Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
p1b_347.001
§ 114. Jambisch-anapästische Verse (gemischte Anapäste p1b_347.002
mit steigendem Rhythmus).

p1b_347.003
Die Zahl dieser gemischten Anapäste ist außerordentlich groß. p1b_347.004
Man kann sagen, daß dieselben von jedem besseren Dichter mit Vorliebe p1b_347.005
zur rhythmischen Malerei verwendet werden. Entweder der Jambus p1b_347.006
wird benützt, um die rasche Bewegung des munteren Anapästes p1b_347.007
zu zügeln, oder der Anapäst wird angewendet, um die langsame Bewegung p1b_347.008
des aufstrebenden Jambus in's Rollen zu bringen. Schillers p1b_347.009
Anapäste fügen viel öfter den Jambus ein, als die Goetheschen. Sie p1b_347.010
sind fast sämmtlich gemischt (logaödisch).

p1b_347.011
Bei den deutschen gemischten Anapästen ist die Stellung des p1b_347.012
Jambus eine durchaus willkürliche, also keineswegs schematisch feststehend p1b_347.013
wie im alcäischen Verse.

p1b_347.014
A. Deutsche jambisch-anapästische Verse.

p1b_347.015
Beispiele:

p1b_347.016
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht, p1b_347.017
Jm altertümlichen Saale, p1b_347.018
Saß König Rudolfs heilige Macht p1b_347.019
Beim festlichen Kronungsmahle. p1b_347.020
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins, p1b_347.021
Es schenkte der Bohme des perlenden Weins, p1b_347.022
Und alle die Wänhler, die sieben, p1b_347.023
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, p1b_347.024
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, p1b_347.025
Die Würde des Amtes zu üben.
p1b_347.026

(Schiller, Graf von Habsburg.)

p1b_347.027
Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd! p1b_347.028
Jn's Feld, in die Freiheit gezogen! p1b_347.029
Jm Felde, da ist der Mann noch was wert, p1b_347.030
Da wird das Herz noch gewogen. p1b_347.031
Da tritt kein anderer für ihn ein, p1b_347.032
Auf sich selber steht er da ganz allein.
p1b_347.033

(Schillers Reiterlied.)

p1b_347.034
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, p1b_347.035
Sie gehen von Munde zu Munde.
p1b_347.036

(Schiller, Die Worte des Glaubens.)

p1b_347.037
Es bricht sich die Welle mit Macht, mit Macht; p1b_347.038
Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht, p1b_347.039
Das Auge von Weinen getrübet u. s. w.
p1b_347.040

(Schiller, Des Mädchens Klage.)

p1b_347.001
§ 114. Jambisch-anapästische Verse (gemischte Anapäste p1b_347.002
mit steigendem Rhythmus).

p1b_347.003
Die Zahl dieser gemischten Anapäste ist außerordentlich groß. p1b_347.004
Man kann sagen, daß dieselben von jedem besseren Dichter mit Vorliebe p1b_347.005
zur rhythmischen Malerei verwendet werden. Entweder der Jambus p1b_347.006
wird benützt, um die rasche Bewegung des munteren Anapästes p1b_347.007
zu zügeln, oder der Anapäst wird angewendet, um die langsame Bewegung p1b_347.008
des aufstrebenden Jambus in's Rollen zu bringen. Schillers p1b_347.009
Anapäste fügen viel öfter den Jambus ein, als die Goetheschen. Sie p1b_347.010
sind fast sämmtlich gemischt (logaödisch).

p1b_347.011
Bei den deutschen gemischten Anapästen ist die Stellung des p1b_347.012
Jambus eine durchaus willkürliche, also keineswegs schematisch feststehend p1b_347.013
wie im alcäischen Verse.

p1b_347.014
A. Deutsche jambisch-anapästische Verse.

p1b_347.015
Beispiele:

p1b_347.016
Zu Aachĕn ĭn sēiner Kaiserpracht, p1b_347.017
Jm altertümlĭchĕn Sāale, p1b_347.018
Saß König Rudolfs heilĭgĕ Mācht p1b_347.019
Beim festlĭchĕn Krȫnungsmahle. p1b_347.020
Die Speisen trug der Pfalzgrăf dĕs Rhēins, p1b_347.021
Es schenktĕ dĕr Bȫhmĕ dĕs pērlĕndĕn Wēins, p1b_347.022
Und allĕ dĭe Wǟhlĕr, dĭe sīeben, p1b_347.023
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, p1b_347.024
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, p1b_347.025
Die Würde des Amtes zu üben.
p1b_347.026

