Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_315.001 p1b_315.002 p1b_315.003 p1b_315.004 C. als der dem antiken jambischen Trimeter nachgebildete neue Senarius p1b_315.006 p1b_315.008 A. Der Alexandriner. Breve - Breve - Breve - | Breve - Breve Breve -. p1b_315.010 p1b_315.015 p1b_315.026 p1b_315.030 a. Woher ich kam, | wohin || ich gehe, | weiß ich nicht. p1b_315.039 p1b_315.040Doch dies: | von Gott zu Gott! || ist meine Zuversicht. b. Wie oft geschiehts, | daß ich || ein Dunkles | mir erkläre p1b_315.041 p1b_315.042Durch etwas Andres, | das || an sich | noch dunkler wäre. c. Das ist mein Wunsch, | daß gut || und glücklich mögen werden p1b_315.043
Und all mit ihnen ich || die Menschen all' auf Erden. p1b_315.001 p1b_315.002 p1b_315.003 p1b_315.004 C. als der dem antiken jambischen Trimeter nachgebildete neue Senarius p1b_315.006 p1b_315.008 A. Der Alexandriner. ⏑ – ⏑ – ⏑ – │ ⏑ – ⏑ ⏑ –. p1b_315.010 p1b_315.015 p1b_315.026 p1b_315.030 a. Woher ich kam, │ wohin ‖ ich gehe, │ weiß ich nicht. p1b_315.039 p1b_315.040Doch dies: │ von Gott zu Gott! ‖ ist meine Zuversicht. b. Wie oft geschiehts, │ daß ich ‖ ein Dunkles │ mir erkläre p1b_315.041 p1b_315.042Durch etwas Andres, │ das ‖ an sich │ noch dunkler wäre. c. Das ist mein Wunsch, │ daß gut ‖ und glücklich mögen werden p1b_315.043
Und all mit ihnen ich ‖ die Menschen all' auf Erden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0349" n="315"/> </div> </div> <div n="4"> <p><lb n="p1b_315.001"/> 6. Sechstaktige jambische Verse (jambische Sechstakter).</p> <p><lb n="p1b_315.002"/> Der jambische Sechstakter kommt vor</p> <p><lb n="p1b_315.003"/><hi rendition="#aq">A</hi>. als Alexandriner (⏑ – ⏑ – ⏑ – │ ⏑ – ⏑ – ⏑ –);</p> <p><lb n="p1b_315.004"/><hi rendition="#aq">B</hi>. als der neue Nibelungenvers (⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ │ ⏑ – ⏑ – ⏑ –);</p> <lb n="p1b_315.005"/> <p><hi rendition="#aq">C</hi>. als der dem antiken jambischen Trimeter nachgebildete neue Senarius <lb n="p1b_315.006"/> (wie ihn die Römer nannten: ⏑ – ⏑ – ⏑ │ – ⏑ – ⏑ – ⏑ –) bei dem <lb n="p1b_315.007"/> die Cäsur den 3. oder auch den 4. Fuß durchschneidet;</p> <p><lb n="p1b_315.008"/><hi rendition="#aq">D</hi>. als hinkender Jambus oder Choliambus (⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – – ⏑).</p> <lb n="p1b_315.009"/> <div n="5"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">A</hi>. <hi rendition="#g">Der Alexandriner</hi>. ⏑ – ⏑ – ⏑ – │ ⏑ – ⏑ ⏑ –.</hi> </head> <p><lb n="p1b_315.010"/> Dieser Vers besteht aus sechs Jamben mit häufig hyperkat. Abschluß <lb n="p1b_315.011"/> und einer ständigen Diärese in der Mitte. Er wird dem Mönche <lb n="p1b_315.012"/> Alexander de Bernay (um 1200 n. Chr.) zugeschrieben. Nach Anderen <lb n="p1b_315.013"/> hätte er seinen Namen von einer Reimchronik („<hi rendition="#aq">Alexander le grand</hi>“) <lb n="p1b_315.014"/> aus dem 12. Jahrh., welche in diesem Versmaß geschrieben ist.