Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

p1b_322.001
statt des letzten Jambus einen umgekehrten Jambus, d. i. einen Trochäus p1b_322.002
oder auch einen Spondeus hat, wodurch die (durch fünf Takte in Fluß p1b_322.003
gekommene) Bewegung im letzten Takt plötzlich einen Ruck erhält und p1b_322.004
in's Stocken gerät.

p1b_322.005
Beispiele:

p1b_322.006
Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrichter, p1b_322.007
Die immerfort voll Naseweisheit mitsprechen, p1b_322.008
Und Eins nur wissen sollten, daß sie nichts wissen. p1b_322.009
Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lahm sein &c.
p1b_322.010

(A. W. Schlegel.)

p1b_322.011
Ein Liebchen hatt' ich, das auf einem Aug' schielte; p1b_322.012
Weil sie mir schön schien, schien ihr Schielen auch Schönheit: p1b_322.013
Eins hatt' ich, das beim Sprechen mit der Zung anstieß; p1b_322.014
Mir war's kein Anstoß, stieß sie an und sprach: Liebster! p1b_322.015
Jetzt hab ich eines, das auf einem Fuß hinket; p1b_322.016
Ja freilich, sprech ich, hinkt sie, doch sie hinkt zierlich.
p1b_322.017

(Rückert, Ges. Ausg. I. 541.)

p1b_322.018
Jch höre, daß dein großes Staatsgeschäft hinket, p1b_322.019
Drum schick ich hier die Verse dir, die auch hinken, p1b_322.020
Damit sich tröst' am andern Hinker ein Hinker: p1b_322.021
Bedenke Freund, daß Alles in der Welt hinket.
p1b_322.022

II.

p1b_322.023
Du mochtest sonst wohl selber einen Vers machen. p1b_322.024
Mach itzt auch einmal einen Vers zur Abwechslung. p1b_322.025
Doch, daß der Vers dich nicht entfernt vom Hauptfache, p1b_322.026
Mach einen Vers auf König und auf Landstände.
p1b_322.027

VII.

p1b_322.028
Der Teufel hole Landesständ' und Hinkjamben. p1b_322.029
Holt nicht der Teufel Hinkejamb und Landstännde, p1b_322.030
So wirst du los nicht Landesständ' und Hinkjamben.
p1b_322.031

(Rückert an Wangenheim in: Beyer: Fr. Rückert ein biogr. Denkmal S. 438.)

p1b_322.032
7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentakter).

p1b_322.033
Sie haben in der Regel eine überzählige Kürze oder hyperkatalektischen p1b_322.034
Schluß. Jn diesem Falle könnte man sie auch unter Hinzurechnung p1b_322.035
der rhythmischen Pause für jambische Achttakter halten. Die p1b_322.036
Diärese findet sich gewöhnlich am Ende des vierten Taktes.

p1b_322.001
statt des letzten Jambus einen umgekehrten Jambus, d. i. einen Trochäus p1b_322.002
oder auch einen Spondeus hat, wodurch die (durch fünf Takte in Fluß p1b_322.003
gekommene) Bewegung im letzten Takt plötzlich einen Ruck erhält und p1b_322.004
in's Stocken gerät.

p1b_322.005
Beispiele:

p1b_322.006
Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrīchtĕr, p1b_322.007
Die immerfort voll Naseweisheit mitsprēchĕn, p1b_322.008
Und Eins nur wissen sollten, daß sie nichts wīssĕn. p1b_322.009
Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lāhm sēin &c.
p1b_322.010

(A. W. Schlegel.)

p1b_322.011
Ein Liebchen hatt' ich, das auf einem Aug' schīeltĕ; p1b_322.012
Weil sie mir schön schien, schien ihr Schielen auch Schönhĕit: p1b_322.013
Eins hatt' ich, das beim Sprechen mit der Zung ānstīeß; p1b_322.014
Mir war's kein Anstoß, stieß sie an und sprach: Līebstĕr! p1b_322.015
Jetzt hab ich eines, das auf einem Fuß hīnkĕt; p1b_322.016
Ja freilich, sprech ich, hinkt sie, doch sie hinkt ziērlĭch.
p1b_322.017

(Rückert, Ges. Ausg. I. 541.)

p1b_322.018
Jch höre, daß dein großes Staatsgeschäft hīnkĕt, p1b_322.019
Drum schick ich hier die Verse dir, die auch hīnkĕn, p1b_322.020
Damit sich tröst' am andern Hinker ēin Hīnkĕr: p1b_322.021
Bedenke Freund, daß Alles in der Welt hīnkĕt.
p1b_322.022

II.

