Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_321.001 Wo soll | ich hin | fliehn? || Feinde rings umher und Tod! p1b_321.002 p1b_321.004Hier der ergrimmte Feldherr, || der mit drohndem Schwert p1b_321.003 Die Flucht versperrend, || uns dem Tod entgegentreibt. (Schillers Jungfrau II. 6.) p1b_321.005 Dort die Fünrch | terlich | e, || die verderblich um sich her p1b_321.009 Wie die Brunst | des Feu | ers ra | set || - und ringsum | kein Busch. p1b_321.010 p1b_321.018 p1b_321.025 Jch bin, ihr seht's, ein Bauer, || welcher Kohlen brennt, p1b_321.027 p1b_321.031Und ging im Wald, um || meine Meiler nachzusehn. p1b_321.028 Weil oft ein Windzug || ihren Bau beschädiget, p1b_321.029 Und durch die dürren Rasen || bläst. Doch muß voraus p1b_321.030 Jch sagen, || daß ich selben || Vormittag vernahm &c. (J. Minckwitz, Prinzenraub.) p1b_321.032Vernehmt denn || meines Willens || ernstlichen Beschluß, p1b_321.033 Und wie ich's euch gebiete, || also übt es aus.(Schiller.) p1b_321.034 p1b_321.036Die Lieb allein ist lieblich, || häßlich ist der Haß, p1b_321.035 Der Jugend steht die Liebe || schön und schön der Haß. (Rückert, Lieder und Sprüche, 77.) p1b_321.037 D. Hinkejamben (Choliambus). Breve - Breve - Breve - Breve - Breve - - Breve. p1b_321.038 p1b_321.001 Wo soll │ ich hin │ fliehn? ‖ Feinde rings umher und Tod! p1b_321.002 p1b_321.004Hier der ergrimmte Feldherr, ‖ der mit drohndem Schwert p1b_321.003 Die Flucht versperrend, ‖ uns dem Tod entgegentreibt. (Schillers Jungfrau II. 6.) p1b_321.005 Dŏrt dĭe Fǖrch │ tĕrlīch │ ĕ, ‖ die verderblich um sich her p1b_321.009 Wĭe dĭe Brūnst │ dĕs Fēu │ ers ra │ set ‖ ─ und rīngsūm │ kein Busch. p1b_321.010 p1b_321.018 p1b_321.025 Jch bin, ihr seht's, ein Bauer, ‖ welcher Kohlen brennt, p1b_321.027 p1b_321.031Und ging im Wald, um ‖ meine Meiler nachzusehn. p1b_321.028 Weil oft ein Windzug ‖ ihren Bau beschädiget, p1b_321.029 Und durch die dürren Rasen ‖ bläst. Doch muß voraus p1b_321.030 Jch sagen, ‖ daß ich selben ‖ Vormittag vernahm &c. (J. Minckwitz, Prinzenraub.) p1b_321.032Vernehmt denn ‖ meines Willens ‖ ernstlichen Beschluß, p1b_321.033 Und wie ich's euch gebiete, ‖ also übt es aus.(Schiller.) p1b_321.034 p1b_321.036Die Lieb allein ist lieblich, ‖ häßlich ist der Haß, p1b_321.035 Der Jugend steht die Liebe ‖ schön und schön der Haß. (Rückert, Lieder und Sprüche, 77.) p1b_321.037 D. 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B.</p> <lb n="p1b_321.008"/> <lg> <l>Dŏrt dĭe Fǖrch │ tĕrlīch │ ĕ, ‖ die verderblich um sich her</l> <lb n="p1b_321.009"/> <l>Wĭe dĭe Brūnst │ dĕs Fēu │ ers ra │ set ‖ ─ und rīngsūm │ kein Busch.</l> </lg> <p><lb n="p1b_321.010"/> Der neue Senarius ist attischen Ursprungs. Er war ursprünglich der <lb n="p1b_321.011"/> <hi rendition="#g">griechische Trimeter,</hi> der zunächst durch die Übersetzungen der griechischen <lb n="p1b_321.012"/> Dramen zu uns kam. Er fand bei den Griechen ─ im Dialog ihrer Dramen <lb n="p1b_321.013"/> ─ eine ähnliche Anwendung wie bei uns der jambische Quinar. Er war die <lb n="p1b_321.014"/> Versform ihrer Komödie und ihres Dramas (vgl. <hi rendition="#g">Ruhnken,</hi> zum homerischen <lb n="p1b_321.015"/> Hymnus auf Demeter, S. 195 ff.). Die Nachäffer der Griechen haben diesen <lb n="p1b_321.016"/> schönen Vers häufig zum Alexandriner mit zwängender Diäresis umgewandelt <lb n="p1b_321.017"/> und ihm seinen eigentlichen Charakter geraubt.</p> <p><lb n="p1b_321.018"/> Gute Bildung und Verwertung fand er bei Schiller in zwei Scenen der <lb n="p1b_321.019"/> Jungfrau (Akt 2, Scene 6 und 8), sowie in der Braut von Messina; bei <lb n="p1b_321.020"/> Goethe z. B. im Faust 2. Teil 3. Akt: Helena &c.; bei Platen in der Verhängnisvollen <lb n="p1b_321.021"/> Gabel und im Romantischen Ödipus; bei Rückert teilweise im <lb n="p1b_321.022"/> Napoleon; bei Minckwitz im Prinzenraub &c. Horaz vermischt in seinen Epoden <lb n="p1b_321.023"/> (ähnlich wie Archilochus) den Trimeter mit fremden Zeilen (5. Buch der Oden), <lb n="p1b_321.024"/> Voß in seiner Übersetzung und Klopstock thun es ihm nach.</p> <p> <lb n="p1b_321.025"/> <hi rendition="#g">Weitere Beispiele des neuen Senarius.