(Schiller, Graf von Habsburg.)

p1b_347.027
Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd! p1b_347.028
Jn's Feld, in die Freiheit gezogen! p1b_347.029
Jm Felde, da ist der Mann noch was wert, p1b_347.030
Da wird das Herz noch gewogen. p1b_347.031
Da tritt kein anderer für ihn ein, p1b_347.032
Auf sich selber steht er da ganz allein.
p1b_347.033

(Schillers Reiterlied.)

p1b_347.034
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, p1b_347.035
Sie gehen von Munde zu Munde.
p1b_347.036

(Schiller, Die Worte des Glaubens.)

p1b_347.037
Ĕs brīcht sich die Wēlle mit Mācht, mĭt Mācht; p1b_347.038
Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht, p1b_347.039
Das Auge von Weinen getrübet u. s. w.
p1b_347.040

(Schiller, Des Mädchens Klage.)

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0381" n="347"/>
            </div>
          </div>
          <div n="3">
            <lb n="p1b_347.001"/>
            <head> <hi rendition="#c">§ 114. Jambisch-anapästische Verse (gemischte Anapäste <lb n="p1b_347.002"/>
mit steigendem Rhythmus).</hi> </head>
            <p><lb n="p1b_347.003"/>
Die Zahl dieser gemischten Anapäste ist außerordentlich groß. <lb n="p1b_347.004"/>
Man kann sagen, daß dieselben von jedem besseren Dichter mit Vorliebe <lb n="p1b_347.005"/>
zur rhythmischen Malerei verwendet werden. Entweder der Jambus <lb n="p1b_347.006"/>
wird benützt, um die rasche Bewegung des munteren Anapästes <lb n="p1b_347.007"/>
zu zügeln, oder der Anapäst wird angewendet, um die langsame Bewegung <lb n="p1b_347.008"/>
des aufstrebenden Jambus in's Rollen zu bringen. Schillers <lb n="p1b_347.009"/>
Anapäste fügen viel öfter den Jambus ein, als die Goetheschen. Sie <lb n="p1b_347.010"/>
sind fast sämmtlich gemischt (logaödisch).</p>
            <p><lb n="p1b_347.011"/>
Bei den deutschen gemischten Anapästen ist die Stellung des <lb n="p1b_347.012"/>
Jambus eine durchaus willkürliche, also keineswegs schematisch feststehend <lb n="p1b_347.013"/>
wie im alcäischen Verse.</p>
            <div n="4">
              <p>
                <lb n="p1b_347.014"/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq">A</hi>. Deutsche jambisch-anapästische Verse.</hi> </p>
              <p>
                <lb n="p1b_347.015"/> <hi rendition="#g">Beispiele:</hi> </p>
              <lb n="p1b_347.016"/>
              <lg>
                <l>Zu Aach&#x0115;n &#x012D;n s&#x0113;iner Kaiserpracht,</l>
                <lb n="p1b_347.017"/>
                <l>Jm altertüml&#x012D;ch&#x0115;n S&#x0101;ale,</l>
                <lb n="p1b_347.018"/>
                <l>Saß König Rudolfs heil&#x012D;g&#x0115; M&#x0101;cht</l>
                <lb n="p1b_347.019"/>
                <l>Beim festl&#x012D;ch&#x0115;n Kr&#x022B;nungsmahle.</l>
                <lb n="p1b_347.020"/>
                <l>Die Speisen trug der Pfalzgr&#x0103;f d&#x0115;s Rh&#x0113;ins,</l>
                <lb n="p1b_347.021"/>
                <l>Es schenkt&#x0115; d&#x0115;r B&#x022B;hm&#x0115; d&#x0115;s p&#x0113;rl&#x0115;nd&#x0115;n W&#x0113;ins,</l>
                <lb n="p1b_347.022"/>
                <l>Und all&#x0115; d&#x012D;e Wa&#x0308;&#x0304;hl&#x0115;r, d&#x012D;e s&#x012B;eben,</l>
                <lb n="p1b_347.023"/>
                <l>Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,</l>
                <lb n="p1b_347.024"/>
                <l>Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,</l>
                <lb n="p1b_347.025"/>
                <l>Die Würde des Amtes zu üben.</l>
              </lg>
              <lb n="p1b_347.026"/>
              <p> <hi rendition="#right">(Schiller, Graf von Habsburg.)</hi> </p>
              <lb n="p1b_347.027"/>
              <lg>
                <l>Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!</l>
                <lb n="p1b_347.028"/>
