Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_602.001 Do entswebete er an den betten | vil manegen sorgenden man. p1b_602.004 Diu swert von handen legeten | die chunen rechen gemeit. p1b_602.007 Vil gerne wänre ich dir | guot mit meinnem schilde, p1b_602.012 torst' ich dir'n bieten | vor Kriemhilde! p1b_602.013 Gegen Mutaren | die Tunowe nider. p1b_602.016 Do suohte er nach den vergen | wider unde dan, p1b_602.023 er horte wazzer giezen, | losen er began: p1b_602.024 in einem schönen brunnen | taten daz weisiu weip, p1b_602.025 Die wolten sich da küelen | unde badeten ir leip. p1b_602.026 Do rief der herre Giselher | Wolfharten an: p1b_602.030 "owe, daz ich so grimmen | vient je gewan! p1b_602.031 edel ritter künne, | nu wendet gegen in; p1b_602.032 ich wil ez helfen enden, | ez mac niht anders gesin." p1b_602.033 p1b_602.001 Dŏ ĕntswēbĕtĕ ēr ăn dĕn bēttĕn │ vĭl mānĕgĕn sōrgĕndĕn mān. p1b_602.004 Dĭu swērt vŏn hāndĕn lēgĕtĕn │ dĭe chūnĕn rēchĕn gĕmeīt. p1b_602.007 Vĭl gērnĕ wǟrĕ īch dĭr │ gūot mĭt mî̄nĕm schīldĕ, p1b_602.012 tōrst' ĭch dīr'n bīetĕn │ vōr Krīemhīldĕ! p1b_602.013 Gēgĕn Mūtārĕn │ dĭe Tūnōwĕ nīdĕr. p1b_602.016 Dô suohte er nâch den vergen │ wider unde dan, p1b_602.023 er hôrte wazzer giezen, │ losen er began: p1b_602.024 in einem schönen brunnen │ tâten daz wîsiu wîp, p1b_602.025 Die wolten sich da küelen │ unde badeten ir lîp. p1b_602.026 Dŏ rīef dĕr hērrĕ Gīsĕlhĕr │ Wōlfhārtĕn ān: p1b_602.030 „ŏwē, dăz īch sŏ grīmmĕn │ vīent jĕ gĕwān! p1b_602.031 ēdĕl rīttĕr kǖnĕ, │ nŭ wēndĕt gēgĕn īn; p1b_602.032 ĭch wīl ĕz hēlfĕn ēndĕn, │ ĕz māc nĭht āndĕrs gĕsīn.“ p1b_602.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0636" n="602"/> <p><lb n="p1b_602.001"/> Oft gewinnt er daher, wenn es der Gegenstand mit sich bringt, einen <lb n="p1b_602.002"/> sanften, hüpfenden Gang, wie folgender:</p> <lb n="p1b_602.003"/> <lg> <l><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Dŏ ĕntswēbĕtĕ ēr ăn dĕn bēttĕn │ vĭl mānĕgĕn sōrgĕndĕn mān</hi></hi>.</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.004"/> Zuweilen wird, anders geordnet, dieser daktylische Sprung auch ernsten <lb n="p1b_602.005"/> Gegenständen angepaßt wie z. B. der letzte Vers des 33. Gesanges:</p> <lb n="p1b_602.006"/> <lg> <l><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Dĭu swērt vŏn hāndĕn lēgĕtĕn</hi> │ <hi rendition="#g">dĭe chūnĕn rēchĕn gĕmeīt</hi></hi>.</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.007"/> Eine prachtvolle, oder auch schauerliche Wirkung entsteht, wenn im Gegenteile <lb n="p1b_602.008"/> die unbetonten Silben fast ganz herausfallen, wie z. B. im letzten Halbvers <lb n="p1b_602.009"/> folgender Zeilen, die zugleich als Muster dienen können, wie schön die <lb n="p1b_602.010"/> bacchischen Reime sich ausnehmen:</p> <lb n="p1b_602.011"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Vĭl gērnĕ wǟrĕ īch dĭr</hi> │ <hi rendition="#g">gūot mĭt mî̄nĕm schīldĕ,</hi></hi> </l> <lb n="p1b_602.012"/> <l><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">tōrst' ĭch dīr'n bīetĕn</hi> │ <hi rendition="#g">vōr Krīemhīldĕ</hi></hi>!</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.013"/> Die Versart wird auch zuweilen gebraucht, um eine malerische Wirkung <lb n="p1b_602.014"/> hervorzubringen, z. B.</p> <lb n="p1b_602.015"/> <lg> <l><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Gēgĕn Mūtārĕn</hi> │ <hi rendition="#g">dĭe Tūnōwĕ nīdĕr</hi></hi>.</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.016"/> Reine Jamben und Trochäen sind nicht selten, doch hat der Dichter <lb n="p1b_602.017"/> Sorge getragen, daß sie nie eine ganze Strophe ausfüllen. So sind z. B. <lb n="p1b_602.018"/> in folgender Strophe die ersten Halbverse der ersten und zweiten Zeile jambisch, <lb n="p1b_602.019"/> die sich ihnen anschließenden trochäisch, bis der Jambus, der sich nicht abweisen <lb n="p1b_602.020"/> läßt, das Übergewicht gewinnt, und die beiden letzten Verse ganz jambisch <lb n="p1b_602.021"/> gebildet sind:</p> <lb n="p1b_602.022"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Dô suohte er nâch den vergen │ wider unde dan,</hi> </l> <lb n="p1b_602.023"/> <l> <hi rendition="#aq">er hôrte wazzer giezen, │ losen er began:</hi> </l> <lb n="p1b_602.024"/> <l> <hi rendition="#aq">in einem schönen brunnen │ tâten daz wîsiu wîp,</hi> </l> <lb n="p1b_602.025"/> <l><hi rendition="#aq">Die wolten sich da küelen │ unde badeten ir lîp</hi>.