb derselbe p1b_311.032
auch in dieser Richtung unserem Sprachgeiste verwandt sich zeigt und p1b_311.033
Satz= wie Versbau verbindet.
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Zuerst wurde er von J. H. Schlegel in seiner Übersetzung der Thomsonschen p1b_311.035
Sophonisbe 1758 angewandt, sodann von Chr. Felix Weiße (in Befreiung p1b_311.036
von Theben, 1764), endlich von Lessing. Dieser erhob ihn 1779 p1b_311.037
durch die Form seines Nathan zum Vers des Drama, worauf ihn 1786 auch p1b_311.038
Goethe in der Jphigenia und Schiller 1787 im Don Carlos adoptierte. Nach p1b_311.039
ihnen wandten ihn an: Heinr. v. Kleist, Grillparzer, Gutzkow, Mosen, Prutz, p1b_311.040
Jmmermann, Körner, Uhland, Rückert, Scherenberg (Waterloo), Hamerling p1b_311.041
(Ahasver), Gottschall u. A. Letzterer hat ihn im Carlo Zeno (ebenso wie der p1b_311.042
Verf. dieser Poetik in seinen mehrfach aufgeführten Kaiserfestspielen Musenweihe, p1b_311.043
Kaisergold &c.) gereimt gebraucht.
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