p1b_322.023
Du mochtest sonst wohl selber einen Vers māchĕn. p1b_322.024
Mach itzt auch einmal einen Vers zur Abwēchslŭng. p1b_322.025
Doch, daß der Vers dich nicht entfernt vom Hauptfache, p1b_322.026
Mach einen Vers auf König und auf Landstände.
p1b_322.027

VII.

p1b_322.028
Der Teufel hole Landesständ' und Hinkjāmbĕn. p1b_322.029
Holt nicht der Teufel Hinkejamb und Landstǟndĕ, p1b_322.030
So wirst du los nicht Landesständ' und Hinkjāmbĕn.
p1b_322.031

(Rückert an Wangenheim in: Beyer: Fr. Rückert ein biogr. Denkmal S. 438.)

p1b_322.032
7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentakter).

p1b_322.033
Sie haben in der Regel eine überzählige Kürze oder hyperkatalektischen p1b_322.034
Schluß. Jn diesem Falle könnte man sie auch unter Hinzurechnung p1b_322.035
der rhythmischen Pause für jambische Achttakter halten. Die p1b_322.036
Diärese findet sich gewöhnlich am Ende des vierten Taktes.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0356" n="322"/><lb n="p1b_322.001"/>
statt des letzten Jambus einen umgekehrten Jambus, d. i. einen Trochäus <lb n="p1b_322.002"/>
oder auch einen Spondeus hat, wodurch die (durch fünf Takte in Fluß <lb n="p1b_322.003"/>
gekommene) Bewegung im letzten Takt plötzlich einen Ruck erhält und <lb n="p1b_322.004"/>
in's Stocken gerät.</p>
                <p>
                  <lb n="p1b_322.005"/> <hi rendition="#g">Beispiele:</hi> </p>
                <lb n="p1b_322.006"/>
                <lg>
                  <l>Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstr&#x012B;cht&#x0115;r,</l>
                  <lb n="p1b_322.007"/>
                  <l>Die immerfort voll Naseweisheit mitspr&#x0113;ch&#x0115;n,</l>
                  <lb n="p1b_322.008"/>
                  <l>Und Eins nur wissen sollten, daß sie nichts w&#x012B;ss&#x0115;n.</l>
                  <lb n="p1b_322.009"/>
                  <l>Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers l&#x0101;hm s&#x0113;in &amp;c.</l>
                </lg>
                <lb n="p1b_322.010"/>
                <p> <hi rendition="#right">(A. W. Schlegel.)</hi> </p>
                <lb n="p1b_322.011"/>
                <lg>
                  <l>Ein Liebchen hatt' ich, das auf einem Aug' sch&#x012B;elt&#x0115;;</l>
                  <lb n="p1b_322.012"/>
                  <l>Weil sie mir schön schien, schien ihr Schielen auch Schönh&#x0115;it:</l>
                  <lb n="p1b_322.013"/>
                  <l>Eins hatt' ich, das beim Sprechen mit der Zung &#x0101;nst&#x012B;eß;</l>
                  <lb n="p1b_322.014"/>
                  <l>Mir war's kein Anstoß, stieß sie an und sprach: L&#x012B;ebst&#x0115;r!</l>
                  <lb n="p1b_322.015"/>
                  <l>Jetzt hab ich eines, das auf einem Fuß h&#x012B;nk&#x0115;t;</l>
                  <lb n="p1b_322.016"/>
                  <l>Ja freilich, sprech ich, hinkt sie, doch sie hinkt zi&#x0113;rl&#x012D;ch.</l>
                </lg>
                <lb n="p1b_322.017"/>
                <p> <hi rendition="#right">(Rückert, Ges. Ausg. <hi rendition="#aq">I</hi>. 541.)</hi> </p>
                <lb n="p1b_322.018"/>
                <lg>
                  <l>Jch höre, daß dein großes Staatsgeschäft h&#x012B;nk&#x0115;t,</l>
                  <lb n="p1b_322.019"/>
                  <l>Drum schick ich hier die Verse dir, die auch h&#x012B;nk&#x0115;n,</l>
                  <lb n="p1b_322.020"/>
                  <l>Damit sich tröst' am andern Hinker &#x0113;in H&#x012B;nk&#x0115;r:</l>
                  <lb n="p1b_322.021"/>
                  <l>Bedenke Freund, daß Alles in der Welt h&#x012B;nk&#x0115;t.</l>
                </lg>
                <lb n="p1b_322.022"/>
                <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">II</hi>.</hi> </p>
                <lb n="p1b_322.023"/>
                <lg>
                  <l>Du mochtest sonst wohl selber einen Vers m&#x0101;ch&#x0115;n.</l>
                  <lb n="p1b_322.024"/>