</p> <p><lb n="p1b_315.015"/> Er ist der Nationalvers der Franzosen, die ihn als den heroischen bezeichnen <lb n="p1b_315.016"/> und namentlich seit <hi rendition="#aq">Malesherbes</hi> im Epos wie im Drama ausschließlich <lb n="p1b_315.017"/> zur Anwendung bringen. Martin Opitz (1597─1639), der ihn von den <lb n="p1b_315.018"/> Jtalienern herstammen läßt (vgl. seine Poeterei S. 41), hat ihn bei uns <lb n="p1b_315.019"/> zuerst eingeführt; Uz hat ihn in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts <lb n="p1b_315.020"/> nicht ohne Glück angewandt, ebenso die <hi rendition="#g">Gottschedsche</hi> Schule im vor. Jahrh. <lb n="p1b_315.021"/> Wegen des häufigen Gebrauchs des Alexandriners von der schlesischen Dichterschule <lb n="p1b_315.022"/> bis zu Lessing nannte man besonders das 17. Jahrh. das Jahrhundert <lb n="p1b_315.023"/> des <hi rendition="#g">Alexandriners.</hi> Der Alexandriner jener Zeit hatte etwas Eintöniges, <lb n="p1b_315.024"/> Klapperndes, was beim französischen Alexandriner nicht auffällt, da man denselben <lb n="p1b_315.025"/> nicht nach Betonung liest, sondern nach <hi rendition="#g">Quantität.</hi></p> <p><lb n="p1b_315.026"/> Rückert war es, der den Alexandriner in seiner „Weisheit des Brahmanen“, <lb n="p1b_315.027"/> ferner in „Rostem und Suhrab“, sowie im „Leben Jesu“ zur Bedeutung <lb n="p1b_315.028"/> brachte. Kaum daß man den Alexandriner der Uzschen Periode wieder erkennt, <lb n="p1b_315.029"/> so wesentlich unterscheidet sich der Rückertsche von ihm!</p> <p><lb n="p1b_315.030"/> Rückert bildet seinen Alexandriner häufig durch Umkehrung des Nibelungenverses <lb n="p1b_315.031"/> (⏑<metamark function="metEmph" place="superlinear">a</metamark> – ⏑ – ⏑ – ⏑ │ ⏑<metamark function="metEmph" place="superlinear">b</metamark> – ⏑ – ⏑ – in ⏑<metamark function="metEmph" place="superlinear">b</metamark> – ⏑ – ⏑ – │ ⏑<metamark function="metEmph" place="superlinear">a</metamark> – ⏑ – ⏑ – ⏑). <lb n="p1b_315.032"/> (Siehe Beispiel weiter unten S. 317.) Ebenso häufig fügt er zwei rhythmische <lb n="p1b_315.033"/> Reihen von je drei Takten aneinander, so daß zuweilen in der Mitte eine <lb n="p1b_315.034"/> Taktpause und eine solche am Schlusse der Verszeile zu stehen kommt, wodurch <lb n="p1b_315.035"/> sein Alexandriner wie ein <hi rendition="#g">Oktonar</hi> sich darstellt und liest. Jn der Regel <lb n="p1b_315.036"/> fällt aber doch die Pause in der Mitte weg, und er wechselt dann mit den <lb n="p1b_315.037"/> Einschnitten an anderen Stellen, z. B.:</p> <lb n="p1b_315.038"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">a</hi>.</p> <lg> <l>Woher ich kam, │ wohin ‖ ich gehe, │ weiß ich nicht.</l> <lb n="p1b_315.039"/> <l>Doch dies: │ von Gott zu Gott! ‖ ist meine Zuversicht.</l> </lg> <lb n="p1b_315.040"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">b</hi>.</p> <lg> <l>Wie oft geschiehts, │ daß ich ‖ ein Dunkles │ mir erkläre</l> <lb n="p1b_315.041"/> <l>Durch etwas Andres, │ das ‖ an sich │ noch dunkler wäre.</l> </lg> <lb n="p1b_315.042"/> <p rendition="#left"><hi rendition="#aq">c</hi>.</p> <lg> <l>Das ist mein Wunsch, │ daß gut ‖ und glücklich mögen werden</l> <lb n="p1b_315.043"/> <l>Und all mit ihnen ich ‖ die Menschen all' auf Erden.</l> </lg> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0349]
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6. Sechstaktige jambische Verse (jambische Sechstakter).