                <l>Jn's Feld, in die Freiheit gezogen!</l>
                <lb n="p1b_347.029"/>
                <l>Jm Felde, da ist der Mann noch was wert,</l>
                <lb n="p1b_347.030"/>
                <l>Da wird das Herz noch gewogen.</l>
                <lb n="p1b_347.031"/>
                <l>Da tritt kein anderer für ihn ein,</l>
                <lb n="p1b_347.032"/>
                <l>Auf sich selber steht er da ganz allein.</l>
              </lg>
              <lb n="p1b_347.033"/>
              <p> <hi rendition="#right">(Schillers Reiterlied.)</hi> </p>
              <lb n="p1b_347.034"/>
              <lg>
                <l>Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer,</l>
                <lb n="p1b_347.035"/>
                <l>Sie gehen von Munde zu Munde.</l>
              </lg>
              <lb n="p1b_347.036"/>
              <p> <hi rendition="#right">(Schiller, Die Worte des Glaubens.)</hi> </p>
              <lb n="p1b_347.037"/>
              <lg>
                <l>&#x0114;s br&#x012B;cht sich die W&#x0113;lle mit M&#x0101;cht, m&#x012D;t M&#x0101;cht;</l>
                <lb n="p1b_347.038"/>
                <l>Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht,</l>
                <lb n="p1b_347.039"/>
                <l>Das Auge von Weinen getrübet u. s. w.</l>
              </lg>
              <lb n="p1b_347.040"/>
              <p> <hi rendition="#right">(Schiller, Des Mädchens Klage.)</hi> </p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[347/0381] p1b_347.001 § 114. Jambisch-anapästische Verse (gemischte Anapäste p1b_347.002 mit steigendem Rhythmus). p1b_347.003 Die Zahl dieser gemischten Anapäste ist außerordentlich groß. p1b_347.004 Man kann sagen, daß dieselben von jedem besseren Dichter mit Vorliebe p1b_347.005 zur rhythmischen Malerei verwendet werden. Entweder der Jambus p1b_347.006 wird benützt, um die rasche Bewegung des munteren Anapästes p1b_347.007 zu zügeln, oder der Anapäst wird angewendet, um die langsame Bewegung p1b_347.008 des aufstrebenden Jambus in's Rollen zu bringen. Schillers p1b_347.009 Anapäste fügen viel öfter den Jambus ein, als die Goetheschen. Sie p1b_347.010 sind fast sämmtlich gemischt (logaödisch). p1b_347.011 Bei den deutschen gemischten Anapästen ist die Stellung des p1b_347.012 Jambus eine durchaus willkürliche, also keineswegs schematisch feststehend p1b_347.013 wie im alcäischen Verse. p1b_347.014 A. Deutsche jambisch-anapästische Verse. p1b_347.015 Beispiele: p1b_347.016 Zu Aachĕn ĭn sēiner Kaiserpracht, p1b_347.017 Jm altertümlĭchĕn Sāale, p1b_347.018 Saß König Rudolfs heilĭgĕ Mācht p1b_347.019 Beim festlĭchĕn Krȫnungsmahle. p1b_347.020 Die Speisen trug der Pfalzgrăf dĕs Rhēins, p1b_347.021 Es schenktĕ dĕr Bȫhmĕ dĕs pērlĕndĕn Wēins, p1b_347.022 Und allĕ dĭe Wǟhlĕr, dĭe sīeben, p1b_347.023 Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, p1b_347.024 Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt, p1b_347.025 Die Würde des Amtes zu üben. p1b_347.026 (Schiller, Graf von Habsburg.) p1b_347.027 Wohl auf, Kameraden, auf's Pferd, auf's Pferd! p1b_347.028 Jn's Feld, in die Freiheit gezogen! p1b_347.029 Jm Felde, da ist der Mann noch was wert, p1b_347.030 Da wird das Herz noch gewogen. p1b_347.031 Da tritt kein anderer für ihn ein, p1b_347.032 Auf sich selber steht er da ganz allein. p1b_347.033 (Schillers Reiterlied.) p1b_347.034 Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer, p1b_347.035 Sie gehen von Munde zu Munde. p1b_347.036 (Schiller, Die Worte des Glaubens.) p1b_347.037 Ĕs brīcht sich die Wēlle mit Mācht, mĭt Mācht; p1b_347.038 Und sie seufzt hinaus in die finstre Nacht, p1b_347.039 Das Auge von Weinen getrübet u. s. w. p1b_347.040 (Schiller, Des Mädchens Klage.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/381
Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/381>, abgerufen am 22.11.2024.