                  <l>Mach itzt auch einmal einen Vers zur Abw&#x0113;chsl&#x016D;ng.</l>
                  <lb n="p1b_322.025"/>
                  <l>Doch, daß der Vers dich nicht entfernt vom Hauptfache,</l>
                  <lb n="p1b_322.026"/>
                  <l>Mach einen Vers auf König und auf Landstände.</l>
                </lg>
                <lb n="p1b_322.027"/>
                <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">VII</hi>.</hi> </p>
                <lb n="p1b_322.028"/>
                <lg>
                  <l>Der Teufel hole Landesständ' und Hinkj&#x0101;mb&#x0115;n.</l>
                  <lb n="p1b_322.029"/>
                  <l>Holt nicht der Teufel Hinkejamb und Landsta&#x0308;&#x0304;nd&#x0115;,</l>
                  <lb n="p1b_322.030"/>
                  <l>So wirst du los nicht Landesständ' und Hinkj&#x0101;mb&#x0115;n.</l>
                </lg>
                <lb n="p1b_322.031"/>
                <p> <hi rendition="#right">(Rückert an Wangenheim in: Beyer: Fr. Rückert ein biogr. Denkmal S. 438.)</hi> </p>
              </div>
            </div>
            <div n="4">
              <p><lb n="p1b_322.032"/>
7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentakter).</p>
              <p><lb n="p1b_322.033"/>
Sie haben in der Regel eine überzählige Kürze oder hyperkatalektischen <lb n="p1b_322.034"/>
Schluß. Jn diesem Falle könnte man sie auch unter Hinzurechnung <lb n="p1b_322.035"/>
der rhythmischen Pause für jambische Achttakter halten. Die <lb n="p1b_322.036"/>
Diärese findet sich gewöhnlich am Ende des vierten Taktes.</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[322/0356] p1b_322.001 statt des letzten Jambus einen umgekehrten Jambus, d. i. einen Trochäus p1b_322.002 oder auch einen Spondeus hat, wodurch die (durch fünf Takte in Fluß p1b_322.003 gekommene) Bewegung im letzten Takt plötzlich einen Ruck erhält und p1b_322.004 in's Stocken gerät. p1b_322.005 Beispiele: p1b_322.006 Der Choliambe scheint ein Vers für Kunstrīchtĕr, p1b_322.007 Die immerfort voll Naseweisheit mitsprēchĕn, p1b_322.008 Und Eins nur wissen sollten, daß sie nichts wīssĕn. p1b_322.009 Wo die Kritik hinkt, muß ja auch der Vers lāhm sēin &c. p1b_322.010 (A. W. Schlegel.) p1b_322.011 Ein Liebchen hatt' ich, das auf einem Aug' schīeltĕ; p1b_322.012 Weil sie mir schön schien, schien ihr Schielen auch Schönhĕit: p1b_322.013 Eins hatt' ich, das beim Sprechen mit der Zung ānstīeß; p1b_322.014 Mir war's kein Anstoß, stieß sie an und sprach: Līebstĕr! p1b_322.015 Jetzt hab ich eines, das auf einem Fuß hīnkĕt; p1b_322.016 Ja freilich, sprech ich, hinkt sie, doch sie hinkt ziērlĭch. p1b_322.017 (Rückert, Ges. Ausg. I. 541.) p1b_322.018 Jch höre, daß dein großes Staatsgeschäft hīnkĕt, p1b_322.019 Drum schick ich hier die Verse dir, die auch hīnkĕn, p1b_322.020 Damit sich tröst' am andern Hinker ēin Hīnkĕr: p1b_322.021 Bedenke Freund, daß Alles in der Welt hīnkĕt. p1b_322.022 II. p1b_322.023 Du mochtest sonst wohl selber einen Vers māchĕn. p1b_322.024 Mach itzt auch einmal einen Vers zur Abwēchslŭng. p1b_322.025 Doch, daß der Vers dich nicht entfernt vom Hauptfache, p1b_322.026 Mach einen Vers auf König und auf Landstände. p1b_322.027 VII. p1b_322.028 Der Teufel hole Landesständ' und Hinkjāmbĕn. p1b_322.029 Holt nicht der Teufel Hinkejamb und Landstǟndĕ, p1b_322.030 So wirst du los nicht Landesständ' und Hinkjāmbĕn. p1b_322.031 (Rückert an Wangenheim in: Beyer: Fr. Rückert ein biogr. Denkmal S. 438.) p1b_322.032 7. Siebentaktige jambische Verse (jambische Siebentakter). p1b_322.033 Sie haben in der Regel eine überzählige Kürze oder hyperkatalektischen p1b_322.034 Schluß. Jn diesem Falle könnte man sie auch unter Hinzurechnung p1b_322.035 der rhythmischen Pause für jambische Achttakter halten. Die p1b_322.036 Diärese findet sich gewöhnlich am Ende des vierten Taktes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/356
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/356>, abgerufen am 22.11.2024.