</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.026"/> Platen führt noch eine besonders kunstvoll gebildete Stanze mit ihrer <lb n="p1b_602.027"/> metrischen Einteilung an, die fast alle Tonarten des Nibelungenliedes in sich <lb n="p1b_602.028"/> vereinigt:</p> <lb n="p1b_602.029"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Dŏ rīef dĕr hērrĕ Gīsĕlhĕr │ Wōlfhārtĕn ān:</hi> </l> <lb n="p1b_602.030"/> <l> <hi rendition="#aq">„ŏwē, dăz īch sŏ grīmmĕn │ vīent jĕ gĕwān!</hi> </l> <lb n="p1b_602.031"/> <l> <hi rendition="#aq">ēdĕl rīttĕr kǖnĕ, │ nŭ wēndĕt gēgĕn īn;</hi> </l> <lb n="p1b_602.032"/> <l><hi rendition="#aq">ĭch wīl ĕz hēlfĕn ēndĕn, │ ĕz māc nĭht āndĕrs gĕsīn</hi>.“</l> </lg> <p><lb n="p1b_602.033"/> Um den Nibelungenvers immer richtig zu lesen, (d. h. um lediglich <lb n="p1b_602.034"/> die Hebungen zu accentuieren) verlangt auch Platen eine nähere Kenntnis <lb n="p1b_602.035"/> der alten Sprache, die wie die homerische sich noch in manchen schwankenden <lb n="p1b_602.036"/> Formen bewegt. Hierher sind besonders die Eigennamen zu zählen, deren <lb n="p1b_602.037"/> Prosodie meist schwankend ist. So wird z. B. accentuiert: Gūnthĕr und </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [602/0636]
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Oft gewinnt er daher, wenn es der Gegenstand mit sich bringt, einen p1b_602.002
sanften, hüpfenden Gang, wie folgender:
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Dŏ ĕntswēbĕtĕ ēr ăn dĕn bēttĕn │ vĭl mānĕgĕn sōrgĕndĕn mān.
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Zuweilen wird, anders geordnet, dieser daktylische Sprung auch ernsten p1b_602.005
Gegenständen angepaßt wie z. B. der letzte Vers des 33. Gesanges:
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Dĭu swērt vŏn hāndĕn lēgĕtĕn │ dĭe chūnĕn rēchĕn gĕmeīt.
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Eine prachtvolle, oder auch schauerliche Wirkung entsteht, wenn im Gegenteile p1b_602.008
die unbetonten Silben fast ganz herausfallen, wie z. B. im letzten Halbvers p1b_602.009
folgender Zeilen, die zugleich als Muster dienen können, wie schön die p1b_602.010
bacchischen Reime sich ausnehmen:
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Die Versart wird auch zuweilen gebraucht, um eine malerische Wirkung p1b_602.014
hervorzubringen, z. B.
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Gēgĕn Mūtārĕn │ dĭe Tūnōwĕ nīdĕr.
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Reine Jamben und Trochäen sind nicht selten, doch hat der Dichter p1b_602.017
Sorge getragen, daß sie nie eine ganze Strophe ausfüllen. So sind z. B. p1b_602.018
in folgender Strophe die ersten Halbverse der ersten und zweiten Zeile jambisch, p1b_602.019
die sich ihnen anschließenden trochäisch, bis der Jambus, der sich nicht abweisen p1b_602.020
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Platen führt noch eine besonders kunstvoll gebildete Stanze mit ihrer p1b_602.027
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vereinigt:
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Um den Nibelungenvers immer richtig zu lesen, (d. h. um lediglich p1b_602.034
die Hebungen zu accentuieren) verlangt auch Platen eine nähere Kenntnis p1b_602.035
der alten Sprache, die wie die homerische sich noch in manchen schwankenden p1b_602.036
Formen bewegt. Hierher sind besonders die Eigennamen zu zählen, deren p1b_602.037
Prosodie meist schwankend ist. So wird z. B. accentuiert: Gūnthĕr und
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