Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.p1b_607.001 1. Strophe. Wohl hab' ich oft, vom süßen, || melodischen Schmelz berauscht, p1b_607.002 p1b_607.005Jtalien, deiner Sprache || wonnebeseelt gelauscht; p1b_607.003 Wohl neidet' ich oft im Stillen || dir deiner Weisen Klang: p1b_607.004 Nicht heischen sie erst Musik ja, || die Worte, nein, sie sind Gesang! 3. Strophe. Wohl nimmst mit deiner Schöne || du gefangen den trunknen Sinn, p1b_607.006 p1b_607.009Du Tochter der mächtigen Sprache, || der Weltbezwingerin, p1b_607.007 Die einst erfüllt die Lande || mit brausendem Schlachtenaccord p1b_607.008 Und siegesfroh sich erobert || Wohnstätten rings in Sünd und Nord. 5. Strophe. Wie aber willst du dich messen || mit deutschen Wortes Kraft? p1b_607.010 p1b_607.014So singen keine Schergen, || die weichliche Ruh' erschlafft, p1b_607.011 Wie Deutschlands Streiter geschmettert || begeistrungsvoll hinein p1b_607.012 Jn den dröhnenden Schlachtendonner || ihr Heldenlied: Die Wacht p1b_607.013 am Rhein! 7. Strophe. Dazu braucht es harter || Worte, | schwer, | stark, p1b_607.015 p1b_607.018Stahlharter Worte || voller | Kraft und | Mark - p1b_607.016 Nicht solcher, wie deiner, italische || Sprache, | schmiegsam | weich, p1b_607.017 Die halb die Wucht entziehen || dem nach dem Feind gezielten Streich. 8. Strophe. Und dennoch, der deutschen Zunge || gelingt so schön wie dir p1b_607.019 p1b_607.022Der Liebe leis Gelispel, || nicht minder zart und zier p1b_607.020 Kann sie kosen und schmeicheln, || ja noch inniger klingt es traun, p1b_607.021 Wenn das Ja sich lost von der Lippe || holdseliger deutscher Fraun! 14. (letzte) So töne fort, du stolzes || germanisches Lied, gedenk, p1b_607.023Strophe. Treu | stets zu | hüten || dein wunderbar Geschenk! p1b_607.024 Und wann vom Altare der Musen || manch rauheres Volk sich schied, p1b_607.025 Dann strahle du noch, ein Kleinod, || dem keines gleich, du deutsches p1b_607.026 Lied! p1b_607.027 § 192. Die Gudrunstrophe. p1b_607.028 p1b_607.033 p1b_607.001 1. Strophe. Wohl hab' ich oft, vom süßen, ‖ melodischen Schmelz berauscht, p1b_607.002 p1b_607.005Jtalien, deiner Sprache ‖ wonnebeseelt gelauscht; p1b_607.003 Wohl neidet' ich oft im Stillen ‖ dir deiner Weisen Klang: p1b_607.004 Nicht hēischĕn sĭe ērst Musīk ja, ‖ die Wōrte, nēin, sie sīnd Gesāng! 3. Strophe. Wohl nimmst mit deiner Schöne ‖ du gefangen den trunknen Sinn, p1b_607.006 p1b_607.009Du Tochter der mächtigen Sprache, ‖ der Weltbezwingerin, p1b_607.007 Die einst erfüllt die Lande ‖ mit brausendem Schlachtenaccord p1b_607.008 Und siegesfroh sich erobert ‖ Wōhnstätten rīngs in Sǖd und Nōrd. 5. Strophe. Wie aber willst du dich messen ‖ mit deutschen Wortes Kraft? p1b_607.010 p1b_607.014So singen keine Schergen, ‖ die weichliche Ruh' erschlafft, p1b_607.011 Wie Deutschlands Streiter geschmettert ‖ begeistrungsvoll hinein p1b_607.012 Jn den dröhnenden Schlachtendonner ‖ ihr Heldenlied: Die Wacht p1b_607.013 am Rhein! 7. Strophe. Dāzu braūcht es hārter ‖ Wōrte, │ schwēr, │ stārk, p1b_607.015 p1b_607.018Stāhlhārter Wōrte ‖ vōller │ Krāft und │ Mārk ─ p1b_607.016 Nicht solcher, wie deiner, italische ‖ Sprache, │ schmiegsam │ weich, p1b_607.017 Die halb die Wucht entziehen ‖ dēm nach dem Feīnd gezīelten Strēich. 8. Strophe. Und dennoch, der deutschen Zunge ‖ gelingt so schön wie dir p1b_607.019 p1b_607.022Der Liebe leis Gelispel, ‖ nicht minder zart und zier p1b_607.020 Kann sie kosen und schmeicheln, ‖ ja noch inniger klingt es traun, p1b_607.021 Wĕnn dăs Jā sich lȫst von der Līppe ‖ hōldsēliger dēutscher Frāun! 14. (letzte) So töne fort, du stolzes ‖ germanisches Lied, gedenk, p1b_607.023Strophe. Treu │ stets zu │ hüten ‖ dein wunderbar Geschenk! p1b_607.024 Und wann vom Altare der Musen ‖ manch rauheres Volk sich schied, p1b_607.025 Dann strahle du noch, ein Kleinod, ‖ dem keines gleich, du deutsches p1b_607.026 Lied! p1b_607.027 § 192. Die Gudrunstrophe. p1b_607.028 p1b_607.