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Der jambische Sechstakter kommt vor
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A. als Alexandriner (⏑ – ⏑ – ⏑ – │ ⏑ – ⏑ – ⏑ –);
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B. als der neue Nibelungenvers (⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ │ ⏑ – ⏑ – ⏑ –);
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C. als der dem antiken jambischen Trimeter nachgebildete neue Senarius p1b_315.006
(wie ihn die Römer nannten: ⏑ – ⏑ – ⏑ │ – ⏑ – ⏑ – ⏑ –) bei dem p1b_315.007
die Cäsur den 3. oder auch den 4. Fuß durchschneidet;
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D. als hinkender Jambus oder Choliambus (⏑ – ⏑ – ⏑ – ⏑ – – ⏑).
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A. Der Alexandriner. ⏑ – ⏑ – ⏑ – │ ⏑ – ⏑ ⏑ –. p1b_315.010
Dieser Vers besteht aus sechs Jamben mit häufig hyperkat. Abschluß p1b_315.011
und einer ständigen Diärese in der Mitte. Er wird dem Mönche p1b_315.012
Alexander de Bernay (um 1200 n. Chr.) zugeschrieben. Nach Anderen p1b_315.013
hätte er seinen Namen von einer Reimchronik („Alexander le grand“) p1b_315.014
aus dem 12. Jahrh., welche in diesem Versmaß geschrieben ist.
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Er ist der Nationalvers der Franzosen, die ihn als den heroischen bezeichnen p1b_315.016
und namentlich seit Malesherbes im Epos wie im Drama ausschließlich p1b_315.017
zur Anwendung bringen. Martin Opitz (1597─1639), der ihn von den p1b_315.018
Jtalienern herstammen läßt (vgl. seine Poeterei S. 41), hat ihn bei uns p1b_315.019
zuerst eingeführt; Uz hat ihn in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts p1b_315.020
nicht ohne Glück angewandt, ebenso die Gottschedsche Schule im vor. Jahrh. p1b_315.021
Wegen des häufigen Gebrauchs des Alexandriners von der schlesischen Dichterschule p1b_315.022
bis zu Lessing nannte man besonders das 17. Jahrh. das Jahrhundert p1b_315.023
des Alexandriners. Der Alexandriner jener Zeit hatte etwas Eintöniges, p1b_315.024
Klapperndes, was beim französischen Alexandriner nicht auffällt, da man denselben p1b_315.025
nicht nach Betonung liest, sondern nach Quantität.
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Rückert war es, der den Alexandriner in seiner „Weisheit des Brahmanen“, p1b_315.027
ferner in „Rostem und Suhrab“, sowie im „Leben Jesu“ zur Bedeutung p1b_315.028
brachte. Kaum daß man den Alexandriner der Uzschen Periode wieder erkennt, p1b_315.029
so wesentlich unterscheidet sich der Rückertsche von ihm!
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Rückert bildet seinen Alexandriner häufig durch Umkehrung des Nibelungenverses p1b_315.031
(⏑a – ⏑ – ⏑ – ⏑ │ ⏑b – ⏑ – ⏑ – in ⏑b – ⏑ – ⏑ – │ ⏑a – ⏑ – ⏑ – ⏑). p1b_315.032
(Siehe Beispiel weiter unten S. 317.) Ebenso häufig fügt er zwei rhythmische p1b_315.033
Reihen von je drei Takten aneinander, so daß zuweilen in der Mitte eine p1b_315.034
Taktpause und eine solche am Schlusse der Verszeile zu stehen kommt, wodurch p1b_315.035
sein Alexandriner wie ein Oktonar sich darstellt und liest. Jn der Regel p1b_315.036
fällt aber doch die Pause in der Mitte weg, und er wechselt dann mit den p1b_315.037
Einschnitten an anderen Stellen, z. B.:
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a.
Woher ich kam, │ wohin ‖ ich gehe, │ weiß ich nicht. p1b_315.039
Doch dies: │ von Gott zu Gott! ‖ ist meine Zuversicht.
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b.
Wie oft geschiehts, │ daß ich ‖ ein Dunkles │ mir erkläre p1b_315.041
Durch etwas Andres, │ das ‖ an sich │ noch dunkler wäre.
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Das ist mein Wunsch, │ daß gut ‖ und glücklich mögen werden p1b_315.043
Und all mit ihnen ich ‖ die Menschen all' auf Erden.
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