</hi> </p> <lb n="p1b_321.026"/> <lg> <l>Jch bin, ihr seht's, ein Bauer, ‖ welcher Kohlen brennt,</l> <lb n="p1b_321.027"/> <l>Und ging im Wald, um ‖ meine Meiler nachzusehn.</l> <lb n="p1b_321.028"/> <l>Weil oft ein Windzug ‖ ihren Bau beschädiget,</l> <lb n="p1b_321.029"/> <l>Und durch die dürren Rasen ‖ bläst. Doch muß voraus</l> <lb n="p1b_321.030"/> <l>Jch sagen, ‖ daß ich selben ‖ Vormittag vernahm &c.</l> </lg> <lb n="p1b_321.031"/> <p> <hi rendition="#right">(J. 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Auch unter dem Namen Skazon (von <foreign xml:lang="grc">σκάζων</foreign>, hinkender) <lb n="p1b_321.041"/> kennt man ihn. Er ist ein vollkommener jambischer Trimeter, der aber </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [321/0355]
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Wo soll │ ich hin │ fliehn? ‖ Feinde rings umher und Tod! p1b_321.002
Hier der ergrimmte Feldherr, ‖ der mit drohndem Schwert p1b_321.003
Die Flucht versperrend, ‖ uns dem Tod entgegentreibt.
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(Schillers Jungfrau II. 6.)
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Hat der Vers zwei Cäsuren, so steht die erste schon im 2. Takt, die zweite in p1b_321.006
einem der letzten Takte. Er enthält zuweilen (nur nicht in der letzten Stelle!) p1b_321.007
Anapäste und Spondeen, die ihm Leben und Schwung verleihen, z. B.
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Dŏrt dĭe Fǖrch │ tĕrlīch │ ĕ, ‖ die verderblich um sich her p1b_321.009
Wĭe dĭe Brūnst │ dĕs Fēu │ ers ra │ set ‖ ─ und rīngsūm │ kein Busch.
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Der neue Senarius ist attischen Ursprungs. Er war ursprünglich der p1b_321.011
griechische Trimeter, der zunächst durch die Übersetzungen der griechischen p1b_321.012
Dramen zu uns kam. Er fand bei den Griechen ─ im Dialog ihrer Dramen p1b_321.013
─ eine ähnliche Anwendung wie bei uns der jambische Quinar. Er war die p1b_321.014
Versform ihrer Komödie und ihres Dramas (vgl. Ruhnken, zum homerischen p1b_321.015
Hymnus auf Demeter, S. 195 ff.). Die Nachäffer der Griechen haben diesen p1b_321.016
schönen Vers häufig zum Alexandriner mit zwängender Diäresis umgewandelt p1b_321.017
und ihm seinen eigentlichen Charakter geraubt.
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Gute Bildung und Verwertung fand er bei Schiller in zwei Scenen der p1b_321.019
Jungfrau (Akt 2, Scene 6 und 8), sowie in der Braut von Messina; bei p1b_321.020
Goethe z. B. im Faust 2. Teil 3. Akt: Helena &c.; bei Platen in der Verhängnisvollen p1b_321.021
Gabel und im Romantischen Ödipus; bei Rückert teilweise im p1b_321.022
Napoleon; bei Minckwitz im Prinzenraub &c. Horaz vermischt in seinen Epoden p1b_321.023
(ähnlich wie Archilochus) den Trimeter mit fremden Zeilen (5. Buch der Oden), p1b_321.024
Voß in seiner Übersetzung und Klopstock thun es ihm nach.
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Weitere Beispiele des neuen Senarius.
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Jch bin, ihr seht's, ein Bauer, ‖ welcher Kohlen brennt, p1b_321.027
Und ging im Wald, um ‖ meine Meiler nachzusehn. p1b_321.028
Weil oft ein Windzug ‖ ihren Bau beschädiget, p1b_321.029
Und durch die dürren Rasen ‖ bläst. Doch muß voraus p1b_321.030
Jch sagen, ‖ daß ich selben ‖ Vormittag vernahm &c.
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(J. Minckwitz, Prinzenraub.)
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Vernehmt denn ‖ meines Willens ‖ ernstlichen Beschluß, p1b_321.033
Und wie ich's euch gebiete, ‖ also übt es aus.(Schiller.)
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Die Lieb allein ist lieblich, ‖ häßlich ist der Haß, p1b_321.035
Der Jugend steht die Liebe ‖ schön und schön der Haß.
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(Rückert, Lieder und Sprüche, 77.)
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Der Choliambus (von χωλ-ίαμβος == lahmer, hinkender Jambus) p1b_321.039
wird auch nach seinem Erfinder Hipponax (540 v. Chr.) Hipponakteus p1b_321.040
genannt. Auch unter dem Namen Skazon (von σκάζων, hinkender) p1b_321.041
kennt man ihn. Er ist ein vollkommener jambischer Trimeter, der aber
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