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0641" n="607"/> <lb n="p1b_607.001"/> <p rendition="#left">1. Strophe.</p> <lg> <l>Wohl hab' ich oft, vom süßen, ‖ melodischen Schmelz berauscht,</l> <lb n="p1b_607.002"/> <l>Jtalien, deiner Sprache ‖ wonnebeseelt gelauscht;</l> <lb n="p1b_607.003"/> <l>Wohl neidet' ich oft im Stillen ‖ dir deiner Weisen Klang:</l> <lb n="p1b_607.004"/> <l>Nicht hēischĕn sĭe ērst Musīk ja, ‖ die Wōrte, nēin, sie sīnd Gesāng! </l> </lg> <lb n="p1b_607.005"/> <p rendition="#left">3. Strophe.</p> <lg> <l>Wohl nimmst mit deiner Schöne ‖ du gefangen den trunknen Sinn,</l> <lb n="p1b_607.006"/> <l>Du Tochter der mächtigen Sprache, ‖ der Weltbezwingerin,</l> <lb n="p1b_607.007"/> <l>Die einst erfüllt die Lande ‖ mit brausendem Schlachtenaccord</l> <lb n="p1b_607.008"/> <l>Und siegesfroh sich erobert ‖ Wōhnstätten rīngs in Sǖd und Nōrd. </l> </lg> <lb n="p1b_607.009"/> <p rendition="#left">5. Strophe.</p> <lg> <l>Wie aber willst du dich messen ‖ mit deutschen Wortes Kraft?</l> <lb n="p1b_607.010"/> <l>So singen keine Schergen, ‖ die weichliche Ruh' erschlafft,</l> <lb n="p1b_607.011"/> <l>Wie Deutschlands Streiter geschmettert ‖ begeistrungsvoll hinein</l> <lb n="p1b_607.012"/> <l>Jn den dröhnenden Schlachtendonner ‖ ihr Heldenlied: Die Wacht</l> <lb n="p1b_607.013"/> <l> <hi rendition="#et">am Rhein!</hi> </l> </lg> <lb n="p1b_607.014"/> <p rendition="#left">7. Strophe.</p> <lg> <l>Dāzu braūcht es hārter ‖ Wōrte, │ schwēr, │ stārk,</l> <lb n="p1b_607.015"/> <l>Stāhlhārter Wōrte ‖ vōller │ Krāft und │ Mārk ─</l> <lb n="p1b_607.016"/> <l>Nicht solcher, wie deiner, italische ‖ Sprache, │ schmiegsam │ weich,</l> <lb n="p1b_607.017"/> <l>Die halb die Wucht entziehen ‖ dēm nach dem Feīnd gezīelten Strēich. </l> </lg> <lb n="p1b_607.018"/> <p rendition="#left">8. Strophe.</p> <lg> <l>Und dennoch, der deutschen Zunge ‖ gelingt so schön wie dir</l> <lb n="p1b_607.019"/> <l>Der Liebe leis Gelispel, ‖ nicht minder zart und zier</l> <lb n="p1b_607.020"/> <l>Kann sie kosen und schmeicheln, ‖ ja noch inniger klingt es traun,</l> <lb n="p1b_607.021"/> <l>Wĕnn dăs Jā sich lȫst von der Līppe ‖ hōldsēliger dēutscher Frāun! </l> </lg> <lb n="p1b_607.022"/> <p rendition="#left">14. (letzte)</p> <lg> <l>So töne fort, du stolzes ‖ germanisches Lied, gedenk,</l> </lg> <lb n="p1b_607.023"/> <p rendition="#left">Strophe.</p> <lg> <l>Treu │ stets zu │ hüten ‖ dein wunderbar Geschenk!</l> <lb n="p1b_607.024"/> <l>Und wann vom Altare der Musen ‖ manch rauheres Volk sich schied,</l> <lb n="p1b_607.025"/> <l>Dann strahle du noch, ein Kleinod, ‖ dem keines gleich, du deutsches</l> <lb n="p1b_607.026"/> <l> <hi rendition="#et">Lied!</hi> </l> </lg> </div> <div n="4"> <lb n="p1b_607.027"/> <head> <hi rendition="#c">§ 192. Die Gudrunstrophe.</hi> </head> <p><lb n="p1b_607.028"/> Sie ist die Tochter der Nibelungenstrophe und ganz nach Art <lb n="p1b_607.029"/> derselben gebildet. Sie <hi rendition="#g">unterscheidet sich von ihr durch weibliche <lb n="p1b_607.030"/> Reime in der dritten und vierten Verszeile</hi> sowie dadurch, <lb n="p1b_607.031"/> daß der letzte Halbvers der vierten Langzeile nicht bloß bis zu vier, <lb n="p1b_607.032"/> <hi rendition="#g">sondern zuweilen sogar zu fünf Hebungen sich erweitert</hi>.</p> <p><lb n="p1b_607.033"/> Jhren Namen hat die Gudrunstrophe vom Gudrunepos (mittelhochdeutsch <lb n="p1b_607.034"/> Kutrun), das ein steirischer oder österreichischer Dichter zu Ende des 12. Jahrhunderts <lb n="p1b_607.035"/> nach dem Vorbild des Nibelungenliedes gestaltete. Man kann sie <lb n="p1b_607.036"/> als eine weichere, mehr lyrisch=ausgebildete Form der Nibelungenstrophe bezeichnen.</p> <lb n="p1b_607.037"/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [607/0641]
p1b_607.001
1. Strophe.
Wohl hab' ich oft, vom süßen, ‖ melodischen Schmelz berauscht, p1b_607.002
Jtalien, deiner Sprache ‖ wonnebeseelt gelauscht; p1b_607.003
Wohl neidet' ich oft im Stillen ‖ dir deiner Weisen Klang: p1b_607.004
Nicht hēischĕn sĭe ērst Musīk ja, ‖ die Wōrte, nēin, sie sīnd Gesāng!
p1b_607.005
3. Strophe.
Wohl nimmst mit deiner Schöne ‖ du gefangen den trunknen Sinn, p1b_607.006
Du Tochter der mächtigen Sprache, ‖ der Weltbezwingerin, p1b_607.007
Die einst erfüllt die Lande ‖ mit brausendem Schlachtenaccord p1b_607.008
Und siegesfroh sich erobert ‖ Wōhnstätten rīngs in Sǖd und Nōrd.
p1b_607.009
5. Strophe.
Wie aber willst du dich messen ‖ mit deutschen Wortes Kraft? p1b_607.010
So singen keine Schergen, ‖ die weichliche Ruh' erschlafft, p1b_607.011
Wie Deutschlands Streiter geschmettert ‖ begeistrungsvoll hinein p1b_607.012
Jn den dröhnenden Schlachtendonner ‖ ihr Heldenlied: Die Wacht p1b_607.013
am Rhein!
p1b_607.014
7. Strophe.
Dāzu braūcht es hārter ‖ Wōrte, │ schwēr, │ stārk, p1b_607.015
Stāhlhārter Wōrte ‖ vōller │ Krāft und │ Mārk ─ p1b_607.016
Nicht solcher, wie deiner, italische ‖ Sprache, │ schmiegsam │ weich, p1b_607.017
Die halb die Wucht entziehen ‖ dēm nach dem Feīnd gezīelten Strēich.
p1b_607.018
8. Strophe.
Und dennoch, der deutschen Zunge ‖ gelingt so schön wie dir p1b_607.019
Der Liebe leis Gelispel, ‖ nicht minder zart und zier p1b_607.020
Kann sie kosen und schmeicheln, ‖ ja noch inniger klingt es traun, p1b_607.021
Wĕnn dăs Jā sich lȫst von der Līppe ‖ hōldsēliger dēutscher Frāun!
p1b_607.022
14. (letzte)
So töne fort, du stolzes ‖ germanisches Lied, gedenk,
p1b_607.023
Strophe.
Treu │ stets zu │ hüten ‖ dein wunderbar Geschenk! p1b_607.024
Und wann vom Altare der Musen ‖ manch rauheres Volk sich schied, p1b_607.025
Dann strahle du noch, ein Kleinod, ‖ dem keines gleich, du deutsches p1b_607.026
Lied!
p1b_607.027
§ 192. Die Gudrunstrophe. p1b_607.028
Sie ist die Tochter der Nibelungenstrophe und ganz nach Art p1b_607.029
derselben gebildet. Sie unterscheidet sich von ihr durch weibliche p1b_607.030
Reime in der dritten und vierten Verszeile sowie dadurch, p1b_607.031
daß der letzte Halbvers der vierten Langzeile nicht bloß bis zu vier, p1b_607.032
sondern zuweilen sogar zu fünf Hebungen sich erweitert.
p1b_607.033
Jhren Namen hat die Gudrunstrophe vom Gudrunepos (mittelhochdeutsch p1b_607.034
Kutrun), das ein steirischer oder österreichischer Dichter zu Ende des 12. Jahrhunderts p1b_607.035
nach dem Vorbild des Nibelungenliedes gestaltete. Man kann sie p1b_607.036
als eine weichere, mehr lyrisch=ausgebildete Form der Nibelungenstrophe bezeichnen.
p1b